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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

In ein halblautes Geplauder vertieft, bemerkten sie es nicht, daß die Thür des Hauses geöffnet wurde und jemand mit langsamen, etwas zögernden Schritten den Hauptgang entlang kam. Erst das Rauschen eines Frauenkleides auf dem Kies des Bodens machte sie aufmerksam, und plötzlich sprangen beide auf.

„Meine Mutter!“ rief Willy im freudigen Schreck, legte aber gleichzeitig den Arm um Marietta, als wollte er sie schützen vor einer erneuten Kränkung, denn das Gesicht der Frau von Eschenhagen, die einige Schritte entfernt stehen geblieben war, erschien hart und finster und in ihrer Haltung lag nichts, was auf Versöhnlichkeit deutete. Ohne das junge Mädchen zu beachten, wandte sie sich ausschließlich an ihren Sohn.

„Ich hörte von Adelheid, daß Du hier seist,“ begann sie in einem ziemlich herben Tone, „und da wollte ich mich doch erkundigen, wie es jetzt in Burgsdorf steht. Hast Du für eine Vertretung gesorgt während Deiner Abwesenheit? Man weiß ja nicht, wie lange der Feldzug dauert.“

Der freudige Ausdruck in den Zügen des jungen Majoratsherrn verschwand – er hatte doch auf eine andere Begrüßung gehofft bei diesem unerwarteten Erscheinen der Mutter.

„Ich habe nach Möglichkeit Vorsorge getroffen,“ versetzte er. „Der größte Theil meiner Leute ist allerdings einberufen, auch der Inspektor muß in diesen Tagen fort, und ein Ersatz ist in jetziger Zeit nicht zu beschaffen. Die Arbeiten werden daher aufs Nothwendigste beschränkt und der alte Mertens wird die Oberaufsicht führen.“

„Der Mertens ist ein Schaf!“ sagte Regine mit der alten Derbheit. „Wenn der die Zügel führt, geht es drunter und drüber in Burgsdorf. Da wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als daß ich selbst hingehe und nach dem Rechten sehe.“

„Wie, Du wolltest –?“ rief Willibald; aber seine Mutter schnitt ihm ohne weiteres das Wort ab.

„Denkst Du, ich werde Dein Hab und Gut zugrunde gehen lassen, während Du im Felde stehst? In meinen Händen ist es sicher aufgehoben, das weißt Du; ich habe lange genug das Regiment geführt, und das werde ich auch jetzt thun, bis Du wieder zurückkommst.“

Sie sprach noch immer in dem harten, kalten Tone, als wollte sie jedes wärmere Gefühl ausschließen; aber jetzt trat Willy, seine Braut noch im Arme, dicht vor sie hin.

„Um mein Hab und Gut sorgst Du Dich, Mama!“ sagte er vorwurfsvoll. „Das willst Du in Deine Obhut nehmen, aber für das Beste und Liebste, was ich besitze, hast Du kein Wort und keinen Blick? Bist Du wirklich nur gekommen, um mir zu sagen, daß Du nach Burgsdorf gehen willst?“

Um die Lippen der Frau von Eschenhagen zuckte es, ihre herbe Zurückhaltung wollte nicht mehr standhalten bei dieser Frage.

„Ich kam, um meinen einzigen Sohn noch einmal zu sehen, ehe er in den Krieg, vielleicht in den Tod geht!“ sagte sie mit schmerzlicher Bitterkeit. „Ich mußte es von anderen hören, daß er gekommen sei, um von seiner Braut Abschied zu nehmen. Zu seiner Mutter kam er nicht. Und das – das konnte ich doch nicht ertragen!“

„Wir wären gekommen!“ rief der junge Majoratsherr, „wir hätten vor der Abreise noch einen letzten Versuch gemacht, Dein Herz zu gewinnen. Sieh Mutter, hier ist meine Braut, meine Marietta – sie wartet auf ein freundliches Wort von Dir.“

Regine warf einen langen Blick auf das junge Paar, und wieder zuckte es schmerzlich in ihrem Gesichte, als sie sah, wie Marietta sich scheu und doch zuversichtlich an die Brust des Mannes schmiegte, in dessen Schutz sie sich jetzt so sicher wußte. Die mütterliche Eifersucht bestand einen letzten, schweren Kampf, aber endlich gab sie sich überwunden. Frau von Eschenhagen streckte dem jungen Mädchen die Hand hin.

„Ich habe Dich einmal gekränkt, Marietta,“ sagte sie halblaut, „und habe Dir damals wohl auch unrecht gethan; aber dafür hast Du mir meinen Jungen genommen, der bis dahin nichts anderes kannte und liebte als seine Mutter, und der nun nichts anderes kennt und liebt als Dich – ich glaube, wir sind quitt.“

„O, Willy liebt seine Mutter nicht weniger als früher,“ versicherte Marietta eifrig. „Ich weiß es am besten, wie er unter der Trennung gelitten hat.“

„So? Nun, dann werden wir uns wohl vertragen müssen um seinetwillen!“ versetzte Regine mit einem Versuch, zu scherzen, der aber nicht recht gelang. „Wir werden uns in der nächsten Zeit rechtschaffen ängstigen um ihn, wenn wir ihn draußen im Felde wissen – da wird es Sorge und Kummer genug geben. Was meinst Du, Kind? Ich glaube, wir tragen es leichter, wenn wir uns zusammen ängstigen.“

Sie breitete die Arme aus, und in der nächsten Sekunde lag Marietta schluchzend an ihrer Brust. Auch in dem Auge der Mutter schimmerte eine Thräne, als sie sich niederbeugte, um die künftige Tochter zu küssen, dann aber sagte sie in dem alten befehlshaberischen Tone:

„Geweint wird nicht! Kopf in die Höh’, Marietta, eine Soldatenbraut muß tapfer sein, merke Dir das!“

„Eine Soldatenfrau,“ verbesserte Willibald, der mit leuchtenden Augen dabei stand. „Wir sind soeben übereingekommen, uns noch vor dem Ausmarsch trauen zu lassen.“

„Nun, dann gehört Marietta aber von Rechtswegen nach Burgsdorf,“ erklärte Regine, die sich kaum überrascht zeigte und den Entschluß ganz in der Ordnung zu finden schien. „Keine Einwendung, Kind! Die junge Frau von Eschenhagen hat in Waldhofen nichts mehr zu suchen, außer wenn sie bei ihrem Großvater zum Besuch ist. Oder fürchtest Du Dich vielleicht vor der grimmigen Schwiegermutter? Nun, ich meine, Du hast an dem da“ – sie wies auf ihren Sohn – „einen hinreichenden Schutz, selbst wenn er nicht zu Hause ist. Er wäre imstande, seiner eigenen leiblichen Mutter den Krieg zu erklären, wenn sie seine kleine Frau daheim nicht auf Händen getragen hat.“

„Das wird sie thun, ich weiß es!“ fiel Willy ein. „Wenn meine Mutter erst einmal ihr Herz öffnet, dann thut sie es auch recht!“

„Ja, jetzt kannst Du schmeicheln,“ sagte Frau Regine mit einem strafenden Blick. „Also Du kommst mit nach Deiner künftigen Heimath, Marietta. Um die Wirthschaft brauchst Du Dich nicht zu kümmern, das ist meine Sache, solch ein kleines Ding kann ja überhaupt nichts angreifen in der Landwirthschaft, und ich leide es auch nicht, daß mir jemand dreinredet, so lange ich in Burgsdorf bin. Wenn ich wieder fortgehe, ist das eine andere Sache; aber ich sehe es schon kommen, daß der Willy Dich Dein lebelang wie eine Prinzessin halten wird. – Meinetwegen, wenn er nur heil und gesund zurückkommt!“

Sie streckte jetzt auch ihrem Sohne die Hände entgegen, und die beiden hatten sich vielleicht noch nie so warm und herzlich umarmt wie heute.

Als sie eine Viertelstunde später alle drei in das Haus traten, trafen sie dort mit dem Oberforstmeister zusammen, der förmlich zurückprallte beim Anblick seiner Schwägerin. Regine weidete sich redlich an seiner Ueberraschung.

„Nun, Moritz, bin ich noch die Unvernunft und der Starrsinn in höchsteigener Person?“ fragte sie, ihm die Hand bietend; aber Schönau, der den vor acht Tagen erhaltenen Korb noch nicht verwunden hatte, hielt die seinige zurück und brummte nur etwas Unverständliches, aus dem man ungefähr entnehmen konnte, es habe ziemlich lange gedauert, bis die Vernunft zum Durchbruch gekommen sei. Dann wandte er sich an das junge Paar.

„Also nun soll schleunigst drauf los geheirathet werden? Doktor Volkmar, dem ich begegnete, sagte es mir soeben, und da kam ich her, um mich als Brautführer anzubieten. Das ist nun wohl nicht mehr nöthig, da die Frau Mutter zur Stelle ist.“

„O, Du bist uns deshalb ebenso herzlich willkommen, Onkel!“ rief Willibald.

„Nun ja, so als Nebenperson bei einer Hochzeit kann ich allenfalls noch verwendet werden,“ grollte der Oberforstmeister mit einem anzüglichen Blick auf seine Schwägerin. „Also eine Heirath vor der Trommel! Das muß man sagen, Willy, Du bist aus Deinem nüchternen Burgsdorf mit Siebenmeilenstiefeln hineingewandert in die Romantik, und Dir gerade hätte ich das am wenigsten zugetraut. Uebrigens ist meine Toni jetzt auch ganz versessen auf das Romantische; sie und Walldorf hätten nicht übel Lust gehabt, auch so mit Dampf zu heirathen vor dem Abmarsch; aber das habe ich mir verbeten, denn bei uns liegen die Verhältnisse ganz anders, und ich habe keine Lust, jetzt schon einsam dazusitzen wie ein Kauz.“

Er blickte wieder mit grimmigem Ausdrucke zu Frau von Eschenhagen hinüber; aber diese trat jetzt zu ihm und sagte herzlich:

„Grolle nicht, Moritz, wir haben uns ja noch immer wieder vertragen, wir wollen auch diesmal den Streit vergessen. Du

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_378.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)