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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

in dem Testament meines verstorbenen Gatten Bestimmungen getroffen sind, die von großer Bedeutung für Sie, aber auch für mich sind.

Darüber mich mit Ihnen bei Ihrer Hieherkunft persönlich ausführlicher zu besprechen, ist natürlich gleichzeitig mein Wunsch und verstärkt die Bitte, daß Sie meinem Rufe gütigst Folge leisten mögen. Ergebenst 
Susanne Ericius  
geb. Gräfin von Tolk." 

Noch während sich Richard mit seiner Schwester über den muthmaßlichen Inhalt der letzten Willensbestimmungen des verstorbenen Herrn Ericius unterhielt, ließ sich Herr von Alten, der Oberinspektor, bei ihnen melden.

Alten war ein unverheiratheter Mann von etwa fünfunddreißig Jahren mit einem großen, starkgebauten Kopf, einigen Schmarren über der Backe, forschenden, etwas Leuchtendes in sich bergenden Augen und einem kräftigen blonden Bart. In seinen Bewegungen lag Ruhe, aber er besaß einen sehr beweglichen Geist, der ihn verführte, häufig abfällige Urtheile über Personen und Verhältnisse zu fällen. Seine Laune und arbeitsthätige Unverdrossenheit waren sprichwörtlich. Immer sah man ihn mit seiner kurzen Pfeife zu Fuß oder zu Pferde unterwegs, und wie Richard Tromholt schien er einen gegen jeden Eindruck von außen gestählten Körper zu besitzen.

„Ich störe nicht, gnädigste Baronin? Und auch Sie nicht, lieber Tromholt? Ich wollte mich noch mit Ihnen wegen unserer Abreise besprechen, da ich ausgerechnet habe, daß wir gegebenen Falles schon am Spätnachmittage in Kiel eintreffen können. Ich lasse dann morgen früh um fünf Uhr anspannen." –

Richard war damit einverstanden. Während sie noch die Abfahrtszeit der Züge studirten, wurde er in einer häuslichen Angelegenheit von Marieken, der alten Haushälterin, abberufen, und Alten blieb allein mit Bianca. Eine leichte Verlegenheit beherrschte für die ersten Augenblicke beide, dann sagte Alten, von dem früheren Thema abspringend, gleichsam als ob es ihn dränge, einem Gedanken, der ihn lange beschäftigt hatte, endlich Ausdruck zu geben: „Sie glauben nicht, wie glücklich ich bin, daß Sie sich entschlossen haben, noch einige Wochen, hoffentlich“ – hier verneigte er sich lächelnd – „den Herbst und ein Stück des Winters in Limforden zu bleiben. Es ist trostlos, wenn man mit sich selbst ganz allein umgehen muß.“

„Ich sollte meinen, daß eine, wie ich höre, so ausgezeichnete Gesellschaft einen nie ermüden könnte. Das beweist eine unzufriedene Natur!“ scherzte Bianca und rückte sich bequem in ihrem Schaukelstuhl zurecht.

Alten schmunzelte, dann sagte er: „Sie irren, meine gnädige Baronin. Ich bin langweilig wie ein altes Theebrett, wenn ich mir selbst Besuche mache. Ich habe freilich Ihren vortrefflichen Herrn Bruder, aber er schließt sich doch auch bisweilen völlig ab und ist dann unnahbar, ganz abgesehen davon, daß ihn das Geschäft oft Wochen lang fern hält. Nein, nein! Es ist ein ungemessenes Glück, daß Sie unsere belebende Sonne werden wollen, jetzt, hoffentlich noch oft, vielleicht für immer! Das heißt, wer weiß, ob die Erben des seligen Herrn Ericius uns nicht sämmtlich das Ausweisungsdekret zustellen. Davor schützt uns auch die Anwesenheit der schönsten und liebenswürdigsten Frau nicht.“

Bianca lachte, aber sie wehrte ab; sie nahm solche Artigkeiten nicht ernsthaft.

„Im Gegentheil,“ erwiderte sie, „ich bin die Unterhaltungsbedürftige, und wenn ich mich entschließe, eine Zeit lang hier zu bleiben, so geschieht es in der selbstsüchtigen Erwartung, daß ich mich hier besser unterhalte als in Hamburg, meinem einsamen Witwensitz, und daß die Herren das Ihrige dazu beitragen, mich wieder lachen zu lehren.“

„Würde ich außerordentlich gern übernehmen!“ scherzte Alten. „Aber jetzt, jetzt, meine Gnädige, an dem Grabe des Herrn Ericius solche Gedanken auch nur fassen, ist einer frommen Seele unmöglich.“

„Aufrichtig, dieser Spott gefällt mir nicht!“ wandte Bianca kopfschüttelnd ein. „Herr Ericius war doch Ihr Vorgesetzter, ein tüchtiger Mann und –“

„Wohl, meine Gnädige, das letzte ist wahr! Aber bedingt das denn Liebe?“

„Nein, aber – Pietät, ein pietätvolles Gedächtniß. Ueber Todte soll man nur Gutes sagen.“

„Hm! – hm!“ stieß Alten heraus. „Wir wollen einmal ganz unbefangen sprechen, nicht als angelernte Kulturmenschen, die sich meistens etwas vorgaukeln, sondern als ehrliche Naturkinder. Der verstorbene Herr John Ericius war mir über die Maßen zuwider. Er ging einher und trat auf, als ob er über die Welt zu herrschen habe. Ich bin überzeugt, wenn der liebe Gott einmal zu uns herniederstiege, er würde bescheidener auftreten. Alle Menschen sah Herr Ericius eigentlich als seine Diener an, legte dabei im allgemeinen verzweifelt wenig Lebensart an den Tag und glaubte, wenn er zahle, zahle, zahle, seinen verdammten Mammon hinwerfe, daß er dann der beste und vortrefflichste unter den Sterblichen sei. Natürlich! Solche Art Menschen werden angestaunt und bewundert, weil die Welt sich nur allzugern beherrschen und knechten läßt, weil die Menschen meist ohne Spur von eigenem Rückgrat umherlaufen und deshalb vor Erstaunen darüber, daß andere ein solches besitzen, ehrerbietigst mit der Nase den Boden berühren.“

„Nun ja!“ warf Bianca ein. – „Das ist doch auch etwas. Sie gestehen selbst zu, daß der Verstorbene ein Rückgrat besaß, das heißt, daß er ein Mann war. Fordert das nicht zum Respekt heraus?“

„Diesen habe ich ihm nie verweigert, meine gnädige Baronin. Bitte, unterscheiden Sie wohl! Ich sagte nur, er sei mir zuwider gewesen und ich könne deshalb über seinen Tod keine Thränen vergießen, ich wolle nicht etwas heucheln, was nicht in mir sei. – Und ferner: ein Mann kann fest, gerecht, ernst, besonnen und weise sein, aber er braucht nicht zu verleugnen, daß er ein Mensch ist. Sehen Sie Ihren Bruder Richard an! Der ist ein Mann, das Ideal eines Mannes!“

Biancas Augen leuchteten. Es war ihr eigenster Gedanke, dem Alten mit diesem Urtheil über ihren Bruder Ausdruck verlieh; und ein Mann, eln starker, zielbewußter Mann war auch Alten bei all seiner zur Schau getragenen Weltverachtung.

Eben trat Tromholt wieder ins Gemach und das Gespräch ward unterbrochen. Aber Richards Mienen waren nicht heiter.

„Schon wieder eine Unglücksbotschaft,“ sagte er; „der rothe Jeppe spukt hier in der Gegend, und die Gendarmen können ihn nicht erwischen; es scheint, daß er irgendwo einen Schlupfwinkel gefunden hat. Nach Trollheide hat er einen Brandbrief geschickt, und am Ende führt er seine Drohung doch noch aus, wenn man ihm nicht scharf auf die Finger sieht. Vielleicht hat er’s gar auf Limforden abgesehen und sucht nur unsere Wachsamkeit zu täuschen und abzulenken. Ich weiß wirklich nicht, ob ich Dich hier lassen darf, Bianca, so allein, wenn wir nach Kiel reisen.“

„Oho, Richard!“ widersprach Bianca, „Du traust mir doch sehr wenig Muth zu!“

„Für alle Fälle könnte ich ja hier bleiben!“ warf Herr von Alten eifrig ein. „Unter den Leidtragenden bin ich zudem entbehrlich.“

„Nein, Alten, Sie müssen sich anschließen, das erfordert der Anstand und Ihr eigenes Interesse,“ entgegnete ihm Tromholt ernst. „Aber wir könnten – –“

„Etwa eine Leibgarde für mich errichten, Kanonen aufpflanzen und den großen Belagerungszustand über das Gut aussprechen?“ unterbrach ihn scherzend Bianca. „Nein, meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre Besorgniß um mein Leben, aber ich bin groß genug, mich selbst zu schützen, und die schlechte Meinung, die Sie von meinem Muth zu haben scheinen, macht es mir geradezu zur Pflicht, Ihnen das Gegentheil zu beweisen. Reisen Sie glücklich und kehren Sie mit guten Nachrichten wieder, ich halte inzwischen den Platz – oder,“ fügte sie nach einer Pause nicht ohne einen leisen Anflug von Koketterie hinzu, „ich reise mit, um nie wiederzukommen.“

„Alles, nur das nicht!“ rief Alten in einem Ton, der zwischen Scherz und Ernst schwankte, „da fügen wir uns lieber Ihrem Willen!“

„Schön!“ stimmte jetzt auch Richard, seine Besorgnisse unterdrückend, zu. „Wir werden ja überdies kaum länger als zwei Tage ausbleiben.“

Dann entfernte er sich mit Alten, um insgeheim doch einige Vorkehrungen für Biancas Sicherheit zu treffen.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_463.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)