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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Konstantin Rainer stutzte ein wenig; aber er war nicht der Mann, sich durch einen Scherz verblüffen zu lassen.

„So würde ich glücklich sein, Ihnen beweisen zu dürfen, daß ich kein Freund leerer Worte bin!“ erwiderte er mit galanter Verbeugung. „Und Sie, mein gnädiges Fräulein, würden wohl den Stand vertauschen, nicht aber den Rang, denn Sie wären ohne Zweifel sehr bald eine Fürstin im Reiche Thaliens.“

In der angenehmen Gewißheit, daß keine seiner Phrasen die Probe auf ihre Ehrlichkeit zu bestehen haben würde, hätte er sich ohne Zweifel zu noch schwunghafteren Versicherungen verstiegen, wenn nicht eine plötzliche Veränderung in den Mienen und in dem Benehmen der jungen Dame dem Gespräch alsbald ein Ende bereitet hätte.

An dem mächtigen Jupiterhaupte des Schauspielvirtuosen vorbei starrte Marie mit weit geöffneten Augen nach der Mitte des Saales; in ihren Mundwinkeln zuckte es, obwohl sie die Lippen fest zusammenpreßte, und ihre Brust hob sich stürmisch, als hätte sie mit einer jähen Athemnoth zu ringen.

Unwillkürlich hatte sich Rainer umgesehen, da er aber in dem bunten Bazargewühl durchaus nichts sonderlich Auffälliges wahrzunehmen vermochte, fühlte er sich durch dies plötzliche, offenkundige Vergessen seiner Anwesenheit ein wenig verletzt und zog sich mit einigen wohlklingenden Worten, die zu seinem vermehrten Verdruß ganz unbeachtet blieben, zurück.

Mariens heißer Blick aber folgte unverwandt jeder Bewegung des schlanken Dragoneroffiziers, der in Gesellschaft mehrerer Regimentskameraden den Saal betreten hatte, um sich mit sorglosester Heiterkeit in das farbenreiche Gewoge zu drängen. Sie sah, wie Engelbert seinen Vater flüchtig begrüßte und wie er dann nach rascher Umschau zu der Gräfin Hainried trat. Was er sprach, konnte sie freilich nicht vernehmen; aber die Art, wie er die Hand der üppigen Schönheit küßte, wie er sein Haupt zu ihr neigte und seine Augen in die ihrigen senkte, ließ den Inhalt seiner Worte gut genug errathen.

Und es währte lange, ehe er diese Unterhaltung beendet hatte. Vielleicht war es nur der muntere Zuruf seiner Schwester, der ihn halb wider seinen Willen dazu nöthigte. Wenigstens war sein Auftreten viel weniger sicher und sein Blick viel unfreier, als er nun zwischen den Verkaufstischen dahinschritt, mit zaudernder Langsamkeit dem Platze Mariens näher kommend.

Sie war darauf gefaßt, daß er umkehren würde, ohne mit ihr gesprochen zu haben; denn es schien ja fast undenkbar, daß er den Muth besitzen würde, jetzt vor sie hinzutreten. Aber wenn es ihn auch sichtlich nicht geringe Ueberwindung kostete, ihr Auge in Auge gegenüberzustehen, wenn er auch auf seinem peinlichen Wege wiederholt anscheinend unschlüssig verweilte, endlich sah sie seine hohe, ritterliche Gestalt doch vor sich, straff und aufrecht wie immer und sogar mit dem gewohnten, liebenswürdig leichtsinnigen Lächeln auf den Lippen.

Er war ohne Zweifel willens, sie mit irgend einer lustigen Artigkeit zu begrüßen, aber Marie hatte die Qualen der letzten Stunde in der Erwartung dieses einzigen, unausbleiblichen Augenblicks wahrlich nicht ertragen, um nun, da er endlich gekommen war, eine Fortsetzung der schimpflichen Komödie zu dulden.

Seiner Anrede zuvorkommend, sagte sie, die klaren, ernsten Augen fest auf sein lächelndes Antlitz gerichtet:

„Man erzählt mir, Du seiest im Begriff, Dich mit der Gräfin Hainried zu verloben. Ist das die Wahrheit?“

Engelbert drehte an seinem Schnurrbart und das Lächeln verschwand. Rasch und verlegen um sich blickend, erwiderte er fast flüsternd:

„Wie können wir hier von solchen Dingen sprechen! Ich bitte Dich inständig, liebste Marie –“

„Wird es Dir so schwer, mir mit einem einfachen Ja oder Nein zu antworten? Ich verlange ja nur zu wissen, ob es die Wahrheit ist!“

Ob sie ihre Stimme wirklich um ein Geringes erhoben hatte, oder ob es Engelbert in seiner Verlegenheit nur so erschien, jedenfalls hatte er die peinliche Empfindung, daß die Blicke der ganzen Umgebung auf ihn und sie gerichtet seien.

„Nun denn, wenn Du es durchaus hören willst – ja, es ist die Wahrheit!“ stieß er zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor. „Aber ich denke nicht daran, mich auf weitere Erklärungen einzulassen, wenigstens nicht an einem so unpassenden Orte.“

Er wollte sich hastig abwenden; aber er konnte damit ihre Antwort nicht verhindern, die ihn aufzucken ließ, wie wenn man ihn vor all diesen Hunderten ins Gesicht geschlagen hätte.

„Es ist mir um Deine Erklärungen nicht zu thun, denn ich habe der feigen, erbärmlichen Lüge nachgerade genug aus Deinem Munde vernommen!“

An den nächsten Tischen wenigstens mußten diese Worte unfehlbar gehört worden sein. Mit jenem geschärften Auffassungsvermögen, das sich in der höchsten Bedrängniß einzustellen pflegt, nahm Engelbert wahr, wie in der Nachbarschaft das muntere Geschwirr der Stimmen plötzlich verstummte. Es flimmerte ihm vor den Augen und es zuckte ihm in den Fäusten, als ob er irgend etwas zerreißen, zerdrücken, niederschmettern müßte. Aber er hatte doch Geistesgegenwart genug, zu bedenken, daß nur durch eine rasche, glückliche Eingebung dem unerhörten Skandal noch vorzubeugen sei.

Hart an den Tisch Mariens zurücktretend, neigte er sich vertraulich zu ihr hinüber und sagte laut genug, um ringsum verstanden zu werden: „Wenn Du Deine Rolle am Abend der Aufführung nur halb so natürlich spielst, werden wir uns um den Erfolg wahrlich nicht zu sorgen brauchen.“

Er hatte versucht, sie dabei unter den Bann seines funkelnden, gebieterischen Blickes zu zwingen; aber seine Macht über sie war zu Ende. Für einen Augenblick wohl hatte sein verwegener Schachzug Marie in einen Zustand regungslosen Erstaunens versetzt; dann aber flammte die heißeste Entrüstung hoch auf in ihren Wangen wie in ihren Augen.

„Elender!“ rief sie, ihrer selbst nicht mehr mächtig, und dann, als käme ihr plötzlich das Bewußtsein des Ungeheuerlichen, das sie gethan hatte, eilte sie, in Thränen ausbrechend, dem Ausgang des Saales zu.

Voll Erstaunen und Theilnahme näherte sich ihr in dem Nebenraum, wo noch vom Konzert her die Sesselreihen standen, ein ahnungsloses Mitglied des Ausschusses.

„Mein gnädiges Fräulein – um Gotteswillen – ist Ihnen etwas widerfahren? Fühlen Sie sich nicht wohl?“

Marie fuhr mit dem Taschentuch über die Augen und rang danach, ihre Fassung wiederzugewinnen.

„Wenn ich Sie bitten dürfte, mir meinen Mantel zu verschaffen – und eine Droschke! – Ich muß nach Hause fahren!“

Der Herr fragte nicht weiter. Er ging hinaus, um ihren Auftrag auszuführen. Marie aber, die halb ohnmächtig in einen der Sessel gesunken war, fühlte in der nächsten Minute einen weichen Arm liebkosend an ihrem Halse und einen warmen Athem an ihrer Wange.

„Mariechen, mein Liebling, was soll das bedeuten? Sage mir um alles in der Welt: was hat man Dir gethan?“

Cilly war es, die ihr gefolgt war und die sich nun mit aufrichtigster, zärtlichster Theilnahme über die Gebrochene neigte. Aber wie süß und schmeichelnd ihr auch die Stimme ihrer Base an das Ohr klingen mochte, Marie hörte es doch noch von derselben Stimme in ihrem Herzen widerhallen: „Am Ende macht er doch eine vortreffliche Partie!“ Und Cilly war ihr nur eine Feindin wie alle die anderen.

„Was man mir gethan hat?“ wiederholte sie, sich fast unsanft von der vertraulichen Umschlingung losmachend. „Frage Deine ritterlichen Brüder, wenn es Dich wirklich danach verlangt, es zu erfahren! Und bemühe Dich nicht weiter um mich – ich bitte Dich darum! Ihr sollt Euch künftig um meinetwillen so wenig Zwang auferlegen, wie Ihr es meines Bruders wegen thut! Es war thörichte Verblendung, daß ich wähnte, es könnte jemals Gemeinschaft sein zwischen Euch und uns!“

Bestürzt und ohne Verständniß blickte Cilly auf die Erzürnte. Ihre munteren Augen schimmerten feucht von aufsteigenden Thränen.

„Wenn Du mir nur erklären wolltest, was das alles heißen soll! Habe ich Dich irgendwie gekränkt, so bitte ich Dich um Verzeihung; aber ich schwöre Dir zugleich, daß es ohne mein Wissen geschehen sein muß!“

Der Herr vom Ausschuß erschien mit Mariens pelzgefüttertem Mantel auf der Schwelle. Bei Cillys Anblick zögerte er, näher zu treten, doch Marie streckte ihm die Hand entgegen.

„Ich danke Ihnen! Vielleicht haben Sie die Güte, mich bei Herrn von Boretius zu entschuldigen und zu veranlassen, daß

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