Seite:Die Gartenlaube (1890) 348.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

nähern, denn diese stand da wie eine dräuende Wetterwolke, und in ihrer Stimme grollte es auch wie ferner Donner, als sie fragte:

„So weißt Du also, weshalb ich gekommen bin?“

„Ich errathe es wenigstens, Mama, wenn ich auch nicht begreife, wie Du erfahren hast –“

„Die Zeitungen bringen es ja bereits – da steht es!“ unterbrach ihn Frau von Eschenhagen, indem sie auf das Zeitungsblatt deutete, das noch auf dem Tische lag, „und überdies hat uns Toni alles gesagt – hörst Du, alles!“

Sie sprach das letzte Wort in einem geradezu vernichtenden Tone aus, aber Willibald wurde dadurch kaum aus der Fassung gebracht, sondern versetzte ganz ruhig:

„Nun, dann brauche ich es Euch nicht erst zu sagen! Sonst hätte ich noch heute mit dem Onkel gesprochen.“

Das war zu viel! Jetzt brach die Wetterwolke los mit Blitz und Donner, sie entlud sich mit einer solchen Heftigkeit über dem Haupte des jungen Majoratsherrn, daß diesem eigentlich nichts anderes übrig geblieben wäre, als schleunigst in den Erdboden zu versinken, der einen Menschen seiner Art nicht mehr tragen durfte; aber er versank durchaus nicht, er beugte nur den Kopf vor dem daherstürmenden Ungewitter, und als es endlich nachließ – Frau Regine mußte doch nothgedrungen einmal Athem schöpfen – richtete er sich auf und sagte:

„Mama – jetzt laß mich einmal reden!“

Du willst reden? Das ist ja merkwürdig!“ warf Schönau ein, der an solche Leistungen von seiten des Bräutigams seiner Tochter allerdings nicht gewöhnt war, aber Willibald fing wirklich an zu reden, anfangs noch etwas stockend und unsicher, dann aber mit sichtlich zunehmender Festigkeit in Sprache und Haltung.

„Es thut mir leid, wenn ich Euch kränken mußte, aber ändern ließ sich das nicht. An dem Duell bin ich ebenso unschuldig wie Marietta; sie wurde von einem frechen Menschen mit Zudringlichkeiten verfolgt, ich nahm mich ihrer an, züchtigte den Unverschämten und er schickte mir eine Herausforderung, die ich nicht ablehnen konnte und durfte. Daß ich Marietta liebe, dafür habe ich nur Toni allein um Verzeihung zu bitten, und das that ich gleich nach meiner Ankunft. Sie erfuhr alles und gab mir mein Wort zurück. Wir haben allerdings eigenmächtig unsere Verlobung aufgehoben, viel eigenmächtiger, als wir sie geschlossen hatten.“

„Oho, geht das etwa auf uns?“ rief der Oberforstmeister ärgerlich. „Wir haben Euch nicht gezwungen, Ihr konntet Nein sagen, wenn Ihr Euch nicht haben wolltet.“

„Nun, das thun wir jetzt noch nachträglich,“ gab Willibald so schlagfertig zurück, daß Schönau ihn ganz verblüfft ansah. „Toni hat es auch eingesehen, daß die bloße Gewohnheit zu einer Ehe nicht ausreicht, und wenn man das Glück überhaupt erst einmal kennengelernt hat, dann will man es auch besitzen.“

Frau von Eschenhagen, die noch immer nicht ihren vollen Athem zurückgewonnen hatte, fuhr bei dem letzten Worte auf wie von einer Schlange gestochen. Es war ihr noch nicht in den Sinn gekommen, daß der ersten, nunmehr aufgehobenen Verlobung eine zweite folgen könnte, – an diese furchtbarste aller Möglichkeiten hatte sie noch gar nicht gedacht.

„Besitzen?“ wiederholte sie. „Was willst Du besitzen? Soll das etwa heißen, daß Du sie heirathen willst, diese Marietta, dies Geschöpf –“

„Mama, ich bitte Dich, in einem anderen Tone von meiner zukünftigen Frau zu sprechen,“ unterbrach sie der junge Majoratsherr so ernst und entschieden, daß die erzürnte Frau in der That verstummte. „Toni hat mich frei gegeben, also ist kein Unrecht mehr in meiner Liebe zu Marietta, und Mariettas Ruf ist tadellos, davon habe ich mich überzeugt. Wer sie kränkt oder beleidigt, der bekommt es mit mir zu thun – und wenn es meine eigene Mutter wäre!“

„Sieh, sieh, der Junge macht sich!“ murmelte der Oberforstmeister, bei dem das Gerechtigkeitsgefühl den Aerger schließlich überwog. Aber Frau von Eschenhagen war weit entfernt, der Gerechtigkeit Gehör zu geben. Sie hatte geglaubt, schon durch ihr bloßes Erscheinen ihren Sohn zu zerschmettern, und nun bot er ihr in dieser unerhörten Weise Trotz. Gerade sein mannhaftes Auftreten brachte sie zum äußersten, denn sie erkannte daraus, wie tief und mächtig das Gefühl war, das ihn so verändern konnte.

„Ich will es Dir ersparen, gegen Deine eigene Mutter das geltend machen,“ sagte sie mit grenzenloser Bitterkeit. „Du bist mündig, bist der Majoratsherr von Burgsdorf, ich kann Dich nicht hindern, aber menn Du diese Marietta Volkmar wirklich dort einführst – dann gehe ich!“

Die Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Willibald zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück.

„Mama, das sprachst Du im Zorne!“ rief er heftig.

„Das spreche ich im vollen Ernste! Sobald eine Komödiantin als Herrin das Haus betritt, wo ich dreißig Jahre lang in Ehrbarkeit gelebt und gewaltet habe, wo ich mein Haupt zur letzten Ruhe niederzulegen hoffte, verlasse ich dies Haus auf immer. Dann mag sie dort herrschen – Du hast die Wahl zwischen ihr und Deiner Mutter!“

„Aber Regine, so treibe doch nicht alles gleich auf die Spitze,“ suchte Schönau zu beschwichtigen. „Du folterst den armen Jungen ja mit diesem grausamen Entweder – oder.“

Regine hörte nicht auf die Mahnung, sie stand da, bleich bis an die Lippen, das Auge unverwandt auf ihren Sohn gerichtet, aber sie wiederholte unbeugsam:

„Entscheide Dich – sie oder ich!“

Auch Willibald war bleich geworden, und um seine Lippen zuckte es bitter und schmerzlich, als er leise sagte:

„Das ist hart, Mama! Du weißt, wie lieb ich Dich habe und was Du mir anthust mit Deinem Fortgehen. Wenn Du aber wirklich so grausam bist, mich vor eine solche Wahl zu stellen, nun dann,“ er richtete sich entschlossen auf, „dann wähle ich meine Braut!“

„Bravo!“ fiel der Oberforstmeister ein, der ganz vergaß, daß er doch eigentlich der Mitbeleidigte war. „Willy, es geht mir wie der Toni, Du fängst jetzt erst an, mir zu gefallen. Es thut mir wirklich leid, daß Du nicht mein Schwiegersohn wirst!“

Frau von Eschenhagen mochte einen solchen Ausgang doch wohl nicht erwartet haben; sie hatte auf ihre alte Macht gebaut, die sie nun in Trümmer gehen sah, aber sie war nicht die Frau, nachzugeben. Wenn es ihr Leben gegolten hätte, sie hätte ihren Starrsinn nicht gebeugt.

„Gut – so sind wir fertig miteinander!“ sagte sie kurz und wandte sich zum Gehen, ohne auf die Einrede ihres Schwagers zu achten, der ihr folgte. Aber ehe sie noch die Thür erreichte, wurde diese geöffnet und der Diener des Oberforstmeisters trat ein mit der hastigen Meldung:

„Der Schloßverwalter von Rodeck ist draußen und bittet –“

„Ich habe jetzt keine Zeit!“ fuhr Schönau unwillig auf. „Sagen Sie dem Stadinger, ich könnte ihn jetzt nicht sprechen, ich hätte Wichtiges vor, Familienangelegenheiten –“

Er konnte nicht ausreden, denn Stadinger, der dem Diener auf dem Fuße gefolgt war, stand bereits auf der Schwelle und sagte in einem eigenthümlich gepreßten Tone:

„Ich komme auch in einer Familienangelegenheit, Herr Oberforstmeister, aber es ist eine traurige. Ich kann leider nicht warten, sondern muß Sie auf der Stelle sprechen.“

„Was giebt es denn?“ fragte Schönau betroffen. „Ist etwa ein Unglück geschehen? Der Fürst ist doch nicht in Rodeck, so viel ich weiß?“

„Nein, Durchlaucht ist in der Stadt, aber Herr Rojanow ist hier und schickt mich. Er läßt den Herrn Oberforstmeister und den Herrn von Eschenhagen bitten, augenblicklich nach Rodeck zu kommen, und die gnädige Frau –“ Stadinger warf einen Blick auf Frau von Eschenhagen, die er von ihren Besuchen in Fürstenstein her kannte – „die thäte wohl am besten, auch gleich mitzukommen.“

„Aber weshalb denn? Was ist denn eigentlich vorgefallen?“ rief der Oberforstmeister, der jetzt ernstlich unruhig wurde.

Der Alte zögerte mit der Antwort, man hatte ihm offenbar eingeschärft, seine Nachricht vorsichtig anzubringen. Endlich sagte er:

„Excellenz von Wallmoden ist bei uns im Schlosse – und die Frau Baronin auch.“

„Mein Bruder?“ fiel Regine ahnungsvoll ein.

„Ja, gnädige Frau, der Herr ist aus dem Wagen gestürzt, und nun liegt er da, besinnungslos, und der Arzt, den wir in der Eile gerufen haben, meint, die Sache wäre sehr bedenklich.“

„Um Gotteswillen!“ rief die erschrockene Frau. „Moritz, wir müssen sofort hinüber!“

Schönau hatte bereits die Klingel ergriffen und läutete.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_348.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)