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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

grell aufzuckenden Blitzstrahls die gähnende Tiefe des Abgrundes erkannt, der sie von diesen glücklichen, auf den sonnenbeschienenen Höhen des Lebens wandelnden Menschenkindern trennte. Sie war nahe daran gewesen, über dem behaglichen Luxus ihrer Umgebung das dürftige Stübchen im dritten Stock zu vergessen, in welches sie doch nach Verlauf weniger Stunden zurückkehren mußte. Eine wildschmerzliche Empfindung namenloser Bitterkeit, wie sie ihr gleich grausam und überwältigend kaum am Sarge des Vaters gekommen war, preßte ihr das Herz zusammen und in einem fast rauhen Ton, dessen trotzige Herbheit die ahnungslose Cilly nothwendig aufs äußerste befremden mußte, gab sie zurück:

„Nein, ich reite nicht! Man pflegt sich dergleichen in meinen Verhältnissen nicht zu gestatten!“

Das verwöhnte Töchterchen des Generals, das sich durch die unverständliche Unfreundlichkeit seines Bäschens empfindlich verletzt fühlte, verzogs schmollend die frischen Lippen und verfiel in ein hartnäckiges Schweigen. Die ausgelassene Fröhlichkeit der drei jungen Leute hatte plötzlich einen ärgerlichen Riß erhalten und Engelbert bot umsonst alle seine kleinen Künste auf, um die vorige angenehme Stimmung wiederherzustellen.

Vielleicht begrüßte darum auch er den Eintritt seines Vaters als willkommene Befreiung aus einer unbehaglichen Lage. Der General entschuldigte sich in den verbindlichsten Ausdrücken bei seiner Nichte, daß dienstliche Angelegenheiten ihn für eine Weile gehindert hätten, sich ihr zu widmen, und nach einem kurzen Geplauder von etwas gezwungenem Charakter hatte er sowohl für Engelbert als für Cilly kleine Aufträge, welche den Geschwistern keinen Zweifel lassen konnten, daß er mit Marie allein zu bleiben wünsche. Gehorsam folgten sie dem leicht verständlichen Wink.

(Fortsetzung folgt.)




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Etwas vom „Rothen Gespenst“.

Die Schriftsteller der Pariser Kommune.
Von Wilhelm Lauser.
I.

Jedermann kennt die zahlreichen Werke der Mitglieder jener niederländischen Malerfamilie Breughel, welche mit peinlicher Sorgfalt und Treue das Bauernleben ihrer Zeit, die Vorstellungen von den Martern in der Hölle, die Noth des Krieges und die Heimsuchung durch Feuersbrünste wiedergeben. Die Genauigkeit und der Fleiß, womit der einzelne alles zusammenstellte, was ihm irgend zur Beständigkeit seines Vorwurfes zu gehören schien, hat dem einen den Namen des Bauern-Breughel, dem andern denjenigen des Höllen-Breughel eingetragen und man spricht wohl auch von einem Kriegs- und Feuer-Breughel. Wäre nun die Zeit, in welcher diese Künstler lebten, so reich wie die unserige an Umwälzungen und Volksaufständen gewesen, so würden wir gewiß auch von einem Revolutions-Breughel zu reden haben und nach seinen Darstellungen etwa ermessen können, was bei solchen Erschütterungen des Staats- und Volkslebens als das stets Wiederkehrende und sich gleich Bleibende, was dagegen als Besonderheit, Ausnahme, seltsame Eigenthümlichkeit zu betrachten wäre.

Ein in solcher Art gewiß nie wiederkehrendes Beobachtungs- und Arbeitsfeld war nun vor dem Revolutions-Breughel aufgethan, der sich in den ersten Märztagen des Jahres 1871 in die soeben von der langen Belagerung erlöste französische Hauptstadt begab und etwa seine Schritte über die Boulevards nach dem Bastilleplatz lenkte. Das „heilige Paris“, dessen unbesiegbares Heldenthum Viktor Hugo vor kurzem noch so herrlich besungen hatte, bot da einen höchst unheiligen Anblick. Kaum hatten sich die Thore der Stadt geöffnet, so strömten ganze Banden hinaus, um alles bewegliche Gut in den Landhäusern an der Seine und Marne zu stehlen und fliegende Märkte mit solchen Waren der Straße entlang zu errichten: die seltsamste Beleuchtung des Märchens von der Raubsucht der deutschen Sieger.

Tausende und abertausende von Müßiggängern und Bettlern, taub für den Ruf der Geschäftsleute, welche ihre Gewölbe wieder einrichten und die Arbeit wieder aufnehmen wollten, lungerten herum, unterhielten sich mit dem bei den pariser Gassenjungen beliebten Stöpselspiel, belagerten die Schnapsbuden oder schliefen auf den Bänken, auch wohl einfach am Boden liegend, ihren Rausch aus.

Hier rückte, die Marseillaise brüllend, eine Schar der sogenannten Seinemoblots heran. Sie sollten jetzt ihre Gewehre abliefern. Das kümmerte die Tapfern freilich nicht so sehr; aber sie stießen wilde Verwünschungen gegen die Regierung des Herrn Thiers aus, welche ihnen den Tagelohn von anderthalb Franken kündigte, dem sie während der Kriegszeit ein so bequemes Nichtsthun verdankt hatten. Dort erschienen in phantastischen Aufzügen, mit Todtenkopf-Käppi, im rothen Garibaldiner Hemd, mit buntfarbigen Federbüschen, in seltsam verschnürten Röcken, die mannigfaltigsten Waffen schleppend, jene hundertnamigen Freischärler. Sie waren vom Lande, das sie während des Krieges unsicher machten, hereingekommen, um nun mit den Nationalgardisten von Montmartre und Belleville, die man während der Belagerung von Paris nie hatte vor den Feind bringen können, über die Feiglinge und Verräther zu schimpfen, die Frankreich durch die Uebergabe entehrt hätten und jetzt einer monarchischen Reaktion ausliefern wollten. Dazwischen bewegten sich Abtheilungen meist betrunkener Soldaten aller Waffengattungen, die mit dem Volk aus den Vorstädten Brüderschaft machten; feierliche Züge von Nationalgardisten, die, Trommler, Hornisten und kecke Marketenderinnen voran, zu der seit dem 24. Februar, dem Jahrestage der „Februarrevolution“, mit Immortellenkränzen und rothen Fahnen geschmückten Bastillesäule wallfahrteten, um neue Kränze daselbst niederzulegen, zu tanzen, Musik zu machen und die Redner anzuhören, die das Volk vor den Anschlägen der Verschwörer gegen die Republik in Versailles warnten und dasselbe aufforderten, die Steuern zu verweigern und die Gewehre bereit zu halten.

Noch sah man zwar hier und dort rothe Maueranschläge, welche die „Fortsetzung des Krieges“ und den „Widerstand aufs äußerste“ verlangten. Aber jetzt blieb es schon mehr den vornehmen Boulevardblättern und den Theatern überlassen, den Haß gegen die Deutschen weiter zu unterhalten. Die von den Helden von Belleville und Montmartre angeblich vor den Deutschen auf ihre Höhen hinaufgeretteten Kanonen drohten jetzt schon auf die Stadt selbst herab. Ein Maueranschlag der sogenannten „Internationalen“ erklärte, jeder Angriff gegen die Preußen würde das Volk den Monarchisten ausliefern. Und über Nacht war die allgemeine Losung verändert, sie hieß jetzt: „Es lebe die Republik.“ Eine Losung unter den obwaltenden Umständen von um so gefährlicherer Kraft, als außer dem arbeitsscheuen Gesindel und den berufsmäßigen Revolutionären, welche die Straßen beherrschten, auch viele Bessergesinnte von Mißtrauen gegen die Regierung und Kammer, die den Sitz in Versailles demjenigen in Paris vorzogen, erfüllt waren. Man mißbilligte das Weiterregieren der Herren E. Picard, J. Simon, J. Favre, die das ganze Volk durch ihre Versprechungen so schwer getäuscht hatten, und sah viel mehr bösen Willen als bloß Schwäche und Unverstand darin, daß man den volksaufwühlenden Fasching auf den Straßen und Plätzen unbehelligt ließ, aber dafür alle radikalen Blätter unterdrückte und durch die Verfügung, es sollten jetzt mit einem Male die sämmtlichen seit dem Beginne der Belagerung von Paris fälligen Miethzinse und Wechsel bezahlt werden, Hunderttausende ins Lager der Unzufriedenen trieb.

Jeder Mißgriff, jede Schwäche der Regierung aber, die Verstimmung und Entmuthigung der ruhigen Bürger, die Noth der Geschäftsleute, das Mißtrauen der überzeugten Republikaner, das beleidigte Ehrgefühl der Pariser, das Zusammenströmen von Heeren verwöhnter Müßiggänger, fremder und einheimischer Abenteurer und zuchtloser Soldaten, der Untergang jedes Ansehens der Machthaber und die Ermattung des ganzen Volkes nach dem Kriege, alles dies mochte den aufmerksamen Beobachter wohl den Sieg vorausahnen lassen, welcher der Kommune in Paris am 18. März in den Schoß fiel.

Wirkten alle Umstände zusammen, das Gelingen der grauenhaftesten und wahnwitzigsten Revolution, welche die Welt jemals

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1890, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_270.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)