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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

des höchsten Beifalls, sondern er wurde auch noch mit einem Nachtessen bewirthet, das ihm nach dem taglangen unfreiwilligen Fasten gar herrlich mundete. Voll stolzer Hoffnungen trat er am andern Morgen ganz früh seine Reise nach Hall an, um dort ein Konzert zu versuchen; allein obschon er nach dortiger Sitte selbst mit der Einzeichnungsliste zu den ersten Familien ging und den Zweiflern an der Maultrommel gleich ein Stückchen vorspielte, kamen doch nur 50 Personen zusammen, sodaß er am andern Morgen zu Fuß die Rückreise nach Heilbronn antrat. Er war auf schwere Vorwürfe von dem Onkel vorbereitet, den er nicht zuvor um seine Meinung befragt hatte; allein zu seiner großen Ueberraschung sagte er diesmal nichts – Justinus Kerner war bei ihm gewesen und hatte ihm zugeredet, der Karl sei „ein Genie, das dürfe man nicht unterdrücken.“ Die vier mitgebrachten Kronenthaler und der fürstliche Nimbus von Friedrichsruh her thaten auch das Ihrige.

Damals traf es sich, daß ein Schwager Kerners in eigenem Wagen nach Karlsruhe reisen wollte und dem jungen Eulenstein einen Freisitz zur Mitfahrt anbot. Der Onkel willigte ein, daß mit dieser Reise der erste größere Versuch gemacht werde, ob sein Neffe mit der Musik sein Brot finde. Unterwegs machte dieser in Heidelberg die Bekanntschaft des Prinzen August von Hohenlohe-Oehringen und durch diesen die weitere eines Grafen Lean, welcher ihn einlud, ihn in Paris zu besuchen, – die erste an Eulenstein herantretende Anregung zum Besuche der französischen Weltstadt, von welcher eine flimmernde Ahnung durch seine Seele ging, er werde dort dereinst sein Glück machen!

In Karlsruhe spielte Eulenstein vor der Markgräfin Friederike in Gegenwart der Königin von Schweden mit großem Beifall, erzielte aber in seinem eigenen Konzert eine so geringe Einnahme, daß er sich nun in der großen Kunst üben mußte, von der Ehre zu leben. Auch in Pforzheim, Brüssel und Darmstadt ging es ihm schlecht, und seine Gemüthslage war tief traurig, als er endlich zu Fuß wieder durch die Thore Heilbronns einzog, statt der mitgenommenen 40 Gulden trotz äußerster Einschränkung nur noch fünf in der Tasche. Dies also war der Erfolg der ersten größeren „Kunstreise“!

Da sollte freilich Karl ernstlich die Kunst an den Nagel hängen und in die Backstube zurückkehren. Nach Stuttgart also, um eine Stelle zu suchen! Gleichwohl ging der Jüngling nicht aus seiner Vaterstadt, ohne von Dr. Kerner sich Empfehlungen an dessen Freunde nach Stuttgart verschafft zu haben. Und als das Herumsuchen bei den Konditoren nichts half, zog Eulenstein die Kernerschen Briefe hervor und spielte schon nach zwei Tagen Maultrommel in einer Gesellschaft bei dem Dichter Gustav Schwab. Ludwig Uhland und Wilhelm Hauff, sowie mehrere Musikfreunde waren dabei anwesend, und Eulenstein spielte so gut, daß aus diesem Kreise sein Name bekannt wurde und durch Freiherrn von Gemmingen eine Einladung an ihn erging, sich vor der verwitweten Königin von Württemberg in Ludwigsburg hören zu lassen. Das fiel so gut aus, daß ihm von der Königin, welche eine englische Prinzessin war, ein Empfehlungsbrief nach England in Aussicht gestellt wurde, den er später auch erhielt und benützte.

Die Versuche, vor dem König Wilhelm in Stuttgart zu spielen, wollten nicht gelingen, und da es gegen Weihnachten ging, auch der warnende Onkel sich wieder aus Heilbronn hören ließ, trat Karl bei Konditor Murschel ein, einem Manne, der ein Kunstfreund, wenn auch auf anderem Gebiete, war[1] und seinem Gehilfen gerne den Nebenverdienst mit seiner Maultrommel gestattete. Eulenstein nahm durch den doppelteu Erwerb viel Geld ein, und es ging ihm in dieser Zeit so gut, daß er hätte vollauf zufrieden sein können. Allein da machten die Poeten neue Gedichte auf seine Maultrommel, in den Zeitungen erschienen Artikel über das eigenartige Talent des jungen Mannes, und da duldete es ihn nicht länger beim Kuchenbacken. Als freier Künstler die Welt sehen, die Menschen erfreuen, entzücken durch sein Spiel, diesem Sterne wollte er folgen und sollten ihm auch noch viel tausendmal schwerere Entbehrungen und Enttäuschungen, als er sie schon erlebt, beschieden sein!

Um gefeit zu sein gegen die ärgste Noth beschloß er, wieder der äußersten Sparsamkeit treu zu bleiben, und machte gleich einen guten Anfang damit, indem er auf einer Fußwanderung nach Tübingen (34 Kilometer) im ganzen nur drei Kreuzer verzehrte. Als er aber in der Musenstadt mit seiner Schachtel gestimmter Maultrommeln den Konzertsaal betrat, da war es kein Geringerer als der bekannte Komponist der „Loreley“ und so vieler herzinniger Volkslieder, Friedrich Silcher, der ihn auf der Guitarre zu seinem Spiele begleitete.

Vom Beginn seiner Laufbahn an war es Euleusteins Klugheit, sich, wo er nur immer konnte, Empfehlungs- und Einführungsbriefe zu verschaffen und die eine Bekanntschaft aus der anderen zu entwickeln. Tübinger Studenten empfahlen ihn an Heidelberger; auch in dieser Neckarstadt fiel sein Konzert gut aus. Weniger begünstigte ihn das Glück in Mannheim und Frankfurt; dort rieth ihm Kapellmeister Strauß, nach der Schweiz zu gehen. In Basel fing er an und spielte dann in Aarau bei Zschokke. Sein Konzert in Zürich brachte ihm einen baaren Ueberschuß von zehn Louisdor. „So viel Geld für so wenig Mühe!“ rief er bei dieser Einnahme, und da leuchtete auch schon wieder der Gedanke neu in ihm auf, der ihn nicht mehr verließ: „Nach Paris!“ Der Zufall wollte es, daß er in Lausanne die Bekanntschaft eines angesehenen Pariser Musikers, des Harfenspielers Stockhausen, des Vaters von Julius Stockhausen, machte; der bestärkte ihn in seinem Plan und ward nachher in der Seinestadt sein rettender Engel.

Als Karl Eulenstein am 2. Dezember 1825 in Paris ankam – seine Baarschaft betrug 250 Franken – da pochte ihm angesichts des endlosen Häusermeers gewaltig das Herz und der Straßenlärm betäubte ihn vollständig. „Da soll man Deine Maultrammel hören?“ frug es bang in ihm, und zuletzt überkam es ihn eiskalt, er werde hier am Ende Schiffbruch leiden müssen. Zum ersten Male lernte er die riesigen Entfernungen in einer solchen Stadt, die Schwierigkeit, die Leute anzutreffen, kennen. Als er sich aufmacht mit seinen Empfehlungen, angethan mit seinen besten Kleidern, und wie er so dahingeht auf dem Boulevard, von Sorgen und Zweifeln gequält, da schlägt ein Straßenkehrer neben ihm seinen kothgefüllten Besen an einem Baume aus und die ganze Ladung trifft das jugendliche deutsche Musikantenbürschlein. Das verzweifelte schier darob, denn ein merkwürdiger Zug tritt da wiederum in diesem Lebensbilde zu Tage: kleine Widerwärtigkeiten zu ertragen, fiel ihm viel schwerer als langes Ausharren unter dem Drucke der widrigsten Umstände. Zunächst griff er zu seinem altbewährten Mittel zurück: möglichst wenig brauchen, so lange er nichts verdiente. Wohl spielte er in Familien, man bewunderte ihn; aber da es in Paris nicht Sitte war, Künstler für ihr Spiel in Gesellschaften zu bezahlen, mußte er einstweilen mit dieser Bewunderung vorliebnehmen und, um sich bekannt zu machen, weiter spielen, bis er schließlich fast vor Hunger starb. Das ist bei Eulenstein buchstäblich zu nehmen. Er aß des Mittags nur noch ein paar kleine getrocknete Fische, und erst nachdem er zwei Tage keinen Bissen mehr über die Lippen gebracht hatte, entdeckte er sich einem Freunde – eben dem braven Stockhausen, der über die Tiefe des Elends erschrak, ist das er da blickte.

Er verschaffte Eulenstein zunächst Arbeit durch Notenabschreiben; dann aber wirkte er bei seinen Schülern, meist reichen Leuten der höheren Stände, nach Kräften für ihn, und es folgte nun Einladung auf Einladung. Eine Karte wird gedruckt und das Honorar für das Spielen in Gesellschaften auf 40 Franken festgesetzt. Die Zeitungen reden von dem deutschen Maultrommelspieler, einige reißen ihre Witze über ihn, das macht aber die Leute, statt sie abzuschrecken, nur um so neugieriger. Er lernt Rossini und Paer kennen, wird von dem letzteren bei dem Herzog von Orleans, dem späteren König Louis Philipp, eingeführt, und nun kam ein großes Pariser Konzert zustande, das seinen Ruf begründete.

Von jetzt ab folgte ein gutes Konzert dem andern, eine werthvolle Bekanntschaft der andern, und endlich, nachdem er vor dem Könige der Franzosen in den Tuilerien gespielt, sollte sich das höchste Träumen des bescheidenen Jünglings erfüllen: es öffnete sich ihm auch das Schloß des Königs von England.

Nie in seinem Leben, erzählte er, war er aufgeregter als an diesem Tage – in der Verwirrung gab er dem Kutscher einen Sovereign statt eines Schillings[2], den er – glücklicher als andere

  1. Derselbe legte sich im Laufe der Jahre die schönste Sammlung von Porzellangegenständen aus den von Herzog Karl gegründeten Porzellanfabriken, insbesondere der Ludwigsburger, an; der württembergische Staat erwarb später diese kostbare Sammlung.
  2. Etwa 20 Mark statt einer.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_319.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)