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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Was, das nennst Du mit der Thür ins Haus fallen?“ rief der Oberforstmeister entrüstet. „Vor fünf Jahren habe ich Dir den ersten Antrag gemacht, vor einem Jahre den zweiten, jetzt komme ich zum dritten Male, und Du hast noch nicht genug Zeit zur Ueberlegung gehabt? Ja ober nein? Wenn Du mich jetzt wieder fortschickst, komme ich nicht wieder, verlaß Dich darauf, und dann hole die ganze Freierei der Kuckuck!“

Regine antwortete nicht, aber es war nicht Unentschlossenheit, die sie zögern ließ. Auch diese derbe, urwüchsige Natur trug ein Stück Poesie tief im Herzen, die Liebe zu dem Manne, der einst ihr Gatte hatte werden sollen, zu Hartmut von Falkenried. Als er eine andere heimführte, da hatte sie freilich auch einem anderen die Hand gereicht, denn sie war nicht geschaffen, ihr Leben nutzlos zu vertrauern; aber dasselbe bittere Weh, das sich damals in dem Inneren des jungen Mädchens geregt hatte, als es vor den Altar trat, wachte jetzt wieder auf in dem Herzen der alternden Frau und schloß ihr die Lippen. Doch das dauerte nur wenige Minuten, dann warf sie entschlossen den Erinnerungstraum von sich und streckte ihrem Schwager die Hand hin.

„Nun denn, ja, Moritz! Ich will Dir eine gute und treue Frau sein!“

„Gott sei Dank!“ rief Schönau, mit einem tiefen Athemzuge, denn er hatte dies Zögern für die Vorbereitung zu einem dritten Korbe gehalten. „Das hättest Du eigentlich schon vor fünf Jahren sagen können, Regine, aber besser spät als gar nicht. Endlich sind wir so weit!“

Und damit schloß der beharrliche Freier die nun doch noch errungene Lebensgefährtin herzlich in die Arme. –




Es war ein heißer Sommertag und selbst im Walde fühlte man etwas von der Sonnengluth, die draußen auf Wiesen und Feldern flimmerte. Auf dem Waldwege, unter den hohen Föhren, schritt eine kleine Gesellschaft dahin, General Falkenried mit Sohn und Tochter, die ihm bei dem Besuche, den er in Burgsdorf abstatten wollte, noch eine Strecke das Geleit gaben.

Falkenried war freilich ein anderer geworden, als er in den letzten zehn Jahren gewesen war. Der Krieg, der trotz aller Siege und Triumphe so manchem der Zurückgekehrten verhängnißvoll wurde und ihn vor der Zeit altern ließ, schien für ihn ein Verjüngungsquell gewesen zu sein. Wohl waren das weiße Haar und die tiefdurchfurchten Züge geblieben als unverwischbare Zeugen einer bitteren, schweren Zeit, aber diese Züge hatten doch wieder Leben, die Augen wieder Feuer gewonnen, und man sah es jetzt auf den ersten Blick, daß der Mann kein Greis war, sondern noch in der Fülle der Kraft und des Lebens stand.

Der Sohn Falkenried war in der That noch nicht völlig wiederhergestellt, das verrieth sein Aeußeres. Ihn hatte das Kriegsleben nicht verjüngt, er war im Gegentheil älter, ernster geworden, und das noch immer so bleiche Antlitz, die breite, dunkelrothe Narbe auf der Stirn redeten von einer schweren Leidenszeit. Die an sich nicht allzuschwere Kopfwunde war durch den starken Blutverlust, durch die Ueberanstrengung bei dem nächtlichen Ritte und die eisige Kälte so gefahrdrohend geworden, daß man anfangs alle Hoffnung aufgab und es monatelanger Pflege bedurfte, um Hartmut dem Leben wiederzugeben. Aber in dieser Leidenszeit war auch der alte Hartmut, der Sohn Zalikas mit ihrem wilden Blute und ihrem zügellosen Lebensdrange, zu Grunde gegangen. Es schien, als wäre mit dem Namen Rojanow, den er für immer von sich geworfen hatte, auch das unselige Erbtheil der Mutter begraben. Die dunklen, dichten Locken fingen eben erst wieder an, zu wachsen, aber um so deutlicher trat die hohe, machtvoll gewölbte Stirn hervor und damit auch die Aehnlichkeit mit dem Vater.

Die junge Frau an seiner Seite dagegen blühte in der vollen Schönheit der Jugend und des Glückes. Wer sie früher gesehen hatte in ihrer stolzen Kälte, ihrer eisigen Unnahbarkeit, der hätte sie kaum wiedergefunden in dieser schlanken, blonden Erscheinung, in dem einfachen, lichten Sommerkleide, mit dem Sträußchen eben erst gepflückter Waldblumen in der Hand. Das Lächeln und den Ton, mit dem sie zu dem Gatten und dem Vater sprach, hatte Frau von Wallmoden freilich nie gekannt, das hatte erst Ada Falkenried gelernt.

„Nun aber nicht weiter!“ sagte der General, stehen bleibend. „Ihr habt den ganzen Rückweg zu machen, und Hartmut darf sich noch nicht allzuviel zumuthen, der Arzt verlangt dringend, daß er sich noch schont.“

„Wenn Du nur wüßtest, Vater, wie niederdrückend es ist, immer noch als Kranker zu gelten, wenn man längst schon wieder Kraft und Leben in sich fühlt,“ warf Hartmut unmuthig ein. „Ich bin wirklich kräftig genug –“

„Um das eben erst gewonnene wieder aufs Spiel zu setzen,“ ergänzte der Vater. „Geduldig zu sein hast Du noch immer nicht gelernt, aber zum Glück weiß ich Dich unter Adas Aufsicht, und sie ist streng in diesem Punkte.“

„Ja, wenn Ada nicht gewesen wäre, gäbe es wohl überhaupt nichts mehr zu schonen,“ sagte Hartmut, mit einem Blick inniger Zärtlichkeit auf seine Gattin. „Ich glaube, es stand ziemlich hoffnungslos mit mir, als sie zu mir kam.“

„Die Aerzte wenigstens gaben mir keine Hoffnung, als ich die Depesche absandte, die Ada zu Dir rief. Du verlangtest in der ersten Minute des Bewußtseins nach ihr, zu meiner grenzenlosen Ueberraschung, denn ich ahnte nicht, daß Ihr Euch überhaupt kanntet.“

„War Dir das vielleicht nicht recht, Papa?“ fragte die junge Frau, lächelnd zu dem Vater aufblickend, der sie an sich zog und einen Kuß auf ihre Stirn drückte.

„Du weißt am besten, was Du mir und Hartmut bist, mein Kind! Ich danke Gott, daß ich ihn unter Deiner Pflege zurücklassen konnte, als ich weiter mußte. Und Du hattest auch recht, als Du ihn jetzt bestimmtest, hierzubleiben, obwohl der Arzt ihn fortschicken wollte. Er muß erst wieder heimisch werden im Vaterlande, muß die Heimath erst wieder verstehen und lieben lernen, der er so lange entfremdet war.“

„Erst lernen?“ fragte Ada vorwurfsvoll. „Was er Dir und mir heute vorlas, das zeigt doch wohl, daß er es längst schon gelernt hat, wenn seine jetzige Dichtung auch eine andere Sprache redet, als die wilde, flammensprühende ‚Arivana‘.“

„Ja, Hartmut, Dein neues Werk ist etwas werth,“ sagte Falkenried, seinem Sohne die Hand reichend. „Ich glaube, das Vaterland wird noch einmal Ehre erleben an meinem Jungen, auch in Friedenszeiten.“

Hartmuts Augen leuchteten auf, während er den Händedruck erwiderte. Er wußte, was dies Lob im Munde seines Vaters bedeutete.

„Und nun lebt wohl!“ rief der General, seine Schwiegertocher noch einmal zum Abschied küssend. „Ich fahre von Burgsdorf sogleich nach der Stadt, aber in einigen Tagen sehen wir uns wieder. Lebt wohl, Kinder!“

Als er zwischen den Bäumen verschwunden war, traten Hartmut und Ada den Rückweg an, der sie an dem Burgsdorfer Weiher vorüberführte. Sie blieben unwillkürlich stehen und blickten auf das stille, kleine Gewässer, das in seinem Kranze von Schilf und Wasserrosen so leuchtend im Sonnenscheine lag.

„Hier habe ich so oft die Knabenspiele mit Willy getrieben,“ sagte Hartmut leise, „und hier entschied sich mein Schicksal, an jenem verhängnißvollen Abende. Ich weiß es erst jetzt voll und ganz, was ich meinem Vater anthat in dieser unseligen Stunde.“

„Aber Du hast es doch ganz und voll gut gemacht,“ erwiderte Ada, indem sie ihr Haupt an die Schulter des Gatten lehnte. „Auch vor der Welt ist es ausgelöscht, das zeigt Dir die Bewunderung und Anerkennung, die Dich und den Vater von allen Seiten überströmte, als es bekannt wurde, wer die Heldenthat vollbracht hatte.“

Hartmut schüttelte ernst und düster den Kopf.

„Es war eine Verzweiflungsthat, kein Heldenthum. Ich glaubte nicht, daß sie gelingen werde, niemand glaubte es; aber selbst wenn ich gefallen wäre, hätte ich mir mit jenem Ritt durch die Feinde die verlorene Ehre zurückerobert. Das wußte Egon, und darum legte er die Rettung in meine Hand. Als wir damals Abschied nahmen, in der eisigen Winternacht, in den zerschossenen Mauern des kleinen, halb zerstörten Gotteshauses, da fühlten wir es wohl, daß es ein Abschied für immer war, aber wir glaubten beide, ich würde das Opfer sein, denn ich ging ja einem beinahe gewissen Tode entgegen. Das Schicksal hatte es anders beschlossen, es führte mich wie mit Geisterhand mitten durch Gefahren, denen ich nach menschlicher Voraussicht erliegen mußte, bis zu meinem Ziele, und fast in derselben Stunde fiel Egon! – Du brauchst die Thränen nicht vor mir zu verbergen, Ada, ich bin nicht eifersüchtig auf den Todten. Ich habe ihn ja so geliebt, wie er – Dich liebte.“

„Eugen brachte mir seinen letzten Gruß,“ sagte die junge Frau, der die heißen Thränen im Auge standen, die sie anfangs dem Gatten nicht hatte zeigen wollen. „Und auch Stadinger schrieb mir, um den Auftrag seines sterbenden Herrn zu erfüllen.

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