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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und ihm fehlte auch jener Zug entschlossener Willenskraft, den nur die Tochter von dem Vater geerbt hatte. Der Sohn verrieth in seinem Aeußeren wie in seinem Auftreten eine mehr weiche und liebenswürdige als kraftvolle Natur; trotzdem glich er der Schwester sehr, und das mochte auch wohl den Grund zu der Vertraulichkeit gelegt haben, in welcher er mit Egon von Adelsberg verkehrte. Sein Begleiter, ein hübscher junger Offizier mit kecken, blitzenden Augen, trat jetzt auch heran, und der Fürst übernahm die weitere Vorstellung.

„Ich will nicht fürchten, daß die Herren blutig aneinander gerathen, wenn ich die gegenseitigen Namen nenne,“ sagte er scherzend. „Genannt müssen sie doch einmal werden, also: Herr von Eschenhagen – Herr von Walldorf.“

„Gott bewahre! Ich wenigstens bin die Friedfertigkeit selbst!“ rief Walldorf lustig. „Herr von Eschenhagen, ich freue mich, den Vetter meiner Braut kennenzulernen, und um so mehr, als er sich bereits in den heiligen Ehestand begeben hat. Wir hätten es Ihnen gern nachgemacht und auch eine Heirath vor der Trommel geschlossen, aber mein Schwiegervater setzte seine grimmigste Miene auf und erklärte: Erst siegen und dann heirathen! Nun, das Erste haben wir seit fünf Monaten ununterbrochen besorgt, und wenn ich wieder nach Hause komme, werde ich mir schleunigst das Zweite ausbitten.“

Er schüttelte dem ehemaligen Verlobten seiner Braut freundschaftlich die Hand und wandte sich dann zu dem Fürsten.

„Wir haben Ihnen etwas mitgebracht, Durchlaucht, was wir da draußen aufgegriffen haben. – Ordonnanz von Rodeck, vortreten vor dem durchlauchtigsten Herrn Lieutenant Fürsten Adelsberg!“

Die Thür öffnete sich, und trotz der einbrechenden Dämmerung erkannte der Fürst doch das durchfurchte Gesicht und das eisgraue Haar des Eintretenden. Er fuhr auf.

„Alle guten Geister – der Peter Stadinger!“

Es war wirklich der leibhaftige Stadinger, der vor seinem jungen Herrn stand, und er mußte wohl auch den anderen Offizieren nicht ganz fremd sein, obgleich sie ihn zum ersten Male sahen, denn sein Erscheinen wurde mit allgemeinem Jubel begrüßt.

„Nun wollen wir aber vor allen Dingen Licht machen, um den alten ‚Waldgeist‘ Seiner Durchlaucht ordentlich anzuschauen!“ rief Walldorf, indem er zwei Kerzen anzündete und sie mit komischer Feierlichkeit dicht vor dem Alten aufstellte. Egon lachte.

„Du siehst, Stadinger, welch eine vielgenannte und vielbesprochene Persönlichkeit Du hier bist. Nun laß Dich auch in aller Form vorstellen: hier, meine Herren, Peter Stadinger, bekannt durch seine unerreichte Grobheit und seine erschütternden Moralpredigten. Er meint wahrscheinlich, daß ich ohne beides überhaupt nicht bestehen kann, und will mir auch hier im Felde die Befriedigung dieser freundlichen Gewohnheit verschaffen. Hoffentlich fällt auch für Sie einiges ab, meine Herren, – nun lege los, Stadinger!“

Aber der Alte, anstatt dem Befehle nachzukommen, umschloß mit beiden Händen die Rechte seines jungen Herrn und sagte in herzerschütterndem Tone: „Ach, Durchlaucht, wie haben wir uns in Rodeck um Sie geängstigt!“

„Nun, das war vorläufig noch ganz höflich,“ meinte Eugen Stahlberg; der Fürst aber nahm eine strafende Miene an.

„So? Und deshalb hast Du Dich wohl schleunigst auf die Beine gemacht und läßt in Rodeck alles drunter und drüber gehen? Ich hätte Dir eine solche Pflichtvergessenheit gar nicht zugetraut!“

Stadinger sah ihn ganz verblüfft an.

„Aber ich kam ja auf Befehl, Durchlaucht haben mir ja geschrieben, ich sollte mich aufmachen und den Lois aus dem Lazareth abholen, Sie wollten für die Reise und alles sorgen. Heute mittag bin ich angekommen und habe den Buben auch soweit ganz munter gefunden; in acht Tagen, meint der Doktor, könnte ich ihn mitnehmen, und dann hätte es keine Noth mehr mit der Heilung. Aber was Durchlaucht an dem Lois und an den anderen Rodeckern gethan haben, die mit im Felde stehen, das ist gar nicht zu sagen – vergelt’s Gott tausendmal!“

Egon zog ärgerlich seine Hand zurück.

„Herr Lieutenant, heißt es jetzt, merke Dir das, ich bitte mir meinen militärischen Titel aus. Und was soll das überhaupt heißen, daß Du jetzt, wo ich eigens auf Deine Grobheit rechne, sanftmüthig bist wie ein Lamm und uns eine Rührungsscene vorspielst? Das verbitte ich mir! Der Lois, meine Herren, ist nämlich der Enkel dieses alten Waldgeistes, ein braver, ansehnlicher Bursche; aber er hat eine Schwester, die noch viel ansehnlicher ist. Leider schickt dieser unvernünftige Großvater sie regelmäßig fort, wenn ich in Rodeck bin. Warum ist die Zenz nicht mitgekommen? Du hättest auch daran denken können, sie mitzubringen.“

Das half endlich gegen die ebenso ungewöhnliche als beängstigende Sanftmuth Stadingers und gegen seine Rührung. Er richtete sich stramm auf und versetzte mit seiner alten Derbheit:

„Ich glaubte, Durchlaucht hätten hier im Kriege keine Zeit mehr, sich mit solchen Dummheiten abzugeben.“

„Aha, jetzt kommt es!“ sagte der Fürst leise zu Walldorf, der neben ihm stand, laut aber fuhr er fort:

„Da irrst Du Dich sehr, man verwildert vollständig in dem Kriegsleben, und wenn ich wieder nach Haus komme –“

„Dann haben Durchlaucht ja versprochen, endlich zu heirathen!“ erinnerte der Alte im nachdenklichsten Tone und rief damit ein lautes Gelächter der jungen Offiziere hervor. Auch Egon stimmte ein, aber sein Lachen klang etwas gezwungen, ebenso wie seine Antwort.

„Ja, ja, versprochen habe ich es allerdings; aber ich habe mir die Sache inzwischen anders überlegt. In zehn Jahren werde ich Dir Wort halten, oder vielleicht auch in zwanzig, aber eher nicht.“

Darüber gerieth Stadinger, der trotz des Befehls um keinen Preis der Welt den Titel Lieutenant gebraucht hätte, weil das in seinen Augen eine Herabsetzung der Fürstlichkeit war, begreiflicherweise in helle Entrüstung und ließ seinem Grolle freien Lauf.

„Habe ich es mir doch beinahe gedacht! Wenn Durchlaucht wirklich einmal einen vernünftigen Gedanken haben, dann hält das nicht vierundzwanzig Stunden vor, und dero hochseliger Herr Vater haben doch auch geheirathet, und heirathen muß der Mensch überhaupt, und beim Heirathen hören die Dummheiten von selbst auf –“

„So, jetzt ist er im Zuge, nun lassen Sie sich etwas vorpredigen, meine Herren,“ sagte Egon, und die jungen Offiziere, denen das ein köstlicher Spaß war, stachelten denn auch wirklich den armen Stadinger so lange, bis er allen Respekt verlor und sich im vollen Glorienschein seiner Grobheit zeigte.

Nach einer Viertelstunde machten Willibald und Eugen Stahlberg Anstalt, aufzubrechen. Sie traten zu dem Fürsten, um sich zu verabschieden, und dieser fragte:

„Sie rücken also morgen schon weiter?“

„Mit Tagesanbruch; wir marschiren nach R., wo Generalmajor von Falkenried mit seiner Brigade steht. Es wird freilich noch einige Tage dauern, ehe wir hinkommen, denn die ganze Gegend zwischen hier und R. ist noch vom Feinde besetzt und wir werden uns den Weg erst freimachen müssen.“

„Dann sage aber dem General, Willy, daß ich in spätestens acht Tagen nachkomme,“ fiel Eugen Stahlberg ein. „Es war schlimm genug, daß ich so lange hier zurückbleiben mußte eines Schusses wegen, der gar nicht der Rede werth war. In der nächsten Woche aber melde ich mich gesund, der Doktor mag sagen, was er will, und gehe dann unverzüglich wieder zu meinem Regimente ab, hoffentlich noch vor der Einnahme von R.“

„Dann müssen Sie sich in der That beeilen,“ sagte Egon, „denn wo General Falkenried steht, pflegt der Widerstand nie lange zu dauern, das haben wir hinreichend erfahren. Er ist ja mit seinen Leuten immer voran, immer der erste beim Sturm und hat schon Unglaubliches errungen. Es scheint, als ob es für ihn gar keine Unmöglichkeiten gäbe.“

„Er hatte aber auch das Glück, überall an die Spitze gestellt zu werden,“ warf Lieutenant Walldorf ein. „Jetzt soll er wieder R. nehmen, während wir hier Gott weiß wie lange festliegen, und er wird es nehmen, daran ist gar kein Zweifel, hat es vielleicht schon genommen. Die Nachrichten kommen ja jetzt nur auf Umwegen, so lange der Feind zwischen uns steht.“

Er erhob sich, um den beiden Herren das Geleit bis vor die Thür zu geben, während der Fürst zurückblieb. Am Kamin stehend, blickte er mit verschränkten Armen in das Feuer, und dabei hatte sein Gesicht einen Ausdruck, der nicht im Einklange stand mit dem Uebermuth, den er eben noch gezeigt hatte. Ernst, ja düster schaute er in die zuckenden Flammen, und der Schatten wollte noch nicht aus seinen sonst so sonnig heiteren Augen weichen. Egon schien die Anwesenheit Stadingers ganz vergessen zu haben; erst als dieser sich mit einem Räuspern bemerklich machte, fuhr er auf.

„Ah, Du bist noch da? Grüß’ mir den Lois und sage ihm, ich käme morgen selbst, um einmal wieder nach ihm zu sehen. Abschied brauchen wir ja nicht zu nehmen, da Du einstweilen noch hier bleibst. Du hast wohl nicht geglaubt, daß es so lustig

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