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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Andresen Siemens, Hilfe – er war es, der Mitte der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts die Insel zum Seebad erhob, und welche Bedeutung

Brandung an der Felsenwand auf Helgoland.

diese Gründung hat, ergiebt sich daraus, daß, ungerechnet die vorübergehend anwesenden Besucher, in den letzten Jahren stets zwischen acht und zehn tausend Menschen als Badegäste auf der Insel weilten. Für solche Blüthe aber findet man die Erklärung, wenn man erfährt, daß Helgoland im Spätherbst und Winteranfang eine höhere Durchschnittstemperatur besitzt als Bozen und Meran! Lange Jahre besaß das Seebad Helgoland allerdings auch eine Anziehungskraft weniger gesunder Art – eine Spielbank, die 1830 gegründet und erst 1877 wieder aufgehoben wurde.

Dies die wirthschaftliche Geschichte von Helgoland. Und die politische? Auch sie ist bald erzählt, wenigstens wenn wir uns an die wirklich beglaubigte Geschichte halten wollen. Um den Vorzug, schon von Tacitus als die Insel mit dem heiligen Hain der alten germanischen Erbgöttin Hertha genannt zu werden, muß sich Helgoland mit Rügen streiten; denn die Gelehrten sind noch nicht einig, welche von beiden der alte Römer im Auge gehabt habe.

Dann werfen die muthigen Fahrten der christlichen Glaubensboten auf den weltabgeschiedenen Fleck ein kurzes Streiflicht. Wir vernehmen von Kirchen, die gebaut und wieder zerstört wurden, wir hören vom Friesenkönig Ratbod, der auf der Insel vor Pipin von Heristal um das Jahr 700 Zuflucht findet. Vergebens bemüht sich der heilige Willibrord, den alten Helden zur Taufe zu bewegen; wie von dem Sachsen Wittukind, so erzählt auch von Ratbod die Sage, daß er, schon einen Fuß im Wasser, die Frage gethan habe, wohin denn seine Vorfahren gekommen seien. „In die Hölle!“ lautete der kurze Bescheid des Priesters. „Dann will auch ich nicht in den Himmel kommen!“ Sprach’s und starb ungetauft, und nach mehr als tausend Jahren fanden sie auf der Höhe des „Moderbergs“ an der Südspitze der Insel ein Grab mit dem Skelett eines Mannes, eine Bronzewaffe zur Linken und an jeder Seite einen goldenen Spiralring. Und es hieß, es sei das Grab Ratbods, des Friesenkönigs.


Im Mittelalter spielte Helgoland eine wichtige, wenn auch keineswegs rühmliche Rolle als ein Hauptseeräubernest. „Es ist ein Ort allen Schiffern ehrwürdig, besonders aber den Seeräubern,“ sagt schon der alte Adam von Bremen im 11. Jahrhundert, der uns die erste ausführlichere Schilderung der Insel giebt, und er knüpft die merkwürdige Behauptung daran: „Woher sie auch den Namen empfangen hat, daß sie Heiligland heißt!“ Das erinnert an den neapolitischen Banditen, der die Madonna um Gelingen für seinen nächsten Raubmord anflehte. Nun, die Seeräuber, unter denen der Störtebeker der berüchtigtste ist, fanden ihre Meisterin in der mächtigen Hansa, die Insel wurde wie das Küstenland von ihnen befreit, aber sie ging den Hansestädten in einem langwierigen Besitzstreit mit den Herzögen von Schleswig (Gottorp) wieder verloren. Die Herzöge von Gottorp verloren sie wieder (1714) an Dänemark, Dänemark wieder an England (1807), und vom Kieler Vertrage 1844 bis zum 17. Juni 1890 befand sich das vielumstrittene Eiland auch in völkerrechtlich anerkanntem Besitze des britischen Reichs. Albion sandte seine Gouverneure, benutzte die Insel auch einmal während des Krimkriegs als günstig gelegenen Werbeplatz (vergl. „Gartenlaube“ 1855) und beließ sie im übrigen, wie wir bereits gesehen haben, in ihrer alten Eigenart. Es verlangte von der heute etwa auf die Zahl von 2200 Seelen sich belaufenden Bewohnerschaft keine Soldaten, kein Geld, schoß vielmehr noch eine erkleckliche Summe von zuletzt 3300 Pfd. St. jährlich zu, und wenn der eine und der andere Helgoländer zu der britischen Marine sich anwerben ließ, so war das angeborene Lust und eigener freier Wille.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_465.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)