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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

die mannigfaltigsten und verführerischsten Mittel, um seinen Freunden, Bekannten oder Standesgenossen in irgend einer angenehmen Form noch eine weitere Opfergabe zu entlocken.

Die Zeitungen wimmelten von Anzeigen der verschiedenartigsten Wohlthätigkeitsfeste; eine der großartigsten Veranstaltungen aber mußte ohne Zweifel der Bazar werden, welchen ein aus Mitgliedern der höheren Aristokratie bestehender Ausschuß ins Leben zu rufen gedachte. Bereitwillig hatte man den großen, prächtig ausgestatteten Festsaal eines neu erbauten Ministeriums für den menschenfreundlichen Zweck zur Verfügung gestellt, und in allen Familien, welche ein Recht hatten, sich der vornehmen Welt Berlins beizuzählen, war man wochenlang geschäftig, zu seinem Theile nach Kräften mitzuarbeiten an dem großen und in diesem besonderen Falle zugleich so vergnüglichen Werke der Barmherzigkeit.

Auch in das Haus des Generals von Brenckendorf hatte der Aufruf des Ausschusses eine nicht geringe Aufregung getragen. Man rechnete ja nicht nur auf den Reichthum Seiner Excellenz für eine erhebliche Beisteuer zur Ausstattung der Verkaufstische, sondern man bewarb sich auch mit besonderem Eifer um die thätige Mitwirkung der beiden jungen Baronessen. Cilly galt seit ihrer Einführung in die Gesellschaft als eine der reizendsten und eigenartigsten Schönheiten der Berliner Aristokratie, und ihr schlankes blondes Bäschen hatte rasch eine kaum geringere Zahl von Bewunderern gefunden.

Da aber die Anziehung des Bazars hauptsächlich in der Schönheit und Liebenswürdigkeit der vornehmen Verkäuferinnen bestehen sollte, so wollte man auf die Damen des Generals von Brenckendorf unter keinen Umständen verzichten, und wenn auch Marie anfänglich gezögert hatte, ihre Zusage zu ertheilen, so war bei Cillys Begeisterung für die Idee an eine wirkliche Absage doch nicht zu denken gewesen. Allmählich hatte der Eifer und die Freudigkeit, mit welcher ihr übermüthiges Bäschen die Sache behandelte, denn auch auf Marie ansteckend gewirkt, und sie sträubte sich nicht mehr dagegen, daß Cilly sie vom Morgen bis zum Abend mit Berathungen, Besorgungen und Plänen für den Wohlthätigkeitsbazar in Anspruch nahm.

Da die Veranstaltung dem kaufkräftigen Publikum durchaus etwas Eigenartiges, noch nicht Dagewesenes bieten sollte, so hatte man sich nach vielen vergnügten Vorstandssitzungen und nach Verwerfung zahlreicher anderer Vorschläge dahin geeinigt, daß die Verkäuferinnen nicht – wie sonst bei derartigen Anlässen – im Gesellschaftsanzug, sondern kostümirt erscheinen sollten, und zwar in den heimischen Trachten der verschiedensten Völker und Volksstämme der Erde. Des Kopfzerbrechens, welches dadurch den jungen Damen bereitet wurde, war freilich kein Ende; aber mit Hilfe einiger Modekünstler, die sich der großen Sache gern zur Verfügung gestellt hatten, wurden alle Schwierigkeiten in verhältnißmäßig kurzer Zeit glücklich überwunden und sogar das nahezu beispiellose Ergebniß erreicht, daß fast alle Betheiligten mit der ihnen zugefallenen Rolle leidlich zufrieden waren.

Cilly sollte sich danach für die beiden Bazartage in eine dunkeläugige, heißblütige Spanierin verwandeln, während Marie mit ihrer schönen, hochgewachsenen Gestalt und ihrem prächtigen lichtblonden Haar aufs vollkommenste alle äußerlichen Erfordernisse für das ihr zugedachte Friesenmädchen besaß. Mit der Beschaffung der Gewänder aber, die natürlich so echt und so kostbar als möglich sein mußten, da die Sorge, von einer erfinderischen Nebenbuhlerin überstrahlt zu werden, beständig wie ein drohendes Gespenst vor den Augen jeder der holden Evastöchter schwebte, waren die Mühen und Anstrengungen, welche man ihnen auferlegte, noch keineswegs erschöpft. Von den Veranstaltern war die Anregung ausgegangen, daß die auf dem Verkaufstisch jeder jungen Dame prangenden Schätze die Erzeugnisse des Landes darstellen sollten, in dessen Tracht die Verkäuferin gekleidet war, und wenn auch in dieser Hinsicht die Grenzen des Zulässigen ziemlich weit gezogen wurden, kostete es doch Nachdenken, Zeit und Geld genug, die zahlreich einlaufenden Geschenke entsprechend zu vertheilen und das Fehlende durch eigene Einkäufe in angemessener Weise zu ersetzen.

Der gute Wille der Jugend aber und die reichen Hilfsquellen, welche gerade dieser glücklichen Jugend fast unversieglich zu Gebote standen, halfen auch die letzten Hindernisse überwinden. Cilly verfügte am Tage vor der Eröffnung des Bazars über einen wahrhaften Schatz von Fächern, Seidenmantillen und köstlichen kleinen Kunstwerken in Eisen und Silber; Marie aber durfte sicher sein, manchen freigebigen Liebhaber für ihren Vorrath nach friesischer Art geklöppelter Spitzen und für die zierlichen Schmuckgegenstände aus Gold- und Silberfiligran zu finden, welche ein Hofjuwelier dem Bazar zum Geschenk gemacht hatte.

Die ganze Familie des Generals von Brenckendorf hatte für den Vorabend des Eröffnungstages eine Einladung zur Tafel bei dem Generallieutenant Grafen Hainried, und die jungen Damen waren eben im Begriff, sich zur Anlegung des Gesellschaftsanzugs auf ihre Zimmer zu begeben, als der Diener den Rittmeister von Boretius meldete, welcher in einer überaus dringenden Angelegenheit um Gehör bitte.

„Das kann nur unseren Bazar betreffen,“ meinte Cilly, „denn Boretius ist ja die Seele des Ganzen. Natürlich müssen wir erfahren, um was es sich handelt.“

Der trotz seiner jungen Jahre ziemlich wohlbeleibte Ulanenoffizier war ganz außer Athem vor Erregung, und die Rathlosigkeit malte sich trotz des verbindlichen Begrüßungslächelns so deutlich auf seinem Gesicht, daß Cilly ihn sogleich mit der Frage empfing, welche Hiobspost er denn zu überbringen habe.

„Ach, meine Herrschaften,“ seufzte Herr von Boretius, „wir sind in der schauderhaftesten Verlegenheit von der Welt. Nun haben wir uns von dem ersten unter den lebenden Poeten einen schwungvollen Prolog dichten lassen, mit welchem das Eröffnungskonzert eingeleitet werden sollte, – eine Hofschauspielerin hat sich acht Tage lang bemüht, unserer verehrten Gräfin Hilgers die richtige Betonung beizubringen, die Programme sind seit vorgestern auf Seidenatlas mit Goldfranzen gedruckt, und was geschieht? Vor einer Stunde läßt die verehrte Gräfin an den Vorstand die bündige Mittheilung gelangen, sie sei wegen einer hochgradigen Erkältung zu ihrem Bedauern außer stande, sich überhaupt an dem Bazar zu betheiligen, geschweige denn einen Prolog zu sprechen. Natürlich eilte ich augenblicklich zu der abtrünnigen Gräfin. Aber man hätte eher Berge versetzen als den Sinn der jungen Dame ändern können. Wäre sie wirklich nur erkältet gewesen, ja, hätte sie überhaupt nur an irgend einer körperlichen Krankheit gelitten, so würde ich mir wohl die Ueberredungskunst zugetraut haben, sie trotzdem auf das Podium zu bringen. Aber die Kammerzofe, welche beauftragt war, mich von dem Allerheiligsten ihrer Herrin fernzuhalten, ließ sich durch meine dringlichen Bitten zum Verrath des großen Geheimnisses bewegen. Das Kostüm, welches die Schneiderin heute abgeliefert hat, ist gänzlich mißglückt, und die Gräfin soll beim Anprobieren erklärt haben, so möge vielleicht eine Hottentottin im Hochzeitsstaat, niemals aber eine Georgierin aussehen. Als ich das vernahm, strich ich natürlich ohne weiteres die Segel. Um eine junge Dame in einer Toilette, welche sie selber für unkleidsam hält, vor ein großes Publikum zu bringen, muß man andere Zwangsmittel besitzen, als sie mir zu Gebote. stehen. Errathen Sie nun, meine verehrten Herrschaften, welches Anliegen ich auf meinem verzweifelten Herzen trage?“

Er hatte sich mit seiner Erzählung zwar vornehmlich an die Generalin gewendet; aber die hilfesuchenden Blicke, welche er zwischendurch zu Cilly hinübergeworfen, hatten diese längst errathen lassen, in welcher Absicht er gekommen war. Sie war denn auch mit der Antwort auf seine letzte Frage sehr rasch bei der Hand.

„Sie suchen einen Lückenbüßer, nicht wahr?“ meinte sie etwas schadenfroh. „Aber ich fürchte, daß Sie wenig Erfolg haben werden, Herr Rittmeister! Wer möchte es wagen, eine so stolze Schönheit wie die Gräfin Hilgers ersetzen zu wollen?“

Herr von Boretius neigte in drolliger Zerknirschung das Haupt.

„Ich weiß sehr wohl, mein gnädiges Fräulein, eine wie großartige That edelmüthiger Selbstverleugnung ich Ihnen da zumuthe. Es ist gewiß keine Kleinigkeit, wenn diejenige, welche in erster Linie hätte in Betracht kommen müssen, jetzt gewissermaßen nur als Helferin in der Noth eintreten soll. Aber ich beschwöre Sie: denken Sie an unsere Lage und an die armen Ueberschwemmten, für die wir uns ja alle opfern!“

„Mein Gatte ist leider nicht anwesend,“ mischte sich nun auch die Generalin ein, „und wenn er auch in Anbetracht des wohlthätigen Zweckes gegen die Mitwirkung meiner Tochter als Verkäuferin keine Einwendungen erhoben hat, so weiß ich doch wirklich nicht, Herr Rittmeister, ob er einem solchen öffentlichen schauspielerischen Auftreten seine Zustimmung ertheilen würde.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_422.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)