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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

während 50 ausgesuchte Leute als Vorhut voraufmarschirten, um Haumesser und Axt zu handhaben, die jüngeren Bäume zu fällen, von den Stämmen einen handbreiten Streifen Rinde abzuschälen[1], die Blätter und Sprossen des Rotangs zu durchhauen, alle den freien Durchzug der Hunderte von beladenen Trägern hindernden Zweige zu entfernen, Bäume für den Uebergang über Flüsse zu fällen und nach Beendigung des Tagemarsches aus Buschwerk und Zweigen Seribas oder Bomas (Dornverhaue) und das Hüttenlager zu bauen. Die Vorhut muß den Pfad aussuchen oder, wenn keiner zu finden ist, die schmalste Stelle des Dickichts wählen und sich sofort durchbohren, da es außerordentlich ermüdend ist, mit einer schweren Last auf dem Kopfe in der erhitzten Atmosphäre still zu stehen. Findet sich kein dünneres Dickicht, dann geht es irgendwo hindurch, so undurchdringlich die Stelle auch erscheinen mag; die Leute müssen tüchtig darauflos hacken, sonst entsteht unter den ungeduldigen Trägern hinter ihnen ein unheilverheißendes Murren.“

Aber die Bezeichnung Wald genügt uns nicht, um die Schwierigkeiten des Marsches zu verstehen. Afrika hat verschiedene Wälder; trockene lichte Wälder im Osten, wo die Bäume ohne Unterholz, mit spärlichem Laub behangen, schattenlos weit auseinander stehen – der innerafrikanische Urwald am Aruwimi und oberen Kongo ist anders beschaffen. Einige Auszüge aus Stanleys Schilderung desselben mögen uns in seine düsteren Hallen einführen:

„Man denke sich das ganze Frankreich und die Iberische Halbinsel besetzt mit Bäumen von 6–50 m Höhe, glatten Stämmen, deren Blattkronen sich so nahe befinden, daß sie sich untereinander verwickeln und den Anblick des Himmels und der Sonne verhindern, Bäume, die bald wenige Centimeter, bald über einen Meter dick sind. Alsdann laufen von einem Baum zum andern Taue von 5–40 cm Durchmesser, welche die Form von Schlingen und Festons, eines lateinischen W und eines schlecht geschriebenen lateinischen M haben oder sich in großen dichten Kreisen wie endlose Anakondaschlangen um die Stämme ringeln, bis sie die höchste Spitze erreicht haben. Laß sie üppig blühen und Blätter treiben und sich mit dem Blattwerk der Bäume vereinigen, um die Sonne zu verbergen, laß von den höchsten Zweigen die Taue zu Hunderten bis nahe auf den Erdboden, mit ausgefransten Enden, welche die Luftwurzeln der Epiphyten (Schmarotzerpflanzen) repräsentiren, herabfallen und schlanke Ranken mit offenem Faserwerk an den Enden wie Troddeln herabhängen! Arbeite alles gehörig durcheinander, so wirr wie möglich und von einem Zweig zum andern, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Bestandtheile, und pflanze an jeder gabelförmigen Stelle der Bäume und auf jeden horizontal stehenden Ast kohlartige Baumflechten von der größten Art, Pflanzen mit breiten speerförmigen Blättern, welche die Elefantenohr-Pflanze[2] darstellen, sowie an andern Stellen Orchideen und Gruppen vegetabilischer Wunderwerke, drapiert mit den viel vorkommenden Farnen! Nunmehr bedecke Baum, Ast, Zweig, Schlinggewächs mit dickem Moos wie mit einem grünen Pelz! Wo der Wald kompakt ist, braucht man nur noch den Boden dicht mit dickem Phryniumgesträuch, Amomum und zwerghaftem Gebüsch zu bepflanzen. Wenn aber, wie es häufig vorkommt, der Blitz die Krone eines stolzen Baumes abgeschlagen und das Sonnenlicht hereingelassen, wenn er einen Waldriesen bis zu den Wurzeln hinab zersplittert hat und der Stamm verdorrt, wenn ein Wirbelsturm einige Bäume entwurzelt hat, dann schießen eine Menge junger Stämme im Wettlauf um Luft und Licht in die Höhe, drängen sich, brechen sich, treten sich und ersticken sich gegenseitig, bis das Ganze ein undurchdringliches Dickicht bildet. –

Um das geistige Bild des unbarmherzigen Waldes zu vollenden, muß der Erdboden noch dick mit halbfertigem Humus aus vermoderten Blättern, Stielen und Zweigen bedeckt sein; alle paar Meter sollte ein gestürzter Riese liegen, eine dünstende Mischung von verwesenden Fibern, abgestorbenen Generationen von Insekten und lebenden Ameisenkolonien, halb verborgen unter der Masse von Reben und umgeben von dem Blattwerk einer Menge junger Bäumchen, langer Epheuranken und viele Meter hoher Rotangpalmen; und jeden Kilometer müßte ein schlammiger Fluß, ein stagnirender Bach oder flacher Tümpel kommen, bedeckt mit Wasserlinsen, Lotus- und Lilienblättern und einem fettigen, grünen Schaum, der aus Millionen von Pflanzentheilen besteht. Bevölkere dann diese ungeheuere Waldgegend mit unzähligen Fragmenten von Völkerstämmen, die untereinander im Kriege sind, 15 bis 80 Kilometer von einander getrennt inmitten der zu Boden gestürzten Bäume, zwischen denen sie Paradiesfeigen, Bananen, Maniok, Bohnen, Tabak, Kolokasien, Kürbisse, Melonen u. s. w. gepflanzt haben, leben und, um ihre Dörfer unzugänglich zu machen, jedes Vertheidigungsmittel angewandt haben, welches die Natur und das Leben im Walde den Wilden in die Hand gegeben hat. Sie haben Holzsplitter eingegraben und schlau unter scheinbar zufällig dort liegenden Blättern verborgen, nicht nur auf ihren Pfaden, sondern auch an der Seite von Baumstämmen, sodaß der Eindringling, wenn er mit dem nackten Fuße darauf tritt, sich diesen durchbohrt und entweder an dem auf die Holzstücke geschmierten Gift stirbt oder Monate lang lahm bleibt. Sie haben die Aeste aufgethürmt und mit den großen Bäumen Verhaue hergestellt, hinter denen sie mit Köchern voll vergifteter Pfeile und mit im Feuer gehärteten und mit Gift bestrichenen hölzernen Speeren im Hinterhalte liegen.

Der Urwald, d. h. das alte, vom Menschen noch nicht berührte und seit den frühesten Zeiten sich überlassen gebliebene Wachsthum, ist leicht von demjenigen Theil zu unterscheiden, der früher oder später einmal den Menschen Schutz gewährt hat. Die Bäume sind höher und gerader und haben einen kolossaleren Umfang, es finden sich öfter Durchgänge, wo der Marsch weniger Schwierigkeiten bietet und das Hinderniß unabänderlich in Arum, Phrynium und Amomum besteht. Der Grund ist fester und kompakter, und es befinden sich an solchen Stellen die Lieblingslagerplätze der zwerghaften Nomaden. Wenn die Pflanzen und kleinen Büsche weggehauen werden, hat man einen luftigen, kühlen Waldtempel, in dem sich angenehm leben läßt.“ –

Wild giebt es wohl in diesem Walde, aber man sieht es nicht, denn der Lärm der Karawane verscheucht es. Auf die Jagd zu gehen, ist gefährlich, denn wer sich hier verirrt, der ist rettungslos verloren, der Wald giebt nichts wieder heraus, wie das Wasser hinter dem Kiel des Schiffes schließt er sich hinter dem Verlorenen. Vögel hört man überall, aber sie sitzen unerreichbar wie auf dem Dache eines 15 Stockwerke hohen Hauses. Zahllos sind die Insekten, mit deren Beschreibung man ganze Bücher füllen könnte, die aber auch zahllose Plagen über den Wanderer verhängen. „Diese großen und kleinen Bienen, die Wespen, die Herden von Motten zur Nachtzeit, die Haus-, Tsetse-, Viehfliegen, Mücken und Schmetterlinge bei Tage, die riesenhaften Käfer, welche, durch das Licht im Zelte angezogen, durch die Dunkelheit dahersegelten, wüthend gegen die Leinwand stießen, in ihrem Zorn, immer mit heiserem Brummen, von einer Seite nach der andern zurückgeworfen wurden und schließlich mit lärmender Wuth sich auf mein Buch oder mein Gesicht stürzten, als wollten sie aus irgend einem Grunde Rache an mir nehmen; dann die Schwärme von Ameisen, welche auf meinen Teller marschirten, in meine dünne Suppe liefen und über meine Bananen krochen, die Heimchen, welche wie Dämonen umhersprangen und sich mir auf den Kopf oder die Stirn setzten, die Cikaden, deren schrilles Zirpen einen noch verrückter machte, als die hysterischen heulenden Manjemafrauen. Der Pascha (Emin) behauptet, diese Stämme zu lieben, ich gestehe aber, ich habe ihnen so viel Schaden wie möglich zugefügt.“

Da gab es kleine Bienen, deren beliebteste Angriffspunkte Augeb, Ohren und Nasenlöcher waren, kleine Käfer, die durch ein Nadelöhr hätten schlüpfen können und, durch ein Vergrößerungsglas betrachtet, besonders auf das Peinigen des Menschen eingerichtet zu sein schienen. „Selbstverständlich waren auch unsre alten Freunde, die Moskitos, in zahllosen Scharen auf den größeren Lichtungen. Wenn wir aber bei Tage von Ameisen und unzähligen Arten von Insekten gebissen und gestochen wurden, was, wie jeder zugeben wird, ebenso schlimm ist, als ob man mit Nesseln gepeitscht würde, so hatte auch die Dunkelheit ihre Unruhe, Schrecknisse und Aengste. In der Stille der Nacht, wenn die ganze Karawane im Schlummer lag, wurde plötzlich jeder von einer Reihe von Explosionen erweckt. Allnächtlich wurde ein großer Baum vom Blitze getroffen und war die Gefahr vorhanden, daß die Hälfte des Lagers von dem fallenden Stamme zermalmt wurde; das Rauschen der Aeste während eines Sturmes war wie das Getöse der Brandung und das Rollen der Wogen am Strande. Wenn es regnete, vermochte keine Stimme im Lager sich Gehör


  1. Zeichen für die Nachfolgenden, damit sie den Weg finden.
  2. Großblätterige Farrnkräuter, die auf Baumästen wachsen und Elefantenohren ähnlich sehen, weshalb sie von Schweinfurth Platycerium elephantotis benannt wurden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_430.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2023)