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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Er hatte die Bezeichnung des Berufs unwillkürlich noch etwas stärker betont, als es wohl seine Absicht gewesen sein mochte, und um Wolfgangs Lippen zuckte wieder das vorige leicht spöttische Lächeln.

„Als Zahnarzt?“ – Cilly lachte hell auf, so daß ihr eigenes, prächtiges Gebiß elfenbeinweiß zwischen den frischen, rothen Lippen hervorschimmerte. „Das ist ja furchtbar drollig! – So werden Sie also einen Kasten vor dem Hause haben mit der Aufschrift: ‚Keine Zahnschmerzen mehr! – Und künstliche Zähne schon von zwei Mark an!‘“

„Ganz so wohlfeil werde ich es allerdings schwerlich machen – ausgenommen für meine weiblichen Verwandten, die ich selbstverständlich mit Vergnügen umsonst behandle.“

„Ich danke für das freundliche Anerbieten, und ich werde mich desselben seiner Zeit erinnern – so nach vierzig oder fünfzig Jahren. – Aber was macht Ihre Schwester? Ist sie noch immer so blond und hat sie noch immer ein so eisernes Köpfchen wie damals?“

„Wir werden an einem der nächsten Tage das Vergnügen haben, sie als Gast bei uns zu sehen,“ fiel der General ein, „da werdet Ihr Zeit genug haben, von Euren gemeinsamen Abenteuern zu plaudern.“

„Ach, das ist reizend! – Sagen Sie ihr, Vetter, daß ich mich ausnehmend darauf freue! – Aber eigentlich ist es doch komisch, daß wir uns hier so förmlich –“

„Was haben Sie, Friedrich?“ herrschte der General den eben eintretenden Diener an, und seine Stimme war ohne jeden ersichtlichen Grund mit einem Male so laut, daß sie den Schluß von Cillys Rede völlig übertönte.

„Seine Durchlaucht der Prinz Lamoral von Waldburg wünschen Excellenz seine Aufwartung zu machen,“ stotterte der Bursche in großer Bestürzung. Cilly aber stieß einen kleinen Schrei der Ueberraschung aus und flüchtete hinter den großen Schreibtisch des Vaters.

„Laß ihn um Gotteswillen nicht hier herein, Papa!“ bat sie. „Ich muß mich doch erst umziehen! Wenn er mich bei zwölf Grad Wärme in diesem winterlichen Aufzuge sieht, glaubt er ja ohne Zweifel, ich habe den Verstand verloren.“

Sie hatte den zahnärztlichen Vetter offenbar vollständig vergessen, und Wolfgang war großmüthig genug, den General aus einer peinlichen Verlegenheit zu befreien.

„Ich habe also die Ehre, mich zu empfehlen!“ sagte er rasch und verließ mit einer kleinen, unbeachteten Verbeugung gegen Cilly noch vor dem Diener das Gemach.

In dem Empfangssaal, welchen er durchschreiten mußte, sah er den Gemeldeten in strammer dienstlicher Haltung stehen. In der glänzenden, ritterlichen Uniform, mit dem blitzenden Silberhelm unter dem Arm, machte der Gardekürassier trotz seiner etwas faden und verlebten Züge und des allzu zierlich aufgesetzten Schnurrbärtchens eine Erscheinung, die immerhin geeignet war, blendend und bestechend auf das Herz eines jungen Mädchens zu wirken. Seine ausdruckslosen, wässerig blauen Augen glitten über die Gestalt des ihm unbekannten Civilisten hinweg, als wäre statt desselben nur ein Schatten durch das Zimmer gewandelt, und Wolfgang sah sich nicht veranlaßt, den Bann dieser fürstlichen Unnahbarkeit zu durchbrechen.

Er hatte den Vorplatz bereits erreicht, als ihm raschen Schrittes der älteste Sohn des Hauses nacheilte.

„Wie, Du willst gehen, ohne mir auch nur die Hand zu drücken? – Ist das freundschaftlich, mein alter Junge?“

Mit einem freudigen Aufleuchten in den Zügen wandte sich Wolfgang nach ihm um; aber er zögerte geflissentlich, in die dargebotene Rechte einzuschlagen.

„Entschuldige, lieber Lothar, aber Du weißt wohl noch nicht, daß ich so tief gesunken bin, ein Zahnarzt zu werden?“

Verständnißlos sah ihm der Regierungsassessor ins Gesicht.

„Nun – und –? – Ist das nicht dasselbe, als wenn Du Staatssekretär der Vereinigten Staaten geworden wärest? Hat das irgend etwas mit unserer alten Freundschaft zu schaffen?“

„Na, ganz dasselbe ist es ja vielleicht nicht; aber wenn Du wirklich findest, daß das mit unserer Freundschaft nichts zu schaffen hat, so laß Dich brüderlich umarmen, mein alter, ehrlicher Lothar!“

„Und Du rauchst noch eine Cigarre bei mir, nicht wahr? Keine Abhaltung kann so dringend sein, daß Du mir diese erste halbe Stunde entziehen müßtest!“

Wolfgang sah auf die Uhr.

„Begnügen wir uns für diesmal mit zwanzig Minuten! Mein Schwesterchen erwartet mich, denn sie hat mir versprochen, mit mir zu speisen!“

Er folgte dem Regierungsassessor in sein auffallend einfach ausgestattetes, mit Büchern überfülltes Zimmer, und genau zwanzig Minuten später geleitete ihn Lothar bis zur Hausthür, um sich dort mit herzlichem Händedruck von ihm zu verabschieden.

„Auf Wiedersehen also!“

„Auf baldiges Wiedersehen!“ fügte Lothar hinzu. „Und grüße mir Deine Schwester! Sie hat mich hoffentlich nicht in gar zu schlechtem Andenken behalten!“

Als Wolfgang auf die Straße hinaustrat, stand der Wagen des Prinzen mit den beiden feurigen Graditzer Hengsten, mit dem unbeweglichen, wie in Bronze gegossenen Kutscher auf dem Bock und dem glattrasierten Diener am Wagenschlage, noch immer vor dem Gartengitter der Villa.




„Also es bleibt dabei! – Entweder ich kann Sie heute noch bei der Revierpolizei anmelden, wie es sich gehört, oder Sie verlassen bis zum Abend die Wohnung!“

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, rauschte das kleine schiefe Fräulein Engelhardt aus dem Zimmer, und man konnte das Rascheln ihres Seidenkleides vernehmen, bis sie an das Ende des finsteren Ganges gelangt war, wo ihre eigene jungfräuliche Kemenate lag.

Joseph Hudetz starrte ihr unbeweglich nach, den Kopf gegen die rechte Schulter geneigt und die Krempe seines weichen Filzhutes in den Händen zerknüllend. Die ängstliche Spannung in seinen Zügen wich allgemach einem Ausdruck müder Hoffnungslosigkeit, und er sah so verfallen und greisenhaft aus wie ein Sterbender.

„Also weiter!“ murmelte er endlich. „Weiter! – Gott weiß – wohin!“

Er fing an, das Wenige, was von seinen Habseligkeiten im Zimmer umherlag, in einen kleinen, mit grauem Segelleinen überzogenen Handkoffer zu packen. Bürsten, Kämme, ein Päckchen Leibwäsche und ein Stoß beschriebener Blätter bildeten augenscheinlich seinen ganzen Besitz, und nur auf die Unterbringung der letzteren verwendete er einige Sorgfalt. Als er fertig war, ging er zur Thür und lauschte auf den Gang hinaus. Es war ganz still, und man hörte deutlich den Schlag einer Fabrikuhr, die irgendwo in der Nähe die abgelaufene Stunde anzeigte.

„Zwölf Uhr!“ sagte Hudetz vor sich hin. „Sie wird gleich herauskommen.“

Aber er mußte fast noch eine Viertelstunde lang in seiner unbequemen Stellung verharren, das Auge dicht an den schmalen Spalt der nur wenig geöffneten Thür gedrückt, ehe Marie von Brenckendorf drüben aus ihrem Zimmer trat. Er rührte sich nicht und hielt sogar den Athem an, als fürchtete er, sich durch das Geräusch desselben zu verrathen. Von seinem Platze aber wich er nicht eher, als bis er trotz der gespanntesten Aufmerksamkeit den Klang ihres leichten, auf der Treppe verhallenden Schrittes nicht mehr vernehmen konnte.

„Zum letzten Male!“ murmelte er, das Haar zurückstreichend, welches ihm wirr über die Stirn gefallen war. „Ob sie es wohl bemerken wird, wenn ich nicht mehr da bin?“

Er steckte den keinen Kofferschlüssel ein und ging, seine Habe vorläufig zurücklassend, mit den eigenthümlich lautlosen, schleichenden Schritten, die ihm zur Gewohnheit geworden waren, von dannen.

Unentschlossen blieb er eine Weile an der nächsten Straßenecke stehen; dann stieg er auf das Verdeck eines vorüberrasselnden Omnibus, der ihn bis in den äußersten Nordwesten Berlins, den sogenannten Wedding, führte. Hier in der Nachbarschaft der

großen Maschinenfabriken lebt eine fast ausschließlich aus Arbeitern und kleinen Handwerkern bestehende Bevölkerung; die Häuser sind zum größten Theil gewaltige, fünfstöckige Mietskasernen, und wenn die nach der Straße gelegenen Fassaden hier und da sogar den heuchlerischen Anstrich einer gewissen Zierde und Behaglichkeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_263.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)