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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Doch ruht der Hauptnachdruck in der Sammlung auf den größeren Gedankensymphonien, von denen einige an die Ode erinnern, „Lebenswille“, „Die Lerche“, „Wodan“ und andere. Das eigene Erlebniß spielt eine große Rolle in der Sammlung, in der es an Bekenntnissen nicht fehlt; farbenreich aufgefrischte Jugenderinnerungen, vor allem die Klage am Sarge und Grabe eines Kindes in dem Abschnitt „Tod und Trost“, der von tief ergreifender Empfindung durchweht ist. Auch Adolf Wilbrandt, der Direktor des Burgtheaters, kommt zu Worte, nicht bloß in dem schönen Epilog, in welchem er das alte Burgtheater und seine herrlichen Leistungen rühmt, nicht bloß in den warmen und begeisterten Weiheliedern, die er den hervorragenden Künstlern dieser Bühne widmet, sondern auch in den „Nachgedanken des gewesenen Direktors“, die sich durch Schlagkraft und Schärfe auszeichnen. Der „Thurm von Nervi“ ist eine Novelle in Versen mit glänzendem italienischen Kolorit. Der Dichter richtet sich nach keinem Tagesgeschmack, er folgt nur dem Gebot innerer Begeisterung; doch was ihm die Muse eingiebt, wird allen empfänglichen Gemüthern willkommen sein.†     

Deutschlands merkwürdige Bäume. Die Linde zu Bordesholm. (Zu der nebenstehenden Abbildung.) Ein Sinnbild ewiger Jugend könnte man den stolzen Baum nennen, den wir heute unsern Lesern vorführen; denn in ungebrochener Pracht und Schönheit wölbt die fünfhundertjährige Linde zu Bordesholm ihre Krone, als hätte es für sie nie Sturm und Ungewitter gegeben und als hätte das eherne Gesetz von der Vergänglichkeit alles Irdischen für sie keine Geltung. An ihrem Blüthenathem ergötzt sich heute noch allsommerlich ein Geschlecht, dessen Ahnen vor Jahrhunderten schon den köstlichen Duft einsogen, den der Windhauch ihnen zutrug.

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die Linde zu Bordesholm.
Nach einer Photographie von G. J. Koch, Hofphotograph in Schleswig.

Die Maße des Stammes und die Höhe des ganzen Baumes sind nicht eben bedeutend. Der erstere hat einen Umfang von fünf Metern und die Spitze der Linde liegt etwa 24 Meter über dem Erdboden. Stattlich dagegen ist der Durchmesser der breit ausladenden Krone: er beträgt beinahe 30 Meter.

Bordesholm selbst ist ein reizend am Bordesholmer See, an der Bahnlinie von Kiel nach Altona gelegenes Kirchdorf, einst ein reiches Augustinerkloster. In seiner schönen gothischen Kirche ruhen unter anderem Christian Friedrich, Herzog von Holstein-Gottorp, der Stammvater des russischen Kaiserhauses, und Herzog Georg Ludwig, der Stifter des großherzoglich oldenburgischen Hauses. Aber nicht bloß durch seine Gräber ist Bordesholm wichtig: es ist auch die Wiege einer fruchtbaren Pflanzstätte der Wissenschaft. Bald nach Einführung der Reformation, im Jahre 1565, wurde das Kloster aufgehoben und in eine lateinische Schule umgewandelt. Diese Schule wurde später nach Kiel verlegt und durch Herzog Christian Albrecht zur Universität erhoben. So ist also das Samenkorn, aus welchem die „Christina Albertina“ entsproßt ist, unter dem Schatten der Linde von Bordesholm gelegt worden.

In den Stamm der Linde ist eine einfache Holztafel eingelassen, welche folgende Inschrift trägt:

„Manches sah dein gewaltiger Dom, hochrauschende Linde,
     Freude hast du und Leid mancher Geschlechter geschaut;
Größeres hast du doch nimmer gesehn als der Holsten Erhebung,
     Deutschlands Stämme geeint, wiedergeboren zum Reich!“

Tanzstunde im Grafenschloß. (Zu dem Bilde S. 272 u. 273.) Sie hat es nicht fertig gebracht, die kleine Komtesse! Das schwere Schlußkompliment im Menuett nämlich, wo es heißt, immer tiefer, tiefer, tiefer sinken und dann auf festen Knieen, ohne Ruck wieder langsam zur Höhe emporsteigen. Als die große Fermate kam: eins, zwei, dre – e – ei! – der Klavierspieler innehaltend die Hände auf den Tasten ruhen ließ, der Tanzmeister mit hochgezogenen Augenbrauen den Fiedelbogen in einer schwungvollen Achte um seinen Kopf bewegte, und die andern anfingen zu versinken, da mußte das Komteßchen lachen, die Kniee wurden wacklig, und vor dem Umfallen rettete sie nur das rasche Zugreifen des jungen Freiherrn, ihres früheren Spielkameraden, der jetzt so sterblich in die dunklen Sammetaugen und das reizende Gesichtchen verliebt ist. Nun müssen sie das mißglückte Kompliment nochmals versuchen. Wird es jetzt besser gehen? Muth, Komteßchen – die Umstände sind günstig! Der glühende Verehrer möchte am liebsten seinen Kopf ans Gelingen setzen, die Zuschauer aber in dem gold- und farbenleuchtenden Saal sind alle mit sich selbst beschäftigt und passen nicht stark auf. Drinnen in dem Nebenzimmer, das zwischen den schweren Sammetvorhängen des reichverzierten Thürbogens mit dem Wappen und der neunzackigen Krone sichtbar wird, plaudern Mütter und Tanten mit den älteren Kavalieren, ohne sich viel um die Unterhaltung der vom Tanze ausruhenden Jugend zu kümmern.

Und doch ist diese gar nicht so harmlos: feurige Blicke fliegen hin und her zwischen der voll erblühten Schönheit, die in dem Sammetfautueil lehnt, und ihrem so angelegentlich herübergebeugten Nachbar; auch die stolze Dame in der langen Faltenschleppe blickt nur zerstreut auf die Mittelgruppe, ihre Augen wollen den beiden ausweichen, die aus so kurzer Entfernung eindringlich fragend auf ihr ruhen.

Die zierlich Schlanke auf dem Taburett aber wendet das feine Köpfchen zur Seite und blickt schmollend nach dem Philosophen der Gesellschaft, der dort im Palmenschatten steht und völlig verloren ist in den Anblick des holdseligen Menschenkindes, das so lieblich zu lächeln versteht, daß ihm sogar der pedantische Tanzmeister keine strenge Miene zeigen kann. Ein freundlich ermunterndes Wort – dann klopft er mit dem Bogen auf die Geige, der Klavierspieler beginnt aufs neue, das Paar giebt sich die Hand: En avant! … der große Augenblick naht! …

Es ist ein reizendes Bild aus dem Leben der genußfreudigen Rokokozeit, das uns hier der Künstler vorführt, wir sehen die Anmuth und Heiterkeit einer versunkenen Gesellschaft in vollem Farbenzauber wieder vor uns aufleben und meinen fast, die Flügelschläge des kleinen Gottes zu hören, den der Maler zwar nicht mit abgebildet hat, der aber nichtsdestoweniger die Hauptperson des ganzen galanten Kreises ist!



Für unsere Knaben und Mädchen empfohlen:
Deutsche Jugend.
Herausgegeben von Julius Lohmeyer.
Inhaltsverzeichniß des 7. Heftes, Band VIII (Preis des Heftes 40 Pfg.):
Eingesteigert. Eine Schwarzwaldgeschichte von H. Villinger. Mit Illustr. von J. Kleinmichel. – Wie Ben Porter zu einer Uhr kam. Eine Bärengeschichte aus dem Westen Nordamerikas; erzählt von Friedrich J. Pajeken. Mit Illustr. von A. v. Rößler. – Kleines Leben. Von Eduard Rüdiger. – Goldne Worte. Von Gneisenau (an seine Tochter). – Die Bärenjagd. Von Georg Lang. Zu dem Bilde von A. Zick. – Friedrich Wilhelm, der erste Kronprinz in Preußen. Von Werner Hahn. Mit Illustr. von Richard Knötel. – Knackmandeln, Räthsel etc.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_291.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)