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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Darf ich ihm selbst den Befehl überbringen?“ fiel Egon rasch ein. Der General stutzte und sah ihn forschend an.

„Sie wollen das persönlich thun? Weshalb?“

„Um Zeit zu sparen. Der Weg, den Tanner nehmen muß, führt am Kapellenberg vorüber; ehe er nach dem Hauptquartier und wieder zurückkommt, vergeht eine Stunde.“

Dagegen ließ sich nichts einwenden, aber der General mochte fühlen, daß hier noch etwas Besonderes zu Grunde lag. Der erste beste Gemeine unternahm schwerlich eine Tollkühnheit, die ihn geradezu dem Tode in die Arme trieb, aber der alte Krieger forschte nicht weiter, er fragte nur: „Sie stehen ein für den Mann?“

„Ja!“ erklärte der junge Fürst fest und ruhig.

„Gut, dann übernehmen Sie es selbst, ihn zu unterrichten. Aber noch eins: er muß eine Beglaubigung haben, wenn er wirklich unsere jenseitigen Posten erreichen sollte, denn jeder Aufenthalt kann verhängnißvoll werden, wo es sich um Minuten handelt.“

Er trat zum Schreibtisch und warf einige Zeilen auf ein Papier, das er dem Fürsten reichte.

„Hier ist das Nöthige, und hier die Depesche an Falkenried. Sie bringen mir sofort Nachricht, ob Tanner eingewilligt hat?“

„Sofort, Excellenz!“

Egon nahm das Papier in Empfang, verabschiedete sich und eilte nach seinem Quartier, wo er Befehl gab, augenblicklich sein Pferd zu satteln. Fünf Minuten später war er bereits auf dem Wege.




Der Kapellenberg, der ursprünglich wohl einen anderen Namen führte, aber von den Deutschen regelmäßig so genannt wurde, weil er ein Kirchlein trug, war eine nur mäßige, zum theil bewaldete Anhöhe, der letzte weit vorgeschobene Ausläufer der Berge, die sich an dieser Seite hinzogen. Er bildete hier die Grenze der deutschen Truppenstellung, und in den einzelnen Gehöften, die zerstreut an seinem Fuße lagen, befand sich eine Kompagnie vom siebenten Regiment, deren Dienst mit Recht als der härteste und gefahrvollste galt.

Die Kapelle lag öde und einsam, halb begraben in dem tiefen Schnee; Priester und Meßner waren längst geflüchtet und das kleine Gotteshaus selbst trug überall die Spuren der Zerstörung, denn heiße Kämpfe hatten um diese Höhen getobt. Mauern und Dach standen zwar noch, aber ein Theil der Decke war eingestürzt und durch die zertrümmerten Fenster pfiff der Wind. Dahinter ragte der in Eis und Schnee starrende Wald auf, und das Ganze lag im ungewissen Lichte des Halbmondes, der eben jetzt an dem schwer umwölkten Himmel sichtbar wurde und seinen geisterhaften Schein auf die Umgebung warf, um nach einigen Minuten wieder zu verschwinden.

Es war eine eisige Winternacht wie damals in Rodeck, und wie damals röthete eine dunkle Gluth den Horizont; aber hier strahlte kein Nordlicht in geheimnißvoller Schönheit, die Gluth, die dort im Norden loderte, gab Zeugniß von den Kämpfen, die noch überall in der Umgegend stattfanden, sie entstammte den in Brand geschossenen Dörfern und Gehöften, den furchtbaren Flammenzeichen des Krieges, deren Widerschein den Himmel färbte. Ein einsamer Posten stand hier, das Gewehr im Arm, Hartmut von Falkenried. Sein Auge hing an dem flammenden Horizonte, die düsteren Wolkenmassen schimmerten dort blutigroth, und von Zeit zu Zeit stob ein Regen von glühenden Funken aus dem wallenden Rauch, der über der Erde lagerte. Dort Gluth und Flammen, und hier Eis und Nacht! Die Kälte, die schon während des Tages scharf gewesen war, wurde jetzt zu einem Eishauche, in dem alles Leben zu erstarren schien und der den einsamen Posten bis ins Mark durchschauerte. Freilich, er war nicht der einzige, der diesen schweren Dienst leisten mußte, aber seine Kameraden waren nicht wie er verwöhnt durch einen jahrelangen Aufenthalt im Orient, in der Sonnenluft Siciliens. Hartmut hatte seit seinen Knabenjahren keinen nordischen Winter mehr durchlebt, ihm wurde diese Kälte verhängnißvoll, die das Blut in seinen Adern in Eis zu verwandeln schien.

Langsam schlich die tödliche Mattigkeit heran, die nicht der Vorbote des Schlafes ist, sie machte die Glieder bleischwer und zog die Augenlider gewaltsam nieder. Wohl kämpfte der Bedrohte dagegen mit aller Willenskraft, er versuchte sich aufzuraffen und zu bewegen, und es gelang auch für Augenblicke, aber immer wieder nahte jene Erschöpfung, deren Ende er kannte. Sollte es ihm nicht einmal beschieden sein, von einer Kugel zu fallen?

Hartmuts Blick wandte sich wie hilfesuchend nach dem kleinen halbzerstörten Gotteshause. Freilich, was waren ihm Kirche und Altar! Er hatte den Glauben längst von sich geworfen, ihn gähnte mit dem Tode nur die ewige Nacht an, und das Leben hätte ihm doch noch alles geben können, wenn die Sühne erst vollzogen war, den Besitz der Geliebten, den Ruhm des Dichter, vielleicht auch die Versöhnung mit dem Vater. Es sollte nicht sein! Er hatte auszuhalten auf seinem Posten und auf den ruhmlosen Tod zu warten, der da aus dem eisigen Dunkel heranschlich, die Pflicht gebot es – und er hielt aus!

Da wurden in einiger Entfernung Schritte und Stimmen laut, die immer näher kamen; sie rissen Hartmut aus der Betäubung, die schon seine Sinne zu umschleiern begann. Er raffte sich gewaltsam empor und machte sein Gewehr schußfertig, doch es waren seine Kameraden, die nahten. Was sollte das? Die Stunde der Ablösung war ja noch nicht da! Aber schon nach wenigen Minuten stand ein Unteroffizier mit einem Mann vor ihm.

„Ablösung! Befehl vom Hauptquartier, durch einen Offizier überbracht!“ so lautete die Auskunft. Die Ablösung wurde vollzogen und die Stelle Hartmuts nahm ein vierschrötiger Bauer ein, den die Kälte nicht viel anzufechten schien. Hartmut wollte sich dem Unteroffizier anschließen, da trat von der andern Seite her der Offizier selbst auf ihn zu.

„Lassen Sie den Unteroffizier vorangehen, ich habe mit Ihnen persönlich zu sprechen, Tanner. Folgen Sie mir!“

Es geschah. Fürst Adelsberg, der den Posten nicht zum Zeugen des Gespräches machen wollte, trat in die Kapelle, wohin Hartmut ihm folgte. Das matte Mondlicht, das durch die Fenster fiel, zeigte auch hier im Innern überall Verwüstung und Zerstörung. Die eingestürzte Decke hatte einen Theil der Betstühle zerschmettert; nur der Altar stand noch unversehrt in seiner Nische.

Egon war bis in die Mitte des Raumes geschritten, hier blieb er stehen und wandte sich um.

„Hartmut!“

„Herr Lieutenant?“

„Laß das, wir sind allein!“ sagte der junge Fürst. „Ich glaubte nicht, daß wir uns so wiedersehen würden.“

„Und ich hoffte, es würde mir erspart bleiben,“ entgegnete Hartmut dumpf. „Du kommst –?“

„Vom Hauptquartier. Ich hörte, daß Du den Posten auf dem Kapellenberge bezogen hättest, das ist ein furchtbarer Dienst in solcher Nacht.“

Hartmut schwieg. Er wußte, daß ohne diese Dazwischenkunft der Dienst sein letzter gewesen wäre. Egon blickte ihn unruhig an; trotz des ungewissen Lichtes sah er doch, wie erstarrt und erschöpft der Mann war, der sich jetzt an eine der Säulen lehnte, als brauchte er eine Stütze.

„Ich kam, um Dir einen Auftrag zu überbringen, dessen Uebernahme allerdings in Deinen freien Willen gestellt ist,“ begann er wieder. „Die Sache gilt für beinahe unmöglich und ist es auch vielleicht für jeden andern. Du hast den Muth dazu, das weiß ich, es ist nur die Frage, ob Dir nach all den Anstrengungen nicht die Kraft versagt.“

„Nein, eine Viertelstunde der Erholung und Erwärmung wird mir die Kraft zurückgeben. Um was handelt es sich?“

„Um einen Ritt auf Tod und Leben! Du sollst eine Nachricht über die Bergpässe tragen mitten durch die Feinde – nach R.“

„Nach der Festung?“ rief Hartmut zusammenzuckend. „Dort steht ja –“

„General Falkenried mit seiner Brigade! Er ist verloren, wenn ihn die Nachricht nicht erreicht – wir legen die Rettung in die Hand seines Sohnes.“

Hartmut fuhr auf. Fort waren auf einmal Erstarrung und Erschöpfung, mit einer fieberhaften Heftigkeit faßte er den Arm des Fürsten.

„Ich soll meinen Vater retten? Ich? Was ist geschehen? Was soll ich thun?“

Höre mich an: der Gefangene, den Du mir heute selbst angemeldet hast, hat uns furchtbare Enthüllungen gemacht. Es handelt sich um einen Verrath. Die Festung soll nach der Uebergabe in die Luft gesprengt werden, sobald die Besatzung in Sicherheit ist und die Unsrigen eingezogen sind. Der General hat sofort Warnungen abgesandt; aber sie werden zu spät eintreffen, da sie weite Umwege machen müssen. Dein Vater denkt morgen schon einzuziehen, er muß vorher gewarnt werden, und dazu giebt es nur

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