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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

gewiß, daß er ihn schon nach diesen Worten haßte, bitterlich, unversöhnlich, tödlich haßte!

Sekundenlang war es drinnen still. Konnten die Beleidigungen des Unverschämten ihr wirklich solchen Eindruck gemacht haben? Fürchtete sie sich vielleicht gar vor ihm, daß sie es nicht wagte, ihm nach Gebühr zu erwidern? O, wenn er ihr nur hätte ein Zeichen geben können, daß sie einen Beschützer in der Nähe habe, einen Freund, der bereit war, das Aeußerste zu thun, wenn es ihr zum Heile dienen konnte!

Da – nun endlich sprach sie, aber sie sprach mit gedämpfter Stimme, unsicher und beinahe zaghaft.

„Von alledem also soll ich Deiner Meinung nach nichts besitzen! Nicht einmal das bescheidene Talent, das wenigstens die Möglichkeit eines Erfolges offen ließe! Nun wohl, vielleicht hast Du recht! Aber wenn es weder die Begeisterung für die Kunst noch der unwiderstehliche Drang des Genius war, was mich zum Theater geführt hat, so muß es wohl eine andere, schwerwiegende Veranlassung gewesen sein – ein Beweggrund, der mächtiger und zwingender war als jene.“

„Und kannst Du zweifeln, daß ich ihn errieth – in demselben Augenblick errieth, als ich Deinen Namen auf dem Komödienzettel las? Nicht um der Kunst willen und nicht um Dir aus eigener Kraft Dein Leben zu gestalten, thatest Du diesen verhängnißvollen Schritt, sondern Du thatest ihn, um eine unerhörte Beleidigung auf unerhörte Weise zurückzuzahlen – Du thatest ihn, weil Du wußtest, daß Du meinen Vater und sein Haus nicht empfindlicher treffen könntest als mit diesem Schlag.“

„Und dürftest Du mit mir rechten, wenn dies die Wahrheit wäre? – Ja, man hat mir im Hause des Generals von Brenckendorf, unter seinen Augen wie unter den Deinigen, eine unerhörte, eine tödliche Beleidigung zugefügt, und da niemand seine Hand erhoben hat, den Schimpf zu rächen, den man einem vertrauenden, wehrlosen Mädchen angethan hat, wer wollte es mir wehren, nun selbst Vergeltung zu üben? Es ist ja nichts Unrechtes, kaum etwas Unweibliches, was ich damit thue. Ich denke nicht daran, Euren Weg zu kreuzen, und ich werde Euch gewiß nicht hindern, mich zu verleugnen, wie Ihr meinen Bruder verleugnet habt.“

„Aber Du weißt sehr wohl, daß von solcher Verleugnung nicht die Rede sein konnte, nachdem Du nicht nur den Besuchern unseres Hauses, sondern fast der ganzen Berliner Gesellschaft als eine nahe Verwandte meines Vaters bekannt geworden bist. Herr Constantin Rainer, der Dir allem Anschein nach so bereitwillig den Weg auf die Bühne seines Theaters geebnet hat, wußte gut, wo dabei der Vortheil für ihn liegen würde. Am Tage Deines ersten Auftretens werden das Parkett und die Logen des Schillertheaters ohne Zweifel überfüllt sein von jenen guten Bekannten, die an dem Ungemach ihrer lieben Freunde einen noch viel fröhlicheren Antheil nehmen als an ihrem Glück. Mit eigenen Augen wird jeder einzelne sich überzeugen wollen, daß die Schauspielerin, welche ihren Namen mit gespreizten Buchstaben in den Zeitungen und an den Straßenecken bekannt machen ließ, dieselbe Baronesse Marie von Brenckendorf ist, der man noch vor wenig Wochen in den vornehmsten Salons von Berlin seine Huldigungen darbrachte. Man wird flüstern und zischeln, und die Geschichte von einem peinlichen Vorgang auf dem großen Wohlthätigkeitsbazar wird in hundert neuen Wendungen und mit hundert neuen Erläuterungen von einem hämischen Munde zum andern gehen. Und mein Vater, mein Bruder, meine Schwester, sie werden während der folgenden Tage und Wochen in tausend unschuldigen Fragen, tausend harmlosen Anspielungen unzählige von jenen schmerzhaften Nadelstichen empfangen, die unerträglicher sind als ein tief gehender Schwertstoß. Was könnte ihnen da alles Verleugnen und Beschönigen frommen? Du wirst Deine Rache haben, grausamer und vollständiger, als irgend ein Mann sie statt Deiner nehmen könnte.“

„Soll ich Mitleid haben mit denen, die ohne Mitleid waren für mich? Ihr Hochmuth hat mich in den Staub getreten – sollte es mich nicht freuen, sie gerade in ihrem Hochmuth getroffen zu sehen?“

„Nein, es sollte Dich nicht freuen, Marie,“ klang es ernst und fest zurück, „und ich weiß, daß es Dich im Grunde Deines Herzens unmöglich freuen kann. Deine Vergeltung träfe ja die Unschuldigen härter als die Schuldigen. Engelbert ist in seinem Leichtsinn fest genug gepanzert, um die kleinen vergifteten Pfeile der Bosheit und der hämischen Schadenfreude leicht von sich abzuschütteln, meine arme Schwester aber wird schwer von ihnen zu leiden haben, um so schwerer, als sie Dich aufrichtig liebt.“

„Du weißt Dich Deiner Aufgabe mit meisterlichem Geschick zu entledigen, Lothar. Dein Vater hätte seine Sache wahrlich keinem besseren Anwalt übertragen können.“

„Ich bin nicht gekommen, um meines Vaters Sache wahrzunehmen, Marie! Er weiß von meinem Hiersein so wenig als meine Geschwister, und sie werden durch mich nie davon erfahren. Was mein Bruder Dir angethan, hat auch mich mit Groll und Verachtung gegen ihn erfüllt, und ich würde keinen Finger rühren, Dich an der Ausübung Deiner Rache zu hindern, wenn nicht derselbe Schlag, welcher jene verwunden soll, Dich selber vernichten könnte. Der Weg, den Du gehen willst, ist ein Weg ins Verderben; denn die Welt der Coulissen wird niemals die Deinige werden können – niemals! Dein Bruder hat es abgelehnt, Dir hindernd entgegenzutreten, wie ich es von ihm verlangte, und ich zweifle nicht, daß er es aus den rechtschaffensten Beweggründen gethan hat. Ich aber hielt es trotzdem für meine Pflicht, Dich zu warnen, weil ich Dir so gern all das herbe Leid ersparen möchte, das Du im Begriff bist, über Dich heraufzubeschwören!“

War es der ungestüme Schlag seines eigenen Herzens, das Sausen des Blutes in seinen Ohren, das Hudetz verhinderte, ihre Erwiderung zu verstehen? Oder hatte sie wirklich so leise gesprochen, daß er ihre Worte nur wie ein undeutliches Gemurmel vernahm? Er war in einer unbeschreiblichen, verzehrenden Aufregung, in einem Zustande, der von völliger Sinnlosigkeit wahrlich sich kaum noch unterschied. Seine durch den Branntweinrausch beschränkte Denkfähigkeit und seine Unkenntniß der vorausgegangenen Ereignisse hatten ihn von dem belauschten Gespräch nur soviel mit Gewißheit begreifen lassen, daß Marie von Brenckendorf eine tödliche Beleidigung angethan worden war und daß ihr Besucher sie hindern wollte, Vergeltung für dieselbe zu üben. Das allein wäre schon mehr als hinreichend gewesen, um dem gährenden Groll in seinem Innern eine bestimmte Richtung zu geben. Aber es war noch etwas anderes da, das seine sonst so scheue, furchtsame Natur aufstachelte bis zur Raserei! Das war der warme, herzliche, ja, fast zärtliche Klang, den die letzten Worte des Unbekannten gehabt hatten, – das war die blitzartig durch sein blutüberfülltes Gehirn zuckende Vermuthung, daß jener nur danach trachte, Marie ihrer Kunst abwendig zu machen, um sie für sich selber zu gewinnen.

Es kam ihm nicht zu klarer Erkenntniß, daß es Eifersucht, leidenschaftliche, wilde, unbezähmbare Eifersucht sei, welche ihn da packte und schüttelte wie einen Fieberkranken das beginnende Delirium; er war ja überhaupt nicht mehr imstande, irgend etwas zu erkennen oder zu erwägen, Selbst die Schärfe seiner Sinne schien eine erhebliche Einbuße erlitten zu haben; denn obwohl er noch immer angestrengt lauschte, vermochte er doch nur noch einzelne, abgerissene Worte zu verstehen. Der Unbekannte war es, der jetzt fast ausschließlich sprach. Er mochte Marie die Gefahren, die Bitternisse, die unausbleiblichen Enttäuschungen schildern, denen sie sich aussetzte, wenn sie auf ihrem Entschluß beharrte – und daß sie ihm so geduldig lauschte, daß sie ihn kaum ein einziges Mal mit leisem Einwurf unterbrach, erfüllte Hudetz mit der wahnsinnigen Angst, der andere könnte ihren Widerstand wirklich besiegen, könnte sie wirklich gefügig machen für seine schändlichen Wünsche.

Aber endlich – nach einer Zeit, deren Dauer der Harrende nicht zu schätzen vermochte, weil sie ihn in seiner athemlosen Spannung eine nimmer endende Ewigkeit dünkte, – hörte er doch Marie sagen:

„Peinige mich nicht länger, Lothar! – Es ist unmöglich, ich kann nicht mehr zurück. Und ich will es auch nicht. Laß mich also unangefochten den Weg gehen, für den ich mich entschieden habe. Führt er mich wirklich in das Verderben, so wird Dein Gewissen doch jetzt beruhigt sein. Du hast mich ja gewarnt, und es war mein eigener Wille.“

„Du bist unwiderruflich entschlossen, am Sonntag aufzutreten?“

„Unwiderruflich!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_502.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)