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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

der Anschauung, persönliche Kränkungen mitgewirkt haben, um die Kluft zu erweitern. Leider hat bis jetzt nur der eine Theil gesprochen, und darum ist die Streitfrage keineswegs aufgehellt.

Wie aber auch die Verhältnisse in Wirklichkeit beschaffen sein mögen, die Gestalt Emins kann durch die Anklagen Stanleys nicht verkleinert werden, sie bleibt dieselbe, wie sie uns aus den früheren Mittheilungen Felkins, Junkers und Schweinfurths, aus den eigenen Briefen Emins bekannt ist. Emin bleibt für uns, was er uns war. Er ist kein General, das wußten wir längst; aber er ist muthig und unerschrocken, ein Mann der rastlosen Arbeit, ein Mann, dessen Herz auch für den Neger schlägt, ein Mann, den Afrika braucht; er ist, um einen treffenden Ausdruck zu gebrauchen, „ein Kolonist, der ein rechter Mensch ist“.

Und Stanley? Wenn er im englischen Interesse gewirkt hat, so darf uns das billigerweise nicht befremden. Das steht aber auch fest, daß er unbekümmert um Gefahren und die schlimmsten Entbehrungen den Bedrängten Hilfe bringen wollte, daß er mit eiserner Entschlossenheit die übernommene Aufgabe zu vollbringen bestrebt war. Auch er hat Großartiges geleistet in der Art, wie er litt und wie er stritt, um die Vorräthe an Pulver zu unserem tapferen Landsmann nach Aequatoria zu bringen.

Der Kirangosi oder vorderste Mann der Kolonne.

Lassen wir darum, wenn wir den Leser in das neueste Werk Stanleys einführen sollen, für jetzt den politischen und persönlichen Streit bei Seite, betrachten wir Stanley als Führer, als Forscher! Das ist erfreulicher, trotz der Tragik, mit welcher die betreffenden Seiten des spannenden Werkes gefüllt sind. Greifen wir die Ereignisse heraus, deren Schauplatz die düsteren Wälder im Herzen Afrikas bilden!

Unsere Leser wissen, daß Stanley seine Truppe nach Jambuja, einer Reihe von Dörfern am Aruwimi, dem Nebenflusse des Kongo, gebracht hatte. Von hier wollte er nach dem Albertsee vordringen und hatte durch Boten, die von der Ostküste abgesandt wurden, Kawalli am Südende des Sees Emin Pascha als den Vereinigungspunkt bezeichnet.[1] Tippu-Tib, der bekannte Araberhäuptling, hatte versprochen, 600 Träger zu stellen. Bevor aber diese erschienen waren, brach Stanley mit einer Vorhut von 389 Mann mit 357 Gewehren und einer Schnellfeuerkanone sowie einem zerlegbaren Boote nach dem Albertsee auf, um baldigst die erste Hilfe zu bringen. Major Barttelot sollte mit der Nachhut folgen.

Am 28. Juni 1887 hatte die Marschkolonne am Ende der Dörfer von Jambuja Halt gemacht.

„Welches ist der Weg, Führer?“ fragte Stanley den „Kirangosi“, den wahrscheinlich stolzesten Mann der ganzen Kolonne – denn es ist ein höchst erhebendes Gefühl, die Spitze des Zuges zu bilden. Der Mann trug einen griechischen Helm wie Achilles.

„Dieser hier, der nach Sonnenaufgang führt,“ erwiderte er.

„Wie viele Stunden sind es bis zum nächsten Dorfe?“

„Das weiß nur Gott!“ antwortete er.

„Kennst Du kein Dorf oder Land in jener Richtung?“

„Nicht ein einziges; wie sollte ich auch?“ war die Entgegnung.

Das war alles, was der Klügste von der Mannschaft wußte.

„Nun denn, vorwärts in Gottes Namen! Möge Gott stets mit uns sein! Halte Dich an jeden Pfad, der am Flusse entlang führt, bis wir eine Straße finden.“

„Bismillah!“ erscholl das Echo der Pioniere, die Trompeten der Nubier bliesen das Signal „Vorwärts“, und kurz darauf verschwand die Spitze der Kolonne in dem dichten Gebüsch an den äußersten Grenzen der Lichtung von Jambuja.

„Emin Pascha ist angekommen!“

Das war am 28. Juni, und bis zum 5. Dezember, also 160 Tage, ist die Vorhut durch Wald, Busch und Dickicht marschirt, ohne je ein Stück freies Land zu erblicken. „Eine afrikanische Straße,“ schreibt Stanley, „ist meist ein Fußpfad, welcher durch das Beschreiten in der trockenen Jahreszeit eine außerordentliche Glätte und die Härte des Asphalts bekommt. Da die Eingeborenen im Gänsemarsch, einer hinter dem andern, zu marschiren pflegen, ist der Weg nur 30 cm breit. Ist der Pfad alt, so gleicht er einer gewundenen schmalen Gosse, die in der Mitte mehr als an den Seiten ausgetreten ist, da das Regenwasser hindurchgeströmt ist und sie etwas ausgespült hat. Ein gerader Weg würde im Durchschnitt um etwa ein Drittel kürzer sein als der Pfad, auf welchem die Eingeborenen zu marschiren pflegen. Das ungefähr hofften wir zu finden, als wir aus dem Thore des verschanzten Lagers bei Jambuja marschirten, weil es uns auf vier früheren Expeditionen ins Innere von Afrika stets gelungen war, einen solchen Pfad Hunderte von Meilen zu verfolgen. Wir marschirten, eine Kompagnie nach der andern, im Gänsemarsch. Jede Kompagnie hatte ihre Fahnen, ihren Trompeter oder Trommler, sowie eine bestimmte Zahl von Ueberzähligen,


  1. Vgl. auch die Karte Seite 17 dieses Jahrgangs.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_429.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)