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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und als alle männlichen und weiblichen Maler von Apelles bis auf Hans Makart – der Künstlerin Natur nämlich, die aus dem kleinen, flachshaarigen Mädchen, das in meiner Erinnerung spukte, eine so wunderschöne junge Dame gemacht hat.“

Marie hätte Cilly dafür umarmen können, daß sie sie jetzt der Nothwendigkeit einer Antwort überhob.

„O, Du bist ja sehr hübsch im Zuge,“ hatte Cilly mit einem kleinen Anflug von Bosheit gerufen. „Und Miß Viktoria – die siebzehnjährige Perle aller Luftspringerinnen? Ist sie schon wieder entthront?“

Der Lieutenant zeigte nicht die mindeste Verlegenheit.

„Erinnere mich nicht an diesen Reinfall!“ sagte er heiter. „Nie wieder lasse ich mich darauf ein, das Alter einer Person zu schätzen, die sich in einer Wolke von Cigarrendampf fünfzig Fuß über meinem Haupte befindet. Die ‚Königin der Luft‘ ist seit beiläufig zwanzig Jahren die glückliche Gattin eines Virtuosen auf der freistehenden Leiter, und fünf ihrer sieben hoffnungsvollen Sprößlinge arbeiten bereits allabendlich am dreifachen Reck. Idyllisch – nicht wahr?“

Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.
Gute Freunde.
Nach einem Gemälde von Toni Aron.


Seine Selbstverspottung klang so drollig, daß auch über Mariens Gesicht ein kleines Lächeln huschte, und Engelbert betrachtete sie noch immer viel zu aufmerksam, als daß es ihm hätte entgehen können.

„Wie ich meine Schwester kenne, hat sie ohne Zweifel bereits ihr möglichstes gethan, mich bei Ihnen anzuschwärzen,“ meinte er, „aber Sie müssen mir versprechen, ihr nur die Hälfte von allem zu glauben! Sie offenbart nämlich in der Regel in ihren Berichten über meine Schandthaten eine Phantasie, um die mancher Dichter sie beneiden könnte.“

Cilly blieb ihm die Antwort nicht schuldig, und wenn auch Marie diesmal ihre Verlegenheit viel schwerer überwand, als es dem General gegenüber der Fall gewesen war, so übte doch der heitere, neckische Plauderton, der zwischen den Geschwistern üblich war, endlich auch auf sie eine ansteckende Wirkung. Als Engelbert einige lustige Kasernengeschichten, die er mit unnachahmlichem Humor vorzutragen wußte, zum besten gab, stimmte sie ohne Zurückhaltung in Cillys munteres Lachen ein, und wenn er gelegentlich an passender oder unpassender Stelle eine Huldigung für sie mit einfließen ließ, deren kühne Vertraulichkeit sie aus jedem anderen Munde mit Entrüstung erfüllt haben würde, so war dabei in seiner liebenswürdigen Natürlichkeit so viel Einschmeichelndes und Gewinnendes, daß sie nicht die geringste Neigung fühlte, ihm zu zürnen.

„Du reitest doch auch, Marie?“ fragte Cilly mit einem ihrer unberechenbaren, plötzlichen Einfälle, als ihr Bruder eben eine ergötzliche Anekdote von der Reitbahn erzählt hatte. „Engelbert wird ohne Zweifel einen viel aufgeräumteren Kavalier abgeben, wenn er künftig bei unseren Morgenritten auch Dich an seiner Seite hat.“

Sie hatte gewiß nicht beabsichtigt, sich einer Unzartheit schuldig zu machen; aber der sorglos fröhliche Ausdruck verschwand so jäh aus Mariens Zügen, als hätte diese plötzlich wie im Lichte eines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_269.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)