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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Nun, ich beabsichtige das nicht zu thun, mich kannst Du vorläufig noch verschonen. Aber was hast Du denn mit Marietta Volkmar, dem kleinen Tugendspiegel unserer Oper, der bisher für unnahbar galt?“

„Hartmut, ich bitte mir aus, daß Du achtungsvoller von dieser Dame sprichst! Kurz und gut, dieser Graf Westerburg hat mich gefordert, ich schieße mich mit ihm und werde ihm hoffentlich einen tüchtigen Denkzettel geben.“

„Nun, Du machst ja recht hübsche Fortschritte in der Romantik,“ sagte Hartmut, der mit wachsendem Erstaunen zuhörte. „Seit zwei Tagen bist Du hier und fängst bereits einen Streit an, der mit einer Herausforderung endigt, bist der Ritter und Beschützer einer jungen Sängerin, hast ein Duell ihretwegen – Willy, um Gotteswillen, was wird Deine Mutter dazu sagen!“

„Es handelt sich um eine Ehrensache, da hat meine Mutter gar nichts dreinzureden!“ erklärte Willy mit einem wahrhaft heldenmäßigen Aufschwunge. „Aber nun soll ich einen Sekundanten schaffen, hier, wo ich ganz fremd bin und keinen Menschen kenne. Onkel Herbert darf natürlich nichts ahnen von der Sache, sonst kommt er uns mit der Polizei dazwischen, da habe ich mich denn entschlossen, zu Dir zu gehen und zu fragen, ob Du mir den Dienst leisten willst?“

„Also deshalb kamst Du?“ sagte Rojanow in einem Tone, dem man die schmerzliche Enttäuschung anhörte. „Ich glaubte wirklich, die alte Freundschaft hätte Dich hergeführt. Doch gleichviel, ich stehe Dir selbstverständlich zu Diensten. Auf welche Waffe lautet die Forderung?“

„Auf Pistolen!“

„Nun, damit verstehst Du umzugehen, wir haben in Burgsdorf ja oft genug nach der Scheibe geschossen, und Du warst ein guter Schütze. Ich werde also morgen früh den Sekundanten Deines Gegners aufsuchen und Dir dann Nachricht zukommen lassen; aber ich muß das schriftlich thun, denn das Haus des Herrn von Wallmoden betrete ich nicht.“

Willibald nickte nur. Er hatte es sich gedacht, daß die Feindschaft Wallmodens von der anderen Seite erwidert werde, aber er hielt es für besser, diesen Punkt nicht weiter zu erörtern.

„Gut, so schreibe mir!“ entgegnete er. „Im übrigen mache ab, was Dir gut dünkt, ich bin mit allem einverstanden, ich habe ja keine Erfahrung in solchen Dingen! Hier ist die Adresse des Sekundanten, und jetzt muß ich gehen, ich habe doch noch einiges zu ordnen – für den äußersten Fall.“

Er stand auf und wollte dem Freunde die Hand zum Abschiede reichen; aber dieser bemerkte es nicht, sein Auge haftete am Boden, während er leise und stockend sagte:

„Noch eins, Willy – Burgsdorf liegt ja so nahe bei Berlin – da siehst Du wohl oft –“

„Wen?“ fragte Willy, als er innehielt.

„Meinen – meinen Vater!“

Der junge Majoratsherr gerieth sichtlich in Verlegenheit bei dieser Frage; er hatte es während des ganzen Gespräches vermieden, den Namen Falkenrieds zu nennen, von dessen bevorstehender Ankunft er noch nichts zu wissen schien.

„Nein,“ erwiderte er endlich. „Wir sehen den Oberst fast gar nicht.“

„Aber er kommt doch wie sonst nach Burgsdorf?“

„Nein – er ist sehr ungesellig geworden, aber ich sah ihn zufällig in Berlin, als ich den Onkel Herbert abholte.“

„Und wie sieht er aus? Hat er gealtert in den letzten Jahren?“

Willibald zuckte die Achseln. „Alt geworden ist er freilich, Du würdest ihn kaum wiedererkennen mit seinen weißen Haaren.“

„Weiße Haare?“ fuhr Hartmut auf. „Er ist kaum zweiundfünfzig Jahre – ist er krank gewesen?“

„So viel ich weiß, nicht. Das kam ganz plötzlich, in einigen Monaten – damals, als er seinen Abschied forderte.“

Hartmut erbleichte und seine Augen richteten sich mit starrem, angstvollem Ausdruck auf den Sprechenden.

„Mein Vater hat den Abschied gefordert? Er, der mit Leib und Seele Soldat war, dem sein Beruf – in welchem Jahre geschah das?“

„Es kam ja nicht dazu,“ beschwichtigte Willy. „Man ließ ihn nicht gehen, sondern versetzte ihn nur in eine entfernte Garnison, und seit drei Jahren ist er im Kriegsministerium.“

„Aber er wollte gehen in welchem Jahre?“ wiederholte Rojanow mit völlig erloschener Stimme.

„Nun, damals nach Deinem Verschwinden. Er glaubte, seine Ehre erfordere es und – Hartmut, das hättest Du Deinem Vater doch nicht anthun sollen, das nicht, er ist beinahe daran gestorben.“

Hartmut gab keine Antwort und vertheidigte sich auch nicht, nur seine Brust hob sich in einzelnen, schweren Athemzügen.

„Wir wollen lieber nicht davon reden,“ sagte Willibald abbrechend. „Zu ändern ist es ja doch nicht mehr. – Also ich erwarte morgen Deinen Brief und Du bringst alles in Ordnung. Gute Nacht!“

Hartmut schien den Gruß nicht zu hören, das Fortgehen Willibalds nicht zu bemerken, er stand noch immer da und starrte zu Boden. Erst nach Minuten, als der junge Majoratsherr längst fort war, richtete er sich langsam auf und fuhr mit der Hand über die Stirn.

„Er wollte gehen?“ murmelte er. „Gehen, weil er glaubte, seine Ehre fordere – nein, nein, jetzt kann ich ihn nicht sehen, jetzt noch nicht – ich gehe nach Rodeck!“

Der gefeierte Dichter, dem der Ruhm den ersten Lorbeerkranz auf die Stirn drückte, der gestern noch in diesem Siegesschmuck die ganze Welt herausgefordert hatte, er wagte es nicht, dem Auge seines Vaters zu begegnen – er floh in die Einsamkeit.




In einer der stilleren Straßen, deren bescheidene, aber freundliche Häuser meist kleine Gärten hatten, wohnte Marietta Volkmar mit einer alten Dame, einer entfernten Verwandten ihres Großvaters, die allein stand und gern bereit war, der jungen Sängerin Schutz und Gesellschafterin zu sein. Die beiden Frauen führten ein Leben, an dem selbst die allezeit geschäftige Klatschsucht nichts auszusetzen fand, und waren sehr beliebt bei ihren Hausgenossen, besonders Fräulein Marietta, die jedem ein freundliches Gesicht zeigte und deren helle Stimme oft durch das Haus schmetterte, daß alles lauschte.

Seit zwei Tagen aber war das „Singvögelchen“ verstummt, und wenn man es zu Gesicht bekam, so zeigte es blasse Wangen und verweinte Augen. Die Hausbewohner konnten sich das nicht erklären und schüttelten die Köpfe darüber, bis sie von dem alten Fräulein Berger hörten, Doktor Volkmar sei krank und seine Enkelin ängstige sich um ihn, könne aber ohne zwingenden Grund keinen Urlaub erhalten. Das war nun allerdings keine Unwahrheit, denn der Doktor litt in der That seit einigen Tagen an einer starken Erkältung; aber diese gab keinen Grund zu ernsten Besorgnissen, sondern lieferte nur einen glaublichen Vorwand für Mariettas verändertes Wesen, das sogar ihren Genossinnen im Theater auffiel.

In dem einfach, aber behaglich eingerichteten Wohnzimmer stand die junge Sängerin, die eben aus der Probe zurückgekehrt war, am Fenster und blickte unverwandt hinaus, während Fräulein Berger mit einer Handarbeit an einem Tischchen saß und kopfschüttelnd auf ihre Pflegebefohlene blickte.

„Aber Kind, so nimm die Sache doch nicht so schwer!“ ermahnte sie. „Du reibst Dich ja förmlich auf mit dieser Angst und Aufregung. Wer wird denn gleich an das Schlimmste denken!“

Marietta wandte sich um; sie war erschreckend bleich und in ihrer Stimme klang ein unterdrücktes Schluchzen, als sie antwortete:

„Das ist nun der dritte Tag, und noch immer kann ich nichts erfahren. O, es ist furchtbar, so Stunde für Stunde auf eine Unglücksnachricht warten zu müssen!“

„Warum muß es denn gerade ein Unglück sein?“ tröstete die alte Dame. „Gestern nachmittag war Herr von Eschenhagen noch wohl und munter, ich habe auf Deinen Wunsch ja selbst die Erkundigung eingezogen. Er war mit Herrn und Frau von Wallmoden ausgefahren. Vielleicht ist die Sache gütlich beigelegt worden.“

„Dann hätte ich längst schon Nachricht,“ sagte das junge Mädchen trostlos. „Er versprach es mir und er hätte Wort gehalten, ich weiß es. Wenn es wirklich ein Unglück gegeben hätte, wenn er gefallen wäre – ich glaube, das überlebte ich nicht!“

Die letzten Worte klangen so leidenschaftlich, daß Fräulein Berger die Sprecherin erschreckt anblickte.

„Aber Marietta, so sei doch vernünftig!“ bat sie. „Was kannst Du denn dafür, wenn ein Unverschämter Dich beleidigt und der Verlobte Deiner Freundin zu Deinem Schutze eintritt? Du könntest Dich wirklich nicht verzweifelter anstellen, wenn es Drin eigener Bräutigam wäre, der vor der Pistole stände.“

Ueber die eben noch so blassen Wangen der jungen Sängerin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_310.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2024)