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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

anderen Zwecke übergeben, aber der Todte bedarf ihrer nicht mehr, er wird es mir verzeihen, wenn ich einen Lebenden damit rette.“

Hartmut riß die Brieftasche auf. Der Wind riß ihm fast die Blätter aus der Hand und nur mit Mühe vermochte er ihren Inhalt zu entziffern, während die junge Frau weiter sprach:

„Joseph Tanner hatte ein kleines Amt in Ostwalden, da traf ihn heut morgen einl Blutsturz, die Folge einer nur scheinbar überwundenen Krankheit – er hatte nur noch Stunden zu leben und übergab mir die letzten Grüße und Andenken für seine Mutter. Die arme Frau wird alles erhalten, jeden Brief, jedes Blättchen, das ihr ein Erinnerungszeichen sein kann, die amtlichen Papiere habe ich genommen – für Sie. Wir berauben ja niemand damit, für die Mutter, der sie jetzt gehören, sind sie werthlos. Ein strenger Richter nennt das vielleicht Betrug, aber ich nehme ihn freudig auf mich, Gott wird ihn verzeihen und das Vaterland!“

Hartmut schloß die Brieftasche und barg sie auf seiner Brust, die sich unter einem tiefen, tiefen Athemzuge hob. Dann richtete er sich empor und strich die regenfeuchten Locken von der hohen Stirn, jener Stirn, die er von dem Vater hatte, das einzige Erbtheil Falkenrieds, das auch in diesem Augenblick wieder wie damals beim Schein der zuckenden Blitze eine unverkennbare Aehnlichkeit schuf.

„Sie haben recht, Ada,“ sagte er. „In Worten kann ich Ihnen nicht danken für das, was Sie mir geben, aber ich werde es zu verdienen suchen.“

„Das weiß ich! Leben Sie wohl und – auf Wiedersehen!“

„Nein, das wünschen Sie mir nicht!“ sagte Hartmut düster. „Der Kampf kann mich wohl vor mir selbst entsühnen, vor meinem Vater und Egon nicht, denn sie würden es nie erfahren, wenn ich am Leben bliebe, und dann wäre der alte Makel wieder da. Aber wenn ich falle, dann sagen Sie ihnen, wer unter fremdem Namen in fremder Erde ruht, dann glauben sie Ihnen vielleicht und nehmen wenigstens von meinem Grabe den Fluch ihrer Verachtung.“

„Sie wollen fallen?“ fragte Adelheid mit schmerzlichem Vorwurf. „Auch wenn ich Ihnen sage, daß Sie damit mich zum Tode betrüben?“

„Dich, Ada?“ rief er aufflammend. „Graut Dir jetzt nicht mehr vor meiner Liebe, vor dem Verhängniß, das uns zu einander zog? Ich hätte das höchste Glück besitzen können, denn Du bist ja frei, jetzt naht es mir nur für einen einzigen, flüchtigen Augenblick und entschwebt dann wieder zu unerreichbarer Höhe wie die Sagengestalt meines Werkes, die Deinen Namen trägt. Gleichviel, es ist mir doch genaht und einmal, zum Abschiede, werde ich es wohl umfangen dürfen.“

Er zog sie an sich und drückte einen Kuß auf die Stirn der Geliebten, die in ausbrechendem Weinen ihr Haupt an seine Schulter lehnte.

„Hartmut, versprich nur, daß Du den Tod nicht suchen willst!“

„Nein, aber er wird mich zu finden wissen! Leb’ wohl, meine Ada!“

Er riß sich los und eilte fort. Adelheid blieb zurück, über ihrem Haupte brauste es, die mächtigen Baumwipfel ächzten und schwankten, der Sturm sang fort und fort sein wildes Lied; aber dort im Westen durch einen Riß der Wolken flammte es plötzlich gluthroth. Es war nur ein einziger Augenblick, nur ein einziger verlorener Strahl der niedergehenden Sonne, aber er traf leuchtend die Waldhöhe und den Forteilenden, der sich noch einmal umwandte und einen letzten Gruß zurückwinkte. Dann ballte sich das jagende Sturmgewölk wieder zusammen und der Strahl erlosch – der letzte Flammengruß des sinkenden Gestirnes.




Der röthlich flackernde Schein des Kaminfeuers beleuchtete das Innere eines kleinen, einsam gelegenen Häuschens, das früher einem Bahnwärter zur Wohnung gedient hatte und jetzt als Feldwache für den Vorpostendienst eingerichtet war. Einen behaglichen Eindruck machte der Raum gerade nicht mit seinen kahlen, rauchgeschwärzten Wänden, der niedrigen Decke und den kleinen, nothdürftig verwahrten Fenstern; die mächtigen Holzscheite, die in dem plumpen steinernen Kamin loderten, verbreiteten jedoch eine hinreichende und sehr willkommene Wärme, denn draußen war es bitter kalt und die ganze Landschaft lag im Schnee des Winters begraben. Die Regimenter, die hier lagen, hatten es kaum besser als ihre Kameraden vor Paris, obgleich sie zu der Südarmee gehörten.

Soeben traten zwei junge Offiziere ein, und der eine, der die Thür noch in der Hand hielt, rief dem Voranschreitenden lachend zu: „Bücken Sie sich gefälligst, Herr Kamerad, Sie könnten uns sonst den Thürbalken mitnehmen, denn unsere Villa ist etwas baufälliger Art, wie Sie sehen!“

Die Warnung war nicht ganz grundlos, denn die hünenhafte Gestalt des Gastes, eines preußischen Reservelieutenants, stand durchaus nicht im Einklang mit der niedrigen Thür. Er kam indeß glücklich hindurch und schaute sich in den vier Wänden um, während sein Begleiter, der die Uniform eines süddeutschen Regimentes trug, fortfuhr:

„Erlauben Sie, daß ich Ihnen einen Platz in unserem ‚Salon‘ anbiete, der in Anbetracht der Verhältnisse gar nicht so übel ist; wir haben es schon schlimmer gehabt während des Feldzuges. Sie suchen also Stahlberg? Er ist mit meinem Kameraden draußen bei den Vorposten, wird aber voraussichtlich bald zurückkehren. Eine Viertelstunde werden Sie sich allerdings noch gedulden müssen.“

„Mit Vergnügen,“ versicherte der Preuße. „Ich ersehe wenigstens daraus, daß Eugens Verwundung wirklich so unbedeutend ist, wie er berichtete. Ich suchte ihn im Lazareth und hörte, daß er einen Besuch bei den Vorposten macht. Da wir aber voraussichtlich morgen schon weiter rücken, so wollte ich dies Zusammentreffen doch nicht unbenutzt verstreichen lassen und suchte ihn hier auf.“

„Die Verwundung ist in der That nur leicht, ein Streifschuß am Arm, der schon in voller Heilung begriffen ist, aber immerhin noch einige Zeit dienstunfähig machen wird. Sie sind befreundet mit Stahlberg?“

„Allerdings, und überdies verwandt durch die Vermählung seiner Schwester. Ich sehe, daß Sie sich meiner nicht mehr erinnern, Durchlaucht, so muß ich Ihnen wohl meinen Namen nennen: Willibald von Eschenhagen. Wir sahen uns im vergangenen Jahre –“

„In Fürstenstein!“ fiel Egon von Adelsberg lebhaft ein. „Gewiß, jetzt erinnere ich mich Ihrer vollkommen, aber es ist merkwürdig, wie die Uniform verändert, ich erkannte Sie wirklich im Anfange nicht.“

Er streifte mit einem halb verwunderten Blick den einstigen unbeholfenen „Krautjunker“, der ihm so lächerlich erschienen war und sich jetzt als eine der stattlichsten militärischen Erscheinungen zeigte. Es war allerdings nicht nur die Uniform, die Willibald so verändert hatte; was die Liebe begonnen, das hatte das Kriegsleben, das Heraustreten aus den gewohnten Umgebungen und Verhältnissen vollendet. Der junge Majoratsherr war nicht bloß, wie sein Onkel Schönau sich ausdrückte, zum Menschen, sondern zum echten, rechten Manne geworden.

„Unsere damalige Begegnung war nur sehr flüchtig,“ hob der Fürst wieder an. „Aber trotzdem erlauben Sie mir wohl, daß ich Ihnen meinen Glückwunsch ausspreche. Sie sind verlobt –“

„Ich glaube, Sie befinden sich im Irrthum, Durchlaucht,“ unterbrach ihn Willibald mit einiger Verlegenheit. „Ich wurde Ihnen in Fürstenstein allerdings als der künftige Sohn des Hauses vorgestellt, aber –“

„Das hat sich geändert,“ ergänzte Egon lächelnd. „Ich weiß es, denn der Kamerad, von dem ich vorhin sprach, ist Lieutenant Walldorf, glücklicher Bräutigam der Baroneß Schönau. Meine Worte bezogen sich auch auf Fräulein Marietta Volkmar.“

„Gegenwärtig Frau von Eschenhagen.“

„Was? Sind Sie bereits Ehemann?“

„Seit fünf Monaten. Wir ließen uns unmittelbar vor dem Ausmarsch trauen, und meine Frau befindet sich bei meiner Mutter in Burgsdorf.“

„Dann also meinen Glückwunsch zur Vermählung! Aber eigentlich, Herr Kamerad, sollte ich Sie zur Rede stellen über den unverantwortlichen Raub, den Sie an der Kunst begangen haben. Bitte, melden Sie Ihrer Frau Gemahlin, so viel ich hier im Felde höre, trauere die ganze Stadt noch immer in Sack und Asche um ihren Verlust.“

„Ich werde nicht verfehlen, obgleich ich fürchte, daß die Stadt jetzt nicht viel Zeit zu einer solchen Trauer hat. – Ah, da scheinen die Herren schon zurückzukommen, ich höre Eugens Stimme!“

Draußen vor der Thür ließen sich in der That Stimmen hören, und gleich darauf traten die Erwarteten ein. Der junge Stahlberg begrüßte mit einem Ausruf der freudigsten Ueberraschung den Verwandten, den er während des ganzen Feldzuges nicht gesehen hatte, obgleich sie beide in demselben Armeecorps dienten. Er trug den Arm noch in der Binde, sah aber sonst ganz wohl und munter aus. Eugen besaß nicht die Schönheit seiner Schwester

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