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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

gleichgültig sagte: „Nun, wir werden uns ja sehen, wenn Wallmoden zurückkommt.“

Der Oberst hatte sich allerdings sehr verändert, so sehr, daß er kaum wiederzuerkennen war. Wäre nicht die hohe, markige Gestalt, die kraftvolle Haltung gewesen, so hätte man ihn für einen Greis halten können. Das Haar des kaum zweiundfünfzigjährigen Mannes war schneeweiß, die Stirn tief durchfurcht, und tiefe, scharfe Linien gruben sich in das Antlitz und ließen es um zehn Jahre älter erscheinen. Die einst so ausdrucksvollen Züge hatten etwas Starres, Unbewegliches angenommen, und Haltung und Auftreten zeigten eine finstere, undurchdringliche Verschlossenheit. Regines Ausspruch: „Der Mann ist wie zu Stein geworden!“ war nur zu richtig. Man empfing unwillkürlich den Eindruck, als sei er der Welt und den Menschen völlig fremd geworden, abgestorben für alles, was sie bewegt, die Pflichten seines Berufes ausgenommen.

„Ich habe Sie wohl gestört, Ada?“ fragte er, den alten Namen des Vaterhauses gebrauchend, an den er gewöhnt war, und dabei warf er einen Blick nach dem Schreibtische, wo ein halb vollendeter Brief lag.

„O, das hat Zeit,“ sagte die junge Frau abwehrend. „Ich schrieb nur an Eugen.“

„Ach so! Ich bringe Ihnen einen Gruß von dem Bruder mit, er war vorgestern bei mir.“

„Ich weiß, er wollte nach Berlin und beabsichtigte, Sie dort aufzusuchen. Er hat Sie ja beinahe zwei Jahre lang nicht gesehen, und auch ich sah Sie nur flüchtig bei unserer Durchreise. Wir hofften, Sie würden nach Burgsdorf kommen, wo wir einige Tage verweilten, und ich glaube, es hat Regine sehr gekränkt, daß Sie auch diesmal nicht ihrer Einladung folgten.“

Der Oberst sah finster vor sich nieder, er wußte am besten, weshalb er Burgsdorf mit seinen Erinnerungen mied. Er hatte es seit seiner Rückkehr in die Hauptstadt kaum zweimal betreten.

„Regine weiß es ja, wie sehr ich mit meiner Zeit geizen muß,“ versetzte er ausweichend. „Aber um auf Ihren Bruder zurückzukommen, Ada – ich möchte da etwas mit Ihnen besprechen, und deshalb ist es mir lieb, daß ich Sie allein finde. Was liegt eigentlich zwischen Eugen und seinem Schwager? Ist da etwas vorgefallen?“

In dem Gesichte Adelheids zeigte sich eine gewisse Verlegenheit bei der Frage, aber sie sagte leichthin: „Nichts Besonderes, die beiden stehen überhaupt nicht gut miteinander“

„Stehen nicht gut? Wallmoden ist beinahe vierzig Jahre älter und überdies der Vormund Ihres Bruders, der erst in ein paar Jahren mündig wird. Da hat der Jüngere unbedingt nachzugeben.“

„Gewiß, aber Eugen ist, wenn auch herzensgut, doch nur zu oft leidenschaftlich und unbesonnen, wie er das schon als Knabe gewesen ist.“

„Leider! Er wird sich noch sehr ändern müssen, wenn er die bedeutende und verantwortungsreiche Stellung, die seiner wartet, nur annähernd so ausfüllen will, wie sein Vater es that. Doch hier scheint es sich um etwas anderes zu handeln. Ich machte eine ganz einfache Bemerkung über Ihre Heirath, Ada – die mich, wie ich offen gestehe, ein wenig überrascht hat, so sehr ich auch mit Ihrem Gatten befreundet bin – und äußerte, ich hätte Ihnen nicht so viel Ehrgeiz zugetraut. Da fuhr Eugen auf und vertheidigte Sie in der leidenschaftlichsten Weise, sprach von einem Opfer, das seine Schwester ihm gebracht habe, und ließ sich überhaupt zu Worten und Andeutungen hinreißen, die mich im höchsten Grade befremdeten.“

„Sie hätten nicht darauf achten sollen,“ sagte Adelheid mit sichtbarer Unruhe. „Solch ein junger Hitzkopf pflegt alles gleich tragisch zu nehmen. Was hat er Ihnen denn eigentlich gesagt?“

„Im Grunde nichts. Er behauptet, Ihnen sein Wort gegeben zu haben, zu schweigen, und nicht ohne Ihre Erlaubniß sprechen zu dürfen, aber er scheint seinen Schwager förmlich zu hassen. Was soll das alles heißen?“

Die junge Frau schwieg, diese Erörterung schien ihr im höchsten Grade peinlich zu sein. Falkenried sah sie forschend an, während er fortfuhr:

Sie wissen, es ist nicht meine Art, mich in fremde Geheimnisse zu drängen, ich nehme überhaupt wenig Antheil mehr an dem Thun und Treiben anderer, aber hier kommt die Ehre meines Jugendfreundes in Betracht, gegen die jene Andeutung eine Verdächtigung enthielt. Ich duldete das natürlich nicht, aber als ich es Ihrem Bruder vorhielt und mit Wallmoden selbst zu sprechen drohte, gab er mir zur Antwort: ‚Dann wird mein Herr Schwager Ihnen die Sache ‚diplomatisch‘ erklären, er hat sich ja dabei als ein so großer Diplomat gezeigt. Fragen Sie Ada, wenn Sie die Wahrheit erfahren wollen!‘ So frage ich Sie denn zuerst; wenn Sie mir nicht antworten können oder wollen, dann allerdings muß ich mit Ihrem Manne reden, dem ich eine derartige Aeußerung nicht verschweigen darf.“

Er sprach kalt und gemessen, ohne jede Aufregung, die Angelegenheit selbst flößte ihm offenbar gar keine Theilnahme ein, er hielt es nur für nothwendig, sie zu erörtern, weil ein Ehrenpunkt dabei in Frage kam.

„Schweigen Sie gegen Herbert, ich bitte Sie!“ fiel Adelheid hastig ein. „Ich muß Ihnen wohl Auskunft geben, da Eugen sich einmal so weit hat fortreißen lassen, aber er hat die Sache von Anfang an viel zu schwer genommen, es ist ja nichts Unehrenhaftes dabei.“

„Das hoffe ich, da es sich um Wallmoden handelt,“ sagte der Oberst mit Nachdruck.

Die junge Frau dämpfte die Stimme, aber sie vermied es, den Blicken ihres Zuhörers zu begegnen, als sie begann:

„Sie wissen ja, daß meine Verlobung vor einem Jahre in Florenz erfolgte. Mein Vater war damals schon sehr leidend und die Aerzte verlangten, daß er den Winter in Italien zubringe. Wir gingen vorläufig auf zwei Monate nach Florenz, die weiteren Entschlüsse sollten von dem Befinden des Kranken abhängen; mein Bruder hatte uns begleitet, sollte aber im Beginn des Winters wieder nach Hause zurückkehren. Wir bewohnten eine Villa außerhalb der Stadt und lebten selbstverständlich sehr zurückgezogen. Eugen sah Italien zum ersten Male und es war so traurig für ihn, Tag für Tag in dem einsamen Krankenzimmer zu sitzen, sodaß ich seinen Wunsch, auf kurze Zeit nach Rom zu gehen, unterstützte und das auch durchsetzte. Hätte ich es doch nie gethan! Ich konnte ja nicht ahnen, wie tief ihn seine Unerfahrenheit dort verstricken würde.“

„Das heißt, er ging leichtsinnigen Abenteuern nach, während sein Vater bereits dem Tode ins Auge sah?“

„Urtheilen Sie nicht so hart! Mein Bruder war damals kaum zwanzig Jahre alt und hatte stets unter den Augen eines liebevollen, aber trotzdem strengen Vaters gelebt, die kurze Freiheit wurde ihm verhängnißvoll. Man lockte den jungen Deutschen, der noch so gar keine Welterfahrung hatte in einen Kreis, wo hoch und, wie sich später ergab, auch falsch gespielt wurde, wo eine Anzahl schlimmer Elemente sich unter äußerlich bestechenden Formen zusammenfand. Eugen, in seiner Unkenntniß, durchschaute das nicht und verlor bedeutende Summen, bis die Gesellschaft plötzlich von der Polizei aufgehoben wurde. Die Italiener widersetzten sich, es kam zu einem förmlichen Kampfe, in den auch Eugen hineingerissen wurde. Er vertheidigte sich nur, aber er hatte das Unglück, einen der Polizisten schwer zu verwunden, und wurde mit den anderen verhaftet.“

Der Oberst hatte schweigend zugehört, aber sein Gesicht blieb unbeweglich und sein Ton war ebenso hart wie vorhin, als er sagte: „Und das mußte Stahlberg an seinem Sohne erleben, der bis dahin ein Muster von Wohlerzogenheit gewesen war!“

„Er hat es nie erfahren! Es war ja nur eine augenblickliche Verirrung, mehr Verführung als Schuld, und sie wird sich nicht wiederholen, Eugen hat mir sein Ehrenwort darauf gegeben.“

Falkenried lachte plötzlich auf, so grell und höhnisch, daß die junge Frau ihn erschreckt anblickte.

„Sein Ehrenwort! Ja, warum denn nicht? Das ist ja ebenso leicht gegeben als gebrochen! Sind Sie wirklich noch so gläubig, daß Sie dem Worte eines solchen jungen Burschen vertrauen?“

„Ja, das bin ich!“ erklärte Adelheid verletzt, während ihr Auge ernst und vorwurfsvoll dem Blick des Mannes begegnete, dessen furchtbare Bitterkeit sie sich nicht erklären konnte. „Ich kenne meinen Bruder, er ist trotzalledem der Sohn seines Vaters und er wird mir und sich selber Wort halten, ich weiß es.“

„Wohl Ihnen, daß Sie noch glauben und vertrauen können – ich habe es längst verlernt!“ sagte Falkenried dumpf, aber doch in milderem Tone. „Und was geschah weiter?“

„Mein Bruder hatte es wenigstens erreicht, daß man ihm

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