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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

wiederhergestellt. Du sahst es ja, wie bleich er noch war bei der Trauung. Adelheids erste Vermählung ist allerdings glanzvoller gefeiert worden, ihr Vater bestand darauf trotz seines leidenden Zustandes, und die Braut war in ihrer Atlasschleppe und ihren Spitzen und Diamanten eine wahrhaft königliche, wenn auch kalte Erscheinung. Jetzt freilich sah sie anders aus, als sie mit ihrem Hartmut vor den Altar trat, in dem einfachen weißen Seidenkleide und dem duftigen Schleier! So habe ich sie überhaupt noch niemals gesehen im Leben! Der arme Herbert! Er hat nie die Liebe seiner Frau besessen."

„Wie kann man eine so alte Excellenz im Diplomatenfrack lieben! Ich hätte es auch nicht gekonnt,“ rief Marietta vorlaut; aber da kam sie übel an bei der Schwiegermutter, die das Andenken ihres Bruders hoch in Ehren hielt.

„Du wärst wohl auch nie in diese Nothwendigkeit gekommen,“ versetzte sie gereizt. „Um Dich hätte ein Mann wie Herbert von Wallmoden schwerlich geworben, Du kleines, übermüthiges Ding –“

Sie kam nicht weiter in ihrer Strafpredigt, denn der kleine Uebermuth hing bereits an ihrem Halse und schmeichelte:

„Nicht böse, Mama! Ich kann doch nicht dafür, daß mir mein undiplomatischer Willy lieber ist als alle Excellenzen der ganzen Welt – und Dir ist er es auch, gelt, Mama?“

„Du Schmeichelkätzchen!“ sagte Regine mit einem vergeblichen Versuche, ihre strenge Miene festzuhalten, „Du weißt es recht gut, daß man Dir nicht böse sein kann, und hier in Burgsdorf wird nun wohl eine Pantoffelwirthschaft anfangen, wie sie noch nicht dagewesen ist. Augenblicklich schämt sich Willy noch etwas vor mir, aber wenn ich erst fort bin, ergiebt er sich Dir auf Gnade und Ungnade.“

„Mama, hältst Du denn noch immer fest an dem Gedanken?“ fragte Willibald vorwurfsvoll. „Jetzt willst Du gehen, wo alles Liebe und Frieden zwischen uns ist?“

„Gerade jetzt gehe ich, damit es Frieden bleibe! Rede mir nicht darein, mein Sohn! Ich muß nun einmal die Erste sein da, wo ich lebe und schaffe. Das willst Du jetzt auch sein, also taugen wir nicht mehr zusammen, und Deine kleine Prinzessin wird auch nicht böse darüber werden. Bis jetzt hatten wir genug zu thun mit der Angst und Sorge um Dich. und man zankt sich nicht, wenn man jeden Tag von neuem für den Sohn und Mann zittern muß. Nun ist das vorbei, und ich bin doch noch zu sehr vom alten Schlage, um mich in die Jugend finden zu können. Macht, was Ihr wollt, aber in meinem Hause muß es nach meinem Kopfe gehen, und deshalb ziehe ich fort.“

Sie wandte sich um und ging in das Haus, während der junge Gutsherr ihr mit einem halb unterdrückten Seufzer nachblickte.

„Vielleicht hat sie recht,“ sagte er leise; „aber sie wird sich unglücklich fühlen bei dem Alleinsein und ohne die langgewohnte Thätigkeit. Sie hält die erzwungene Ruhe nicht aus, ich weiß es. Du hättest sie doch auch bitten sollen, zu bleiben, Marietta!“

Die junge Frau legte das krauslockige Köpfchen an die Schulter ihres Mannes und sah schelmisch zu ihm auf.

„O nein, ich thue etwas Besseres. Ich sorge dafür, daß die Mama nicht unglücklich wird, wenn sie von uns geht.“

„Du? Wie willst Du denn das anfangen?“

„Ganz einfach – ich verheirathe die Mama.“

„Aber Marietta, was fällt Dir ein?“

„O Du kluger Willy, hast Du wirklich gar nichts gemerkt?“ lachte Marietta auf; es war das alte, silberhelle Lachen, womit sie ihn schon damals in Waldhofen so berückt hatte. „Du ahnst also gar nicht, weshalb der Onkel Schönau in so grimmiger Laune war, als wir ihn vor drei Tagen in Berlin trafen, und weshalb er durchaus nicht nach Burgsdorf kommen wollte, obgleich wir ihn dringend einluden? Die Mama lud ihn nicht ein, weil sie einen neuen Heirathsantrag fürchtete, er verstand das, und darum war er so wüthend. Ich wußte schon längst Bescheid; schon damals, als die Mama zu uns nach Waldhofen kam und er ihr so bitter vorwarf, daß sie ihn nur als Nebenperson bei einer Hochzeit verwenden wollte, merkte ich, daß er gern die Hauptperson wäre. – Willy, jetzt machst Du aber ein köstliches Gesicht! Jetzt siehst Du gerade wieder so aus wie im Anfange unserer Bekanntschaft.“

Der junge Gutsherr sah in seiner grenzenlosen Ueberraschung allerdings nicht sehr geistreich aus. Er hatte nie an die Möglichkeit gedacht, daß sich seine Mutter wieder vermählen könnte, und nun vollends mit ihrem Schwager! Aber es leuchtete auch ihm ein, daß dies ein ganz vorzüglicher Ausweg wäre.

„Marietta, Du bist unendlich klug!“ rief er, voll Bewunderung seine Frau anstaunend, die das mit höchster Genugtuung hinnahm.

„Ich bin noch viel klüger, als Du glaubst,“ triumphirte sie, „denn ich habe die Sache wieder in Ordnung gebracht. Ich machte mich an den Onkel Schönau und gab ihm zu verstehen, daß, wenn er jetzt nochmals Sturm liefe, die Festung sich wohl ergeben würde. Er brummte zwar gewaltig und meinte, er habe genug davon und wolle nicht wieder zum Narren gemacht werden; aber er überlegte sich die Sache schließlich doch. Vor einer Viertelstunde kam er an, ich durfte der Mama aber nichts davon sagen und – da ist erl“

Sie wies auf den Oberforstmeister, der soeben auf die Terrasse trat und die letzten Worte hörte.

„Ja, da bin ich!“ bekräftigte er; „aber gnade Gott der kleinen Frau, wenn sie mich hinters Licht geführt hat, auf ihre Verantwortung allein bin ich gekommen. Sie wird Dir wohl Bescheid gesagt haben, Willy, wie es mit uns steht, das heißt, mit mir, denn Deine Frau Mutter ist natürlich wieder unvernünftig, eigensinnig, starrköpfig, wie sie das gewöhnlich ist – aber heirathen will ich sie doch.“

„In Gottes Namen, Onkel, wenn sie Dich nur will!“ rief Willibald, der doch nicht umhin konnte, diese Schilderung seiner Mutter von seiten eines Freiers etwas sonderbar zu finden.

„Ja, das ist eben die Frage,“ sagte Schönau bedenklich, „aber Deine Frau meint –“

„Ich meine, daß wir keine Minute mehr verlieren dürfen,“ fiel Marietta ein. „Die Mama ist in ihrem Zimmer und ahnt nichts von dem Ueberfall. Willy und ich bleiben im Hinterhalte, und im allerschlimmsten Falle greifen wir auch in das Gefecht ein. Vorwärts Onkel, vorwärts Willy!“

Und Frau Marietta von Eschenhagen schob mit ihren kleinen, zierlichen Händchen den stattlichen Oberforstmeister und ihren riesigen Ehegemahl ohne weiteres vorwärts; sie ließen sich auch ganz geduldig schieben und Schönau brummte nur:

„Merkwürdig, das Kommandiren verstehen sie alle, groß oder klein – das ist ihnen angeboren!“

Regine von Eschenhagen stand am Fenster ihres Zimmers und blickte hinaus auf ihr geliebtes Burgsdorf, das sie in wenigen Tagen verlassen wollte. So sehr sie auch von der Nothwendigkeit dieses Entschlusses überzeugt war, leicht wurde er ihr nicht. Die kräftige, rastlos thätige Frau, die dreißig Jahre lang an der Spitze eines großen Hauswesens gestanden hatte, empfand ein Grauen vor der Ruhe und Unthätigkeit, die ihrer warteten. Sie hatte dies Stadtleben ja bereits kennengelernt bei jener ersten Trennung von ihrem Sohne und sich grenzenlos unglücklich darin gefühlt. Da öffnete sich die Thür und der Oberforstmeister trat ein.

„Moritz, Du bist es?“ fuhr Regine überrascht auf. „Das ist vernünftig, daß Du doch gekommen bist.“

„Ja, ich bin immer vernünftig,“ sagte Herr von Schönau sehr anzüglich. „Du hattest zwar nicht die Gnade, mich einzuladen, aber ich wollte mir doch persönlich Deine Zusage für Tonis Hochzeit holen. Du kommst doch mit Deinen Kindern nach Fürstenstein?“

„Gewiß kommen wir, aber wir waren alle überrascht von dieser Eile. Du wolltest dem jungen Paare doch erst ein Gut kaufen, und das geht sonst nicht so über Hals und Kopf.“

„Nein, aber geheirathet muß trotz alledem werden. Unsere Herren Krieger sind etwas anspruchsvoll geworden nach ihren Heldenthaten. Walldorf erklärte mir nach der Rückkehr kurz und bündig: ‚Papa, Du hast mir beim Abschiede gesagt: Erst siegen und dann heirathen! Nun habe ich gesiegt und nun heirathe ich und warte nicht länger. Der Gutskauf hat Zeit, die Hochzeit aber nicht, denn die ist das Wichtigste!‘ Und da Toni gleichfalls von dieser Wichtigkeit durchdrungen war, so blieb mir nichts übrig, als den Hochzeitstag anzusetzen.“

Frau von Eschenhagen lachte.

„Ja, die Jugend ist schnell bei der Hand mit dem Heirathen, und sie hat doch Zeit zum Warten.“

„Das Alter aber nicht!“ fiel Schönau ein, der nur nach einem Anknüpfungspunkte suchte und sich schleunigst dieser Aeußerung bemächtigte. „Hast Du Dir die Geschichte nun endlich überlegt, Regine?“

„Welche Geschichte?“

„Nun, unsere Heirath. Hoffentlich bist Du jetzt in der ‚Stimmung‘ dazu.“

Regine wandte sich etwas verletzt ab.

„Du liebst es, mit der Thür ins Haus zu fallen, Moritz. Wie kommst Du denn so plötzlich darauf?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_442.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)