Seite:Die Gartenlaube (1890) 390.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

zerstob, welcher Engelberts glänzende Persönlichkeit umgab. Hastig hatte sie Lothar das glühende Antlitz zugewandt, und wenn sie jetzt der leisesten Bewegung in seinen Zügen, nur einem warmen Aufleuchten in seinen Augen begegnet wäre, so hätte sie ihm vielleicht halb willenlos wie einem vertrauten Freunde alles bekannt, was an Widersprüchen, Zweifeln und herben Selbstvorwürfen ihr Herz bewegte. Aber seine unerschütterte Ruhe, seine ernste, gelassene Freundlichkeit umgaben ihn wie mit einem Panzer, und sie fühlte sich völlig entmuthigt und zugleich im Bewußtsein ihrer Ohnmacht zu zornigem Trotz aufgestachelt. Sie blieb plötzlich stehen und ließ ihre Hand von seinem Arm herabgleiten.

„Du mußt in der That viel Theilnahme für mich hegen, da Du so scharfsichtig zu beobachten wußtest,“ sagte sie mit einem unverhohlenen Spott, der ihn nothwendig tief verletzen mußte. „Nun wohl, ich bekenne offen, daß Du richtig gesehen hast. Ja, ich verzeihe Deinem Bruder, was er vorhin gethan hat – ich verzeihe es ihm, weil – nun, weil ich ihn liebe! – Bist Du mit diesem freimüthigen Geständniß zufrieden?“

Aber obwohl ihre letzten Worte eine Frage enthalten hatten, wartete sie doch die Antwort auf dieselbe nicht ab. Noch ehe sie zu Ende gesprochen hatte, brach ihre Fassung zusammen, und es erfaßte Marie zugleich ein so namenloses Grauen vor all der bunten, geräuschvollen Pracht rings um sie her, daß sie Lothar jäh den Rücken kehrte und wie ein gehetztes Wild aus den glänzend erhellten Gesellschaftsräumen hinweg in das nächtlich stille zweite Stockwerk emporflüchtete.

Mit mürrischem verschlafenen Gesicht begegnete ihr Cillys Kammerzofe auf dem Gange vor ihrem Zimmer.

„Mein Gott, wie verstört das gnädige Fräulein aussehen! Ist dem gnädigen Fräulein nicht wohl?“

„O, es ist nichts – ich fühle mich nur etwas angegriffen,“ brachte Marie, die ihre Thränen nicht länger zurückzuhalten vermochte, mühsam hervor. „Wenn man – nach mir fragt, so sagen Sie, ich – ich hätte mich bereits zur Ruhe begeben. Gute Nacht!“

Sie warf die Thür ihres Stübchens hinter sich ins Schloß, streifte mit hastigen zitternden Händen den duftigen Ballstaat, der sie vor ein paar Stunden noch mit so unschuldiger Freude erfüllt hatte, von ihrem Leibe und löschte die beiden Kerzen auf dem Armleuchter so eilig aus, als müßten mit dem Lichte auch die quälenden, grausamen Gedanken verschwinden, welche sie aus dem fröhlichen Festesrauschen hinaufgetrieben hatten in ihre Einsamkeit.

Sie hörte nach einer Weile die Wagen davonrollen, welche die Gäste des Generals heimwärts führten, sie hörte in ihrer Nähe das Geräusch geöffneter und wieder geschlossener Thüren, und sie hörte auch die wohlbekannte, klangvolle Stimme Engelberts, der seiner Schwester mit einem munteren Scherzwort gesegneten Morgenschlummer und liebliche Träume wünschte.

Dann wurde es todtenstill in dem vornehmen Hause, das der Verwaisten die verlorene Heimath ersetzen sollte. Wohl alle seine Bewohner ruhten nach der durchschwärmten Nacht sanfter und fester als sonst in den Armen des Schlummers, und keines von ihnen sah den grau und trüb hereindämmernden Morgen – nur Mariens thränennasse Augen starrten immer noch weit geöffnet in das Leere.


„Wollen Sie mir noch immer nicht erlauben, einen Arzt zu holen? – Ich fürchte doch, daß dies eine ernstliche Krankheit ist.“

Joseph Hudetz war es, der diese Worte gesprochen hatte. Er stand neben der schlechten eisernen Bettstätte seiner Wirthin und sah aus eingesunkenen, dunkel umschatteten Augen mit einem Blick namenloser Angst auf das todtenhafte alte Gesicht, über welches die düster brennende Küchenlampe nur eine matte Helligkeit breitete. Er war eben nach Haus gekommen, und die seltsame, unheimliche Veränderung, die sich seit dem Morgen in dem Antlitz der Greisin vollzogen, hatte seinen Fuß festgebannt und seinen Lippen jene Aeußerung höchster Sorge erpreßt.

Langsam und offenbar mit Mühe erhob die Alte die knochige Hand, um das vom Schweiß verklebte weiße Haar aus der runzligen Stirn zu streichen. Vielleicht mußte sie erst ihre Gedanken sammeln, um den Inhalt seiner Worte völlig zu verstehen.

„Eine ernstliche Krankheit?“ murmelte sie. „Unsinn! Es ist gar nichts! Und wenn Sie mir mit einem Doktor kommen, so werden Sie sehen, daß ich noch kräftig genug bin, ihn die Treppe hinunterzuwerfen! So ein Quacksalber brächte es allerdings fertig, mich wegen eines lumpigen Schnupfens auf den Kirchhof –“

Ihre Rede wurden von einem Hustenanfall unterbrochen wie immer, wenn sie anhaltend und in einiger Erregung sprach. Aber Hudetz bemerkte wohl, daß es nicht mehr derselbe Husten war, der ihn des Nachts hatte aus seinem unruhigen Schlummer auffahren lassen. Er war heiser und kraftlos und bereitete ihr ersichtlich die furchtbarste Pein. Auch war er von einem Rasseln und Keuchen begleitet, das für Hudetz einen besonders schauerlichen Klang hatte, weil er es nie zuvor aus einer menschlichen Brust vernommen.

Rathlos und von Angst geschüttelt stand er da, den Hut noch immer in der Hand haltend und seine Augen von einem Ende des kahlen Küchenraumes zu dem anderen sendend, als müßte ihm von da her eine Eingebung kommen, was er zu thun habe, um das Schrecklichste abzuwenden.

„Ach diese Schmerzen!“ stöhnte die Alte, als sie wieder nothdürftig zu Athem gelangt war. „Es ist, als ob mir da drin was zerrissen wäre! Aber es hat nichts zu sagen. Der Tod – der Tod ist das noch lange nicht.“

Sie hatte so oft und mit so viel Gleichmuth von ihrem nahen Ende gesprochen, daß die Zuversicht, mit welcher sie jetzt einem glücklichen Ausgang ihrer Krankheit entgegensah, trotz des beängstigenden Augenscheins einige Wirkung auf Hudetz hatte.

„Gewiß nicht, Frau Haberland!“ sagte er mit einem kleinen Aufathmen. „Wer möchte denn auch gleich an das Schlimmste denken!“

Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die vielleicht ein höhnisches Lächeln sein sollte.

„Das Schlimmste? Na, das Schlimmste wäre es nun wohl nicht! – Aber das ist ja alles dummes Gerede! – Kochen Sie mir lieber eine Tasse Brustthee, wenn Sie sich schon nützlich machen wollen. Die Düte liegt oben rechts im Schrank und der Kandis ist in dem Tassenkopf daneben.“

Mit hastiger Bereitwilligkeit schickte sich Hudetz an, ihrem Verlangen zu willfahren. Aber er verstand sich schlecht auf derartige häusliche Verrichtungen, und es währte lange, ehe er das Getränk zur Zufriedenheit der Alten fertiggestellt hatte. Soweit der immer wiederkehrende schreckliche Husten es ihr gestattete, ertheilte sie ihm die erforderlichen Anweisungen und schalt ihn wegen seiner Ungeschicklichkeit, wie wenn er ihr Diener oder ein unreifer Knabe gewesen wäre.

Geduldig und ohne auch nur eine Miene zu verziehen, ließ er ihre unwirschen Reden über sich ergehen. In beinahe demüthiger Haltung näherte er sich endlich mit dem dampfenden Tranke ihrem Lager.

„Richten Sie mich auf!“ stöhnte sie. „Ich weiß nicht, was das ist; aber ich habe ein Gefühl, als ob mir das Kreuz entzweigebrochen wäre.“

Er legte seinen Arm um ihren Nacken und stützte sie so sorglich und zart, wie nur ein liebevoller Sohn seine Mutter hätte stützen können. Trotzdem war die Kranke unzufrieden.

„Wollen Sie mir denn die Knochen zerdrücken?“ murrte sie. „Die Männer haben nun ’mal keine Hand für so was – sie taugen überhaupt zu nichts anderem als dazu, die Weiber unglücklich zu machen. – So – nun reichen Sie mir die Tasse; aber geben Sie acht, daß nichts verschüttet wird!“

Er brachte das Gefäß an ihre Lippen, und sie versuchte zu trinken. Aber schon nach dem ersten Schluck schüttelte es sie wie ein heftiges Fieber, und sie stieß den Arm des Studenten unsanft zurück.

„Es will nicht hinunter,“ ächzte sie, „stellen Sie die Tasse weg! – Am Ende geht es auch ohne den Thee vorüber.“

Sie sank auf das Kissen zurück, und während sich Hudetz bemühte, ihrem Kopfe eine möglichst bequeme Lage zu geben, fiel es ihm auf, wie merkwürdig weiß und spitz ihre Nase geworden war.

„Kann ich denn sonst gar nichts für Sie thun?“ fragte er; denn auf seinen Vorschlag bezüglich des Arztes wagte er nicht mehr zurückzukommen.

Die Alte machte eine verneinende Bewegung, und er ließ

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_390.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)