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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Ordnung durch geduldige Behandlung und unblutige Kriegslist wieder her. Dem Kriegshandwerke war er herzlich gram „wegen der Verderbung und Unterdrückung der armen unschuldigen Leute, des unordentlichen und sträflichen Lebens des Kriegsvolks und der Undankbarkeit der Fürsten, bei denen die Ungetreuen hoch kommen und reich werden, und die Wohlverdienten unbelobt bleiben“ – hatte er doch nach der Schlacht von Pavia ein „Klageliedlein über der Fürsten Undank“ verfaßt, das er sich oft vor Tisch von vier Stimmen mit Instrumentalbegleitung vorsingen ließ und das noch erhalten ist.

In solcher Stimmung, mit solchen Erfahrungen war der Dreiundfünfzigjährige nicht angenehm überrascht, als im Herbste l526 Briefe von Karl von Bourbon, dem Erzherzog Ferdinand und Georgs Sohn Kaspar, der in Mailand mit Bourbon belagert wurde, auf Schloß Mindelheim eintrafen und ihn zu schleunigem Zuzug wider die Liga aufforderten, da er der Kaiserlichen einzige Hoffnung sei. Vor der in des Kaisers Namen an ihn ergangenen Aufforderung hatte der Entschluß Frundsbergs, dem Herrendienst ferne zu bleiben, keinen Bestand. Was aber ihn und andere besonders anfeuerte, diesmal dem Kaiser ihren Dienst noch weniger als sonst zu versagen, war der Umstand, daß es auch gegen den Papst ging. Frundsberg hoffte, durch dessen Niederwerfung den durch ein Bündniß altgläubiger Fürsten bedrohten Evangelischen in Deutschland Luft zu machen. War er auch noch nicht förmlich zur neuen Lehre übergetreten, hatte er, altem Brauche getreu, trotz des Spottes der Spanier und Italiener, auch noch bei Pavia über dem Harnisch eine Franziskanerkutte getragen – Luther selbst legte erst im Herbste 1524 die Augustinertracht ab – er, der Freund des Reformators, war der kirchlichen Neuerung doch von Herzen zugethan. Für solchen Zweck brachte er große Opfer; da Oesterreichs Kassen leer waren, lieh er bei reichen Augsburger Kaufherren Geld auf verschiedene seiner Besitzungen, verpfändete sein Silbergeschirr, seiner Frau Kleinodien, verkaufte seinen Antheil am Bergrecht zu Gossensaß und benutzte seinen Kredit bei Freunden.

Fünfunddreißig Fähnlein Landsknechte, über zwölftausend „reiselustige Gesellen“, brachte er in Schwaben und Tirol mit den so erhaltenen Geldmitteln zusammen, darunter manchen, der in den späteren Religionskriegen auf evangelischer Seite sich hervorgethan hat; so Sebastian Schärtlin von Burtenbach und Kurt v. Bemmelberg. Letzterer, der unter seinen Waffengefährten den Namen „der kleine Heß“ führte, war namentlich durch Witz und schnelle Zunge bekannt. Als bei einem Gelage einmal ein hochgeborener Herr äußerte, die Fürsten haben unter allen Umständen im Himmel ihre Stühle und Sessel bereitstehen, und, zu dem Obersten gewandt, „nicht wahr, Kurt?“ beifügte, erwiderte dieser alsbald: „Ja, gnädiger Herr, ich habe es auch gehört, daß die Sessel da sein sollen, aber der mehrere Theil gar bestäubt, daß der Staub höher denn spannendick darauf liegt.“

Die ganze adlige Sippschaft Frundsbergs schloß sich dem Heere an, sein Sohn Melchior, der in Wittenberg den Studien oblag, eilte thatenlustig herbei, und unter den Hauptleuten finden sich gar manche bekannte Ritternamen aus ganz Süddeutschland, das Elsaß mit eingeschlossen. Aber auch viele Namen bürgerlicher Hauptleute und Fähndriche, welche weitbekannte Kriegsleute waren, weist die Musterrolle auf, manche darunter nicht ohne humoristischen Klang, wie z. B. den des Hauptmanns Stephan Weinundbrot. Und so ging’s nun dem Süden zu.




Bismarcks Abschied von Berlin.

Mit Bild Seite 289.

Kaum stärker und überzeugender konnte sich dem aufmerksamen Beobachter die ewige Kraft alter Wahrheiten aufdrängen, als in den Tagen, wo es feststand, daß der große Kanzler die Reichsfeder aus der Hand legen werde und zu dem Entschluß gelangt sei, in ländlicher Zurückgezogenheit zu Friedrichsruh sein Leben zu beschließen. Eine ewige Wahrheit aber bleibt, daß nichts so Großartiges in dieser wechselnden Welt geschehen kann, das nicht durch den Eindruck des Neuen, und sei’s auch nur durch das, was des Tages Welle täglich unverändert an den Strand spült, in seiner Bedeutung herabgedrückt wird.

Während der Ungewißheit über den Anfang dieses großen geschichtlichen Ereignisses hatte sich allerdings der Berliner Bevölkerung eine starke Bewegung bemächtigt. Wenn es keineswegs dieselbe heftige und leidenschaftliche Regung war, welche sich zu Lebzeiten Kaiser Friedrichs bei gleichem Anlaß kundgab, so ist dies sicher auf den Umstand zurückzuführen, daß einerseits durch jene Vorgänge der Gedanke an die Möglichkeit eines Rücktrittes bereits Wurzel geschlagen hatte und dadurch der außerordentliche Eindruck abgeschwächt wurde, andererseits die Bevölkerung von der Ueberzeugung dürchdrungen war, der Kanzler wolle gehen, und der Kaiser empfinde seinen Entschluß in gleicher Stärke wie der begeistertste Anhänger des Scheidenden.

Nach der endgültigen Thatsache trat aber eine unnatürlich ruhige Ergebung in das Unvermeidliche ein, und wenn auch die Meinungen sich theilten, wenn auch das jüngere Geschlecht, insbesondere die Studentenschaft, wenn auch die Frauen, Militärpersonen und Beamten vielfach eine fast stürmische Sympathie äußerten, wenn auch in der übrigen Bevölkerung bei manchen sich eine Stimmung bemerkbar machte, die nahe daran war, in der Lebhaftigkeit des Gefühls nach den Trauerfahnen zu greifen, die so oft in kurzer Zeit das Leid der Menge über das Hinscheiden eines edlen Hohenzollern zum Ausdruck gebracht hatten, so blieb doch im allgemeinen Berlin in dem gewohnten, ruhigen Schritt, und gegen das Wort Bismarck tauschte sich lediglich der Name Caprivi.

Und dennoch wäre es falsch, wollte man glauben, daß Dankbarkeit, Verehrung und Bewunderung für den Mann, der Deutschland sein gebietendes Antlitz verliehen, aus dem Herzen der Bevölkerung gewichen sei. Bei dem Scheiden des großen Kanzlers sind ihm Huldigungen dargebracht worden, die einen überwältigenden und zugleich rührenden Charakter trugen. Des Fürsten Abreise aus Berlin wird die Geschichte in ihre Tafeln einzeichnen, und wer theilgenommen hat an diesen tief aus dem Herzen dringenden Kundgebungen, wird den Eindruck nie wieder vergessen.

Als sich am Sonnabend den 29. März die Nachricht verbreitete, daß der Reichskanzler an diesem Tage Berlin für immer verlassen werde, war schon um die Mittagsstunde das Palais in der Wilhelmstraße umlagert. Aber erst gegen 41/2 Uhr machten sich die Anzeichen der Abreise bemerkbar, indem sich die mit dem Gepäck der fürstlichen Familie beladenen Wagen in Bewegung setzten. Als die zur Abschiedsehrenwache bestimmte Schwadron der Gardekürassiere mit Standarte und Regimentsmusik an dem Palais vorüber nach dem Lehrter Bahnhof zog, begannen sich auch die Linden bis zum Brandenburger Thor mit Menschenmassen zu füllen, und als endlich kurz nach 5 Uhr die fürstliche Familie, der Kanzler mit seinem Sohn Herbert voranfahrend, erschien, schollen brausende Hochrufe ihr entgegen. Aber es blieb dabei nicht. Schon in der Wilhelmstraße hatte sich das Publikum stürmisch und begeistert an den Fürsten herangedrängt. Hände streckten sich aus, dichter zog sich der Kreis, der Schutzleute nicht achtend. Da jeder noch einmal in die Nähe des nun für immer Scheidenden gelangen wollte, ward der Wagen umringt und gehemmt und vermochte sich nur im langsamen Schritt fortzubewegen. Frauen überschütten den Fürsten mit Blumen, vielen reicht er bewegt die Hand, und erst allmählich wird die Bahn frei und erreicht der Kanzler, bis zum Ziel von den lebhaftesten Kundgebungen begrüßt, den Bahnhof.

Hier aber gestaltete sich die Feier in noch weit großartigerer Weise. Zahlreiche Damen, die schon seit fast einer Stunde des Kommenden geharrt hatten, überreichten dem Kanzler abermals Blumensträuße, und betäubende Hurrah von seiten der dicht aufgestauten Massen erfüllten die Luft. Bald nach fünf Uhr nahm die Ehrenwache der Gardekürassiere in ihren schimmernden Uniformen mit gezogenem Säbel Stellung auf dem Bahnsteig; vor dem Bismarckschen Salonwagen hatte sich ein auserwählter Kreis von der fürstlichen Familie nahestehenden Personen eingefunden, Vertreter des Kaisers, Gesandte, hohe Militärs, Minister, höhere Beamte hatten sich ihnen angeschlossen, und auch der neue Reichskanzler von Caprivi ragte unter der Menge hervor. In der Halle des Bahnhofs überreichten Abgesandte des Kaisers und der Kaiserin dem Fürsten Bismarck wundervolle Blumen, ein Veilchenkissen, in dessen Mitte sich ein prachtvoller Lorbeerkranz mit schwarz-weiß-rother Schleife befand, und einen Korb mit duftendem Flieder, der von rothen und weißen Rosen umgeben war. Bis zur Eingangspforte schritten die Versammelten dem Fürsten entgegen, eine Fanfare der Militärmusik ertönte, jubelnd fiel das Publikum draußen und drinnen ein, und ein langer Austausch von Händedrücken erfolgte zwischen dem Scheidenden und den Abschiednehmenden.

Beim Beschreiten der Treppenstufen näherte sich nun auch das übrige Publikum dem Kanzler; abermals boten Damen herrliche Blumen dar, und fast erdrückt von den Beweisen der Verehrung stand mitten in dem Knäuel der Fürst, streckte dankend die Hände aus oder nahm die Blumenspenden in Empfang. Auf seinem mächtigen Antlitz sah man die wechselnden Empfindungen, die auf ihn eindrangen, als stürmische Rufe „Auf Wiedersehen“ an sein Ohr schlugen, und in diesen Augenblicken empfing der Scheidende sicher den Eindruck, daß unverfälschtes, von keinen Nebenabsichten beeinflußtes Gefühl diejenigen leitete, die ihm hier den letzten Abschiedsgruß oder eine Abschiedsgabe entgegenbrachten. Endlich war der Augenblick gekommen; das zweite Zeichen ward gegeben, und der Fürst, begleitet von seinen Angehörigen, bestieg den Wagen, nachdem er die ihm nahestehenden Minister umarmt und nochmals vielen die Hände gereicht hatte.

Abermals betäubende, nicht enden wollende Hoch- und Hurrahrufe, ein letztes „Auf Wiedersehen“, dem das „Lieb Vaterland, magst ruhig sein!“ in mächtig brausendem Gesange folgte. Der Zug setzte sich langsam in Bewegung, und da, wie ein alles durchbrechender Strom, stürzte das Publikum nochmals an den Salonwagen und begleitete den „aus Amt und Würden scheidenden großen Kanzler“, bis die rascher rollenden Räder ihn den Blicken entzogen. Hermann Heiberg.     




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