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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


 Der Gabentempel.

Die Ehrengabe des Kaisers.

Die schnelle Ausdehnung der Berthold Schwarzschen Erfindung im siebzehnten Jahrhundert verkörperte die dritte Gruppe: um ein vierspänniges Geschütz, auf dessen Lafette ein Tatar mit Bogen, Spieß und Köcher Platz genommen hatte, reihten sich Bedienungsmannschaften mit Artilleriefahne, Trommler und Pfeifer, Piqueure und Schußanweiser, Jagdknechte mit bellenden Rüden und Pokalträger, und daß auch stets die Rathsherren an fröhlichen Schützenfesten theilgenommen, zeigte der von Fuhrknechten umringte Wagen mit den Rathsmannen in dunkler spanischer Tracht. Die Gruppe des militärischen, des achtzehnten Jahrhunderts eröffneten Jagdhornbläser zu Pferde, in strammem Schritt paradirten Grenadiere in blauen Tuchuniformen, auf dem Kopf die hohe Blechmütze, eine vierspännige Haubitze deutete auf die Entwicklung des Artillerie-, ein Zug Pioniere auf die des Ingenieurwesens hin; daß aber auch trotz der Friedericianischen Siege die Schützenvereinigungen blühten, bewiesen mehrere Schützenzüge mit Schützendirektor und Schützenmeister, auf den gepuderten Häuptern die breitkrempigen Dreimaster. Den Anfang unseres Jahrhunderts, die vielverspottete Biedermeierzeit, stellte der nächste und zugleich letzte Zug mit einer Fülle komischer Figuren dar, den goldbetreßten Schützenhauptleuten und ihren Adjutanten, den Offizieren und Fähndrichen sowie den dickbäuchigen Schützenbrüdern mit schweren Epauletten und unförmigen Federhüten.

Hatten diese Gruppen die allseitigste Aufmerksamkeit erregt, so wurden sie doch noch durch die nun nahenden Festwagen übertrumpft; dieselben stellten eine Versinnbildlichung derjenigen deutschen Städte dar, in denen bisher ein Bundesschießen stattgefunden hatte, und zwar sollte jeder Wagen jene Zeit zum Ausdruck bringen, in welcher die in Betracht kommenden Städte ihren geschichtlichen Höhepunkt erreicht hatten. Den Anfang machte der von den sieben Kurfürsten umringte und von vier Zeltern gezogene Wagen der Stadt Frankfurt a. M., unter golddurchwirktem Baldachin die Frankfurta thronend, ihr zu Füßen Frankfurts edelster Sohn, Wolfgang Goethe, in strahlender Jugendschönheit, vorn auf dem Wagen ein Herold mit dem alten Stadtbanner, hinten Raths- und Kaufherren, den ausgebreiteten Handel Frankfurts andeutend. Bremen galt der zweite Wagen; in Gestalt eines Hansaschiffes aus dem dreizehnten Jahrhundert war er errichtet, am Steuer saß die Bremensia, schützend standen am Vorderkastell trutzige Reisige mit klirrenden Kettenpanzern, andere Bewaffnete umritten den Wagen, an dessen hochragenden Mastbaum sich drei weibliche Figuren lehnten, Europa, Asien und Afrika darstellend. Von fern schon kündigte den muschelförmig gebauten Wagen der Stadt Wien die vielzackige Spitze des Stephansthurmes an, am Bugspriet ruhte das Donauweibchen, unter einem herrlichen Thronhimmel saß die Vindobona im Maria Theresia-Kostüm, ihr zu Füßen stand Prinz Eugen, vor dem gefesselt mehrere gefangene Türken lagen. Hannover galt der nächste Wagen in Form eines gothischen Burgthores, mit der Hannovera im Vordergrunde und Heinrich dem Löwen vor dem Burgeingange. In freundlichem Grün prangte der Wagen Stuttgarts, auf einem Weinfaß sitzend schwenkte ein Knabe eine Winzerkrone, unter einer Laube ruhten Mädchen und Buben von der Arbeit aus, den Abschluß bildete die Stuttgardia, ihr zur Seite standen Herzog Eberhard und Götz von Berlichingen; begleitet ward der Wagen von den sieben, den Speer umklammernden Schwaben, die auf den sie verspottenden Hasen Jagd machten. Düsseldorf ward durch ein Rheinschiff verkörpert, vorn der Vater Rhein mit gewaltigem Pokal in der Rechten. das Steuerruder gelenkt von der als Nixe gekleideten Düsseldorfia, während in der Mitte des Schiffes junge Kunstschüler in der Tracht des vorigen Jahrhunderts wacker zechten. Im Vordergrunde des Münchener Wagens stand das Münchener Kindl, den Biersegen ertheilend, hinter ihm sah man Albrecht Dürer und Peter Vischer, unter einer Hopfenlaube saß die Monachia, den Rücksitz des Wagens hatten jodelnde Oberbayern eingenommen. Der Wagen der Stadt Leipzig rief die Erinnerung an die Freiheitskriege wach; an der Spitze thronte im Empire-Kostüm die Lipsia, um einen Obelisken, der, um auf die Bedeutung Leipzigs für die Wissenschaft und den Buchhandel hinzuweisen, mit einem fackelschwingenden Genius, einer Eule und dem Buchhändlergreif geschmückt war, standen als Repräsentanten der Universität vier Dekane in Amtstracht; begleitet wurde der reichumkränzte Wagen von Burschenschaftern aus dem Jahre 1815 und Lützower Jägern. Dem von sechs Schimmeln gezogenen Germania-Wagen ritt ein Musikcorps in der kleidsamen Tracht der Dragoner von Ansbach-Bayreuth voran; auf künstlichem Felsen stand in stolzer Haltung Germania und reichte dem unten am Felsen weilenden Hermann, dem Cheruskerfürsten, die Kaiserkrone dar. Während vorn das Banner des Schützenbundes wehte, ragte hinten eine Eiche empor, die in ihren Zweigen die Wappen aller Bundesstaaten trug. Den Schluß bildete der Wagen der Stadt Berlin mit der Berolina, vor ihr der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große, zu deren Füßen Soldaten ruhten, über welche eine Friedensgöttin die Friedenspalme breitete; Derfflinger und Ziethen, Seydlitz und Blücher sprengten neben dem von Pagen und Kriegern geleiteten Gefährt einher.

„Tripelallianz“ auf dem Schützenfestplatz.

Hinter den einzelnen Wagen schritten in kürzeren und längeren Zügen mit ihren Musikcorps und Fahnen die zum Fest erschienenen Schützenvereine, immer aufs neue von den Menschenmassen, die wie festgefügte ledende Mauern den Weg einsäumten, jubelnd begrüßt und mit Blumen beworfen, sowie mit Erfrischungen bedacht. Vor dem Rathhause, vor welchem Tribünen für die Vertreter der Stadt, für die Ehrenjungfrauen und Ehrengäste aufgeschlagen waren, staute sich der Zug, und die Bundesfahne wurde unter feierlicher Ansprache dem Oberbürgermeister Berlins, Herrn v. Forckenbeck, zur Hütung bis zum nächsten Bundesschießen übergeben. Mit herzlichen Worten übernahm der Oberbürgermeister die Fahne und hieß alle Schützen freudig willkommen, die donnernd in sein den Schluß der Ansprache bildendes Hoch auf Kaiser und Reich einstimmten. Hierauf setzte sich der Zug von neuem in Bewegung und langte gegen vier Uhr nachmittags auf dem Festplatze an.

Stadtverordneter Karl Diersch
Festpräsident des X. deutschen Bundesschießens.

Ein gutes Stück vom Centrum, ja selbst noch von den Vorstädten entfernt, dehnte sich derselbe in einer Größe von 120 Morgen aus, dem Villenorte Pankow dicht benachbart.

Schon von weitem kündete er sich durch tosenden Lärm, durch Musik und den scharfen Knall der Büchsen an, und sobald ihn der Blick erreichte, erfreute man sich an dem hübschen, fröhlich farbigen Bilde, den luftigen Bauten, den bunten Wimpeln, den hohen, mit Tannenreisig umwundenen Masten, den schmucken Ehrenpforten und den eigenartigen Zelten und Buden, die eine kleine Stadt für sich bildeten und besondere Zugänge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_510.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2023)