Seite:Die Gartenlaube (1890) 418.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Lauf; ein Gedicht der Wüste scheint sich in ihr verkörpert zu haben, so bestrickend wirkt ihre unvergleichliche Zierlichkeit und Schnelle. Wenige Minuten fortgesetzten Laufes entrücken sie jeder Gefahr, welche ihr von solchen Feinden drohen könnte; denn vergebens müht sich selbst der beste Traber, ihr nachzukommen, nicht einmal ein einzelner Windhund vermag sie einzuholen. Bald mäßigt sie ihre Eile; noch einige Augenblicke, und wiederum steht und äugt sie wie früher. Necklustig läßt sie den mordgierigen Reiter, welcher sie ernstlich zu verfolgen beginnt, herankommen, und vorsichtig entzieht sie sich zum zweiten, dritten Male dem Bereiche seiner tödlichen Waffe, bis sie endlich, erschreckt, aller weiteren Gefahr mühelos entrinnt. Länger flüchtet sie und zarter erscheinen Leib und Glieder, mehr und mehr verschwimmen die Umrisse, verschwindet sie auf der sandigen Fläche, und endlich verschmilzt sie gänzlich mit ihr, so daß es scheinen will, als habe sie sich aufgelöst wie ein Dufthauch.

(Fortsetzung folgt.) 




Blätter und Blüthen.

Viktor Neßler. (Zu dem Bilde S. 417). Aus Straßburg kommt die Trauerkunde, daß daselbst am 28. Mai Viktor Neßler, der Komponist des „Trompeter von Säkkingen“, dessen neuestes Werk „Die Rose von Straßburg“ erst kürzlich seine erste Aufführung erlebt hat, gestorben ist. Neßler ist ein treuer Sohn der Reichslande; dort hat er das Licht der Welt erblickt, dort den größten Theil seines Lebens verbracht, an sie knüpfte sich seine letzte Tonschöpfung. Am 28. Januar 1841 zu Baldenheim bei Schlettstadt im Elsaß geboren als Sohn eines Pfarrers, sollte er wie sein Vater den Beruf des Theologen ergreifen. Aber ein frühentwickelter Trieb zu musikalischem Genießen und musikalischem Schaffen, der durch eine heiße Jugendliebe zu unwiderstehlicher Gewalt entflammt wurde, brachte ihn in einen ernsten Zwiespalt mit dem Vater und mit dem Berufe, den dieser ihm zugedacht hatte.

In Straßburg bestand damals das sogenannte „Sternenkränzel“, ein elsässischer Gesangverein, in welchem der junge Neßler nicht bloß eifrig mit sang, sondern der ihm auch Gelegenheit gab, mit der Geliebten zusammenzutreffen und seine Erstlingskompositionen aufzuführen, zu denen sie ihn begeistert hatte. Der Beifall, den er für seine Leistungen erntete, ermuthigte ihn zu Höherem, und eines Tages sahen die Bürger von Straßburg Neßlers Namen auf dem Theaterzettel prangen. Ein Studiengenosse Neßlers, der stud. theol. Edm. Febvrel, der als junger Prediger später in St. Dié starb, hatte einen die Jugendliebe Heinrichs IV. behandelnden Operntext gedichtet und Neßler hierzu die Musik geschrieben. Die Oper „Fleurette“ wurde im Stadttheater zu Straßburg mehrere Male unter großem Beifall aufgeführt. Selbstverständlich blieb dieses Vorkommniß dem Dekanat der theologischen Fakultät nicht unbekannt. Unerhört fand man es, daß zwei Theologen es gewagt hatten, ein solches weltliches Werk gemeinschaftlich zu ersinnen. Die beiden Missethäter sollten von der hohen Schule verwiesen werden. Als aber Neßler freiwillig schied, wurde dem Dichter das Verweilen gestattet.

Nun ergab sich auch der Vater Neßlers ins Unvermeidliche; nur noch wenige Monate blieb der junge Tondichter in Straßburg, um von dem Komponisten und Dirigenten Ludwig Liebe zu lernen, dann siedelte er im Juni 1864 nach Leipzig über, um dort unter der Leitung von Moritz Hauptmann, Moscheles, David, Reinecke, Bomsdorf, Langer und Jadassohn seine musikalische Ausbildung zu vollenden.

In Leipzig mußte sich Neßler erst mit Musikunterrichtstunden durchhelfen, später aber übernahm er die Leitung der Männergesangvereine „Merkur“ und „Sängerkreis“, und die für diese Vereine von ihm komponierten Chorlieder verschafften ihm bald den Ruf eines begabten Musikers. Er erhielt 1871 die Chor- und Musikdirektorstelle am Leipziger Stadttheater, welches Amt er im Jahre 1879 mit dem eines ersten Musikdirektors am Carolatheater vertauschte. Ein Jahr später übernahm er die Leitung des aus acht Leipziger Vereinen zusammengesetzten „Leipziger Sängerbundes“, in welcher Stellung er bis zum Jahre 1884, wo er wieder nach Straßburg übersiedelte, verblieb.

Die schwere Kriegszeit, welche über das Elsaß 1870 hereinbrach, erfüllte Neßler mit banger Sorge, denn in dem belagerten Straßburg war auch jenes Mädchen mit ihren Eltern eingeschlossen, das Neßler schon in der frühesten Jugendzeit bezaubert hatte und das inzwischen heimlich seine Braut geworden war. Aber es dauerte noch lange, bis er das Ziel seiner Sehnsucht, die Verbindung mit der Geliebten, erreichte. Denn Schwierigkeiten aller Art stellten sich dem Komponisten entgegen. Die Eltern der Braut wollten eine Heirath nicht zugeben, und mit den Kompositionen wollte es auch nicht recht voran gehen. Es waren allerdings 1868 die romantische Oper „Dornröschens Brautfahrt“ und etwas später die Oper „Alfred der Große“, weiter die Einakter „Am Alexandertag“ und „Der Nachtwächter“ erschienen und beide unter Laube am Leipziger Stadttheater mehrmals aufgeführt worden, allein sie hatten nicht den Erfolg, welchen Neßler erhofft hatte. Auch „Irmingard“ wurde in Leipzig zwar freundlich aufgenommen, erfüllte aber ebenfalls nicht ganz des jugendlichen Komponisten Träume. Immerhin durfte er es jetzt, 1872, wagen, mit seiner Werbung hervorzutreten, und sein eigener greiser Vater traute das Paar in der Straßburger Nikolaikirche.

Einen entscheidenden Wendepunkt in Neßlers Leben brachte das Jahr 1879. Sein „Rattenfänger von Hameln“, zu welchem Friedrich Hofmann nach der Dichtung von Julius Wolff das Textbuch schrieb, schlug glänzend ein, in raschem Fluge ging er über alle deutschen Opernbühnen. Neßler hat in diesem Werke zum ersten Mal sein Streben durchblicken lassen, eine deutsche Spieloper, ein Mittelding zwischen der großen Oper, der italienischen Oper und dem Wagnerschen Musikdrama, zu schaffen. Wenn ihm dies nun auch nicht sofort gelang, so ist er doch in seinen folgenden Schöpfungen „Der wilde Jäger“ (Text gleichfalls von Friedrich Hofmann) und „Der Trompeter von Säkkingen“ (1884, Text von Bunge) seinem Ziele bedeutend näher gerückt; was aber den äußeren Erfolg anbelangt, so war dieser bei der letzten Oper ein so bedeutender, daß er die kühnsten Hoffnungen des Komponisten übertraf.

Noch erschien (1887) die Oper „Otto der Schütz“, die an durchschlagender Wirkung allerdings mit dem „Trompeter“ sich nicht messen konnte. Aber unbeirrt hat Neßler weiter gearbeitet an seiner eigenen Vollendung und an der Erreichung des Zieles, das er sich gesteckt hatte. Wie schon erwähnt, ist die letzte Schöpfung seiner Muse, „Die Rose von Straßburg“ (Text von Fritz Ehrenberg), vor kurzem, am 1. Mai d. J., am kgl. Hoftheater in München zur ersten Aufführung gelangt und hat dort, wie ihre Vorgängerin, eine freundliche, wenn auch keine begeisterte Aufnahme gefunden. Die Reise nach München aber ist für Neßler verhängnißvoll geworden. Kaum konnte er die Heimath wieder erreichen, so sehr steigerte sich in diesen Tagen bei ihm ein Herz- und Nierenleiden – und ihm ist er schließlich, ein 49jähriger Mann, dem noch so manches Schöne zu schaffen hätte vergönnt sein können, erlegen.

In der Bildergalerie. (Zu dem Bilde S. 392 und 393.) Sonntag Mittag um zwölf Uhr – die günstigste Zeit zum Besuch der berühmten Gemäldegalerie! Denn da sieht man doch „etwas“, während drei Stunden früher auch bei bester Beleuchtung durchaus „nichts“ zu sehen gewesen wäre. Das Umherwandeln freilich wird etwas mühsam, aber dafür entschädigen reichlich die vielen hübschen Toiletten und Uniformen, das bunte Durcheinander, in dem man sich so heimisch fühlt. Denn in der Bildergalerie wie anderwärts bleibt eben doch der „Mensch dem Menschen das Interessanteste“.

Das sehen wir gleich an der verständigen Mutter im Vordergrund, welche dieses spiegelblanke Parkett als die geeignetste Laufschule für ihre Kleine erkennt. Völlig hingenommen von ihrem Entzücken und gänzlich ungestört von den Bildern ringsum, beobachtet sie strahlend, wie geschickt das Töchterlein in seinem weißen Mäntelchen sich bereits auf dem gefährlichen Boden zu bewegen versteht. Ja, die Erziehung muß mitten in der Welt stattfinden, wenn etwas Rechtes draus werden soll!

Nicht weit davon, wie hoch interessant! … Dort steht Durchlaucht vor der Kopie, welche sie zu bestellen geruhten, das Gesicht beinahe auf Nasenlänge genähert – Durchlaucht sind etwas kurzsichtig – und hören mit geneigtem Ohr, was der Künstler unterthänigst zur Erklärung beizufügen hat. Hinter beiden, stramm aufgepflanzt, der Adjutant, der sich auch in Gedanken keine Kritik des Bildes erlaubt und unverwandt soviel davon beschaut, als ihm über die durchlauchtigste Schulter sichtbar wird.

Die große Staffelei im Mittelgrund verdeckt die weitere Aussicht, sonst möchte sich sein Blick doch einmal hinüber verirren, nach dem lieblichen blonden Weibchen, das dort am Arme des kunstgelehrten Gatten steht wie die Lilie neben einem wettergrauen Baumstrunk. Die Augen des Herrn Professors vertiefen sich in die Stelle des Katalogs, wo einem sonst schätzbaren Kollegen ein entschiedener Schnitzer begegnet ist; die ihren sind voll gewissenhafter Gläubigkeit auf ein Bild gerichtet, welches ihr vorher als sehr klassisch bezeichnet wurde. Arme Lilie! …

Viel besser zusammen passen Anschauungen und Lebensalter des dicken kleinbürgerlichen Ehepaars, das hier einmal seinen Sonntag nach Art der vornehmen Leute zubringen will.

„Jesses, Jesses, wie ma nur solchenes Zeug machen kann,“ spricht vernehmlich ihre Haltung, er aber entgegnet voll Hochachtung: „Ja schau, was mögen aber allein die Rahmen kost’n!“

Einen Blick tiefster Verachtung schleudert auf die beiden von seinem hohen Standpunkt herunter der Berufskopist, der durch Sammetrock und weichen Filzhut seine Zugehörigkeit zur Künstlergilde unwiderleglich darthut. Er arbeitet gerade an seiner zwanzigsten „heiligen Nacht“, und in manchen Augenblicken ist es ihm zweifelhaft, ob er oder Rubens das Bild eigentlich gemacht hat. Seine Fähigkeiten waren ja bedeutend, aber unglückliche Umstände haben ihre Entwicklung leider verhindert! …

Und wo ist denn nun, fragst du, lieber Leser, der Mensch, welcher in stillem Genuß und hoher Andacht diese geweihte Stätte durchwandelt und gestärkt daraus zum Alltagsleben zurückkehrt? Ist es der gute Philister in der Saalecke, der sein rundes Gesicht gewissenhaft nach den Weisungen des Katalogs emporrichtet, oder aber der alte Herr im Vordergrunde, auf dessen hoher Stirn Gedanken zu wohnen scheinen, der aufmerksam durch sein Glas ein bestimmtes Bild betrachtet? Wir wollen das Beste hoffen … aber da fällt unser Blick zuletzt noch in den Nebensaal und wir sehen, welch ein geringschätziges Gesicht der alte Aufseher auf alle die Herrschaften herein macht, indem er langsam seine Prise nimmt! Kommen am Ende die wirklichen Beschauer der Galerie doch vor zwölf Uhr?! … Br.     

Ein Jahrbuch der Natur. Ein unbeschreiblicher Zauber liegt in dem Wechsel der Jahreszeiten unserer gemäßigten Zone. In stetigem Wandel zieht an uns das organische Leben in allen seinen Erscheinungen vorüber: Leben und Tod, Schlummer und Erwachen fesseln das Auge und regen den Geist zur Beobachtung an. Auch die Natur hat ihren Kalender, ihre hohen Feste und ihre Trauerzeiten, und ein großer Theil unserer menschlichen Feste hängt mit diesen Naturerscheinungen zusammen. Die große Masse des Volkes vermag jedoch nur die Haupterscheinungen festzuhalten, den Einzelheiten kann sie nicht folgen; denn scheinbar zu groß ist die Zahl derselben. So beschränkt sich ein jeder auf die Beobachtung derjenigen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_418.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)