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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

lauschte mit Hingebung seinen ihr mit einer gewissen leichtfertigen Galanterie zugeflüsterten Worten.

Es war kein Zweifel, sie liebte ihn.

Als am Abend dieses Tages Alten abreiste und Tromholt, den die Geschäfte noch einige Tage in Kiel zurückhielten, ihm das Geleite zur Bahn gab, sagte der erstere: „Nun, wie gefällt Ihnen der Graf, Tromholt?“

„Ich habe nach keinen bestimmten Eindruck von ihm,“ erwiderte Tromholt ausweichend. „Seine Art ist weltmännisch, und er scheint nicht ohne Verstand zu sein.“

„Na, das wäre doch etwas,“ spottete Alten. „Aber wenn das nicht ein Erzlump ist, will ich nicht Alten heißen! Haben Sie den lauernden Zug in seinem Auge nicht bemerkt? Und diese herablassende Art, mit uns zu verkehren? Gefährlich ist der Bursch, verlassen Sie sich auf mich! Der wird uns noch lehren, wer Herr und wer Diener ist! Uebrigens, ist es denn richtig, daß er nach Limforden ziehen und den Marinedienst verlassen will? Eine entsetzliche Aussicht!“

Richard schwankte, ob er Alten schon jetzt nähere Mittheilung über sein Gespräch mit der Witwe und über die testamentarischen Bestimmungen des verstorbenen Ericius machen sollte. Er entschloß sich nach einigem Zögern, auch Biancas wegen, dazu, ihm wenigstens das Nothwendigste zu unterbreiten. Nachdem dies geschehen war, warnte er Alten vor Unvorsichtigkeiten, zu denen ihn sein heftiges Wesen nur allzuleicht hinreißen könnte. „Wir beide,“ sagte Tromholt, indem er dem Scheidenden, der ihm nicht ohne Bewegung zugehört hatte, die Hand drückte, „müssen jetzt fester denn je zusammenhalten, alles hängt davon ab. Zähmen Sie Ihre Spottlust, Alten! Wir werden beide davon Gewinn haben! Wir müssen fortan wie Brüder zusammenhalten!“

„Ich schlage ein,“ rief Alten mit leuchtenden Blicken. „Und damit ich den Titel verdiene, Tromholt, auf daß wir wirklich wie Brüder verbunden seien, was sagen Sie dazu, wenn ich Ihre Schwester heirathe? Vorausgesetzt natürlich, daß sie mich nimmt!“

Tromholt lachte ausweichend. „Sie sind unverbesserlich, lieber Freund. Leben Sie wohl und grüßen Sie mir Bianca! Ich komme bald nach.“

In diesem Augenblicke setzte sich der Zug in Bewegung und Alten konnte einer gewissen Enttäuschung nicht Herr werden, daß Tromholt seine wenn auch halb im Scherz gesprochenen, aber eigentlich anders gemeinten Worte nicht ernsthafter aufgenommen hatte.




5.

Etwa um dieselbe Zeit, während das Vorstehende sich in Kiel am Schwanenweg zutrug, schritt ein Mann, der unverkennbar dem Seemannsstand angehörte, über die Adolfbrücke in Hamburg. Es war der Kapitän Larsen aus Mückern, der mit seinem Schiff nach der Hansastadt gekommen war und eben einen Ladung nach Batavia angenommen hatte.

Als er sich zu den Arkaden wandte, um dort in einem nah dem Wasser liegenden Biertunnel einen Trunk zu sich zu nehmen, wurde sein Blick plötzlich durch eine weibliche Erscheinung gefesselt. Er stutzte, weil er seinen Augen nicht trauen zu dürfen glaubte, und blieb mit dem Ausdruck höchster Spannung stehen. Aus einem in den Arkaden liegenden Laden trat ein junges Mädchen heraus und nahm, ohne sich umzuschauen, ihre Schritte gegen den Jungfernstieg.

Larsen eilte ihr so schnell, wie er vermochte, nach, ging, als er in ihre Nähe gelangt war, scheinbar ohne sie zu beachten, vorüber, forschte aber genau in ihrem Angesicht, wandte sich dann plötzlich um und rief mit erregter Stimme: „Du! Du! Ingeborg Elbe!“

Von Entsetzen ergriffen eilte Ingeborg vorwärts, und nur der eine Gedanke beherrschte sie, auf welche Weise es ihr gelingen könne, sich aus dieser unerwarteten, furchtbaren Gefahr zu befreien.

Aber es lag nicht in Larsens Absicht, freiwillig sich wieder entgehen zu lassen, was ihm der Zufall so unerwartet in die Arme getrieben hatte.

„Ich verlange, daß Du mir Rede stehst!“ zischte er, nachdem er sie wieder eingeholt hatte. Und um sie zu täuschen und kein Aufsehen zu erregen, setzte er mit schmeichelnder Haltung und Miene hinzu: „Komm! Drüben am Jungfernstieg ist eine Bank! Ich will Dich ja nur sprechen, und was auch das Ende sei: ob Du mit mir gehst oder Deinem Worte untreu wirst, das Du mir gegeben hast.“

Aber Ingeborg Elbe antwortete nicht; in raschem Lauf und immer geradeaus blickend, setzte sie ihren Weg fort, und jetzt so stürmisch und mit so ausgesprochener Angst, daß die Blicke der Vorübergehenden sich auf sie richteten.

„Geh langsam, mach kein Aufsehen!“ – flüsterte Larsen, noch immer sich beherrschend. Und „antworte! Einer Antwort bin ich doch wohl werth?“ fügte er, schon erregter, hinzu, als sie noch immer that, als sei er Luft für sie.

„Nochmals! Antworte!“ schrie der Mann endlich außer sich vor Wuth. „Keinen Schritt weiche ich von Dir, bevor Du mir nicht Rede gestanden hast!“

In diesem Augenblick hatten sie den dem neuen Wall gegenüberliegenden Halteplatz der Dampfschiffe erreicht, die nach der Uhlenhorst fahren, und ohne Besinnen, nur dem Trieb ihrer Angst gehorchend, flüchtete Ingeborg auf das eben sich zur Abfahrt rüstende Boot.

Larsen schwankte einen Augenblick, ob er ihr folgen sollte, dann that er’s, und da er einsah, daß er mit Gewalt nichts über sie vermochte, trat er mit verstellter Miene dicht an sie heran und sagte in mildem, unterwürfigem Ton: „Ingeborg! Ich bitte Dich bei unserer einstigen Liebe, antworte nur auf meine einzige Frage: Weshalb bist Du entflohen? Was that ich Dir? – – Verzeih, daß ich so hart auf Dich einsprach! Es war doch nur die Aufregung, der Zorn über Deine Kälte. Du weißt, was Du mir angethan hast! – Nun, Ingeborg?“ –

In dem Gesicht des Mädchens rührte sich keine Muskel. Wie vordem, den Blick geradeaus gerichtet, floh sie aus die andere Seite des Boots, wo schon einige Leute standen. Es fehlten nur wenige Minuten zur Abfahrtzeit.

Wieder zauderte Larsen, da er sah, daß einige junge Männer, denen sein Benehmen aufgefallen war, sich neben Ingeborg stellten.

Allein sein Zorn, sein durch ihren Trotz nur noch gesteigertes Begehren überwog alle Vorsicht, und eben, als das Zeichen zur Abfahrt ertönte, trat er aufs neue auf sie zu.

Sein Gesicht glühte, die Adern auf seiner Stirn waren hoch angeschwollen und das blitzende Auge war blutunterlaufen wie das eines wilden Thieres. Er sah aus wie einer, dem kein Mittel zu schlecht ist, um sein Ziel zu erreichen.

Scheu wichen die jungen Leute zur Seite, und „Komm mit mir!“ befahl er Ingeborg aufs neue.

Aber da, als die Matrosen die Brücke schon weggezogen hatten und das Boot, dessen Maschine sich langsam in Gang setzte, abstießen, faßte sie einen verzweifelten Entschluß. Mit einem Sprung war sie auf der Brüstung und, ehe die Matrosen und der ihr nacheilende Larsen es verhindern konnten, drüben auf dem Landungssteg.

Larsen wollte ihr folgen, aber die Matrosen hielten ihn auf, und, zähneknirschend vor Wuth und Enttäuschung, blickte er der rasch Dahingehenden nach. – –

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*

Als Ingeborg nach einer Stunde auf Umwegen das Haus der Baronin erreichte, war sie noch so erregt, daß ihr die Glieder bebten. Auf dem ganzen Weg glaubte sie sich von Larsen verfolgt, und sie war durch das Vorgefallene so eingeschüchtert, daß sie mehrere Tage lang nicht wagte, die Wohnung zu verlassen. Sie wußte, ihr früherer Verlobter werde alles aufbieten, ihren Aufenthalt in Erfahrung zu bringen.

Ingeborg Elbe und Klaus Larsen kannten sich seit ihrer Kindheit, die sie beide in Mückern, wo ihre Eltern als Nachbarn und gute Freunde lebten, verbracht hatten. Etwa um dieselbe Zeit hatte Ingeborg die Mutter, Klaus seinen Vater verloren, und wie das freundschaftliche Verhältniß zwischen dem alten Peter Elbe und der Witwe Larsen durch diesen beiderseitigen Verlust nur noch mehr gefestigt wurde, so betrachteten sie auch ihre Kinder mehr und mehr als zueinander gehörig trotz der großen, sich früh äußernden Verschiedenheit ihrer Anlagen. Ingeborg war ein ernstes, schüchternes Kind, Klaus ein derber, gewaltthätiger Junge, und wenn jene auch ohne mütterliche Leitung der angeborenen Richtung ihres Charakters treu blieb, so war der Mangel einer strengen väterlichen Zucht für diesen von den schädlichsten Folgen. Früh hatte sich Klaus Larsen daran gewöhnt,

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