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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Auftrage in Kenntniß, wählte sich aus den Erfahrensten auch gleich seinen Stellvertreter oder Obristlieutenant und bestellte die übrigen als Hauptleute über die einzelnen Fähnlein. Diese letzteren nun waren es, welche zunächst, jeder für sich, die eigentliche Werbung besorgten, in Städten und Flecken, namentlich bei Jahrmärkten oder ähnlichen viel Volk zusammenführenden Anlässen sie „umschlagen“ ließen. Hatte jeder die nöthige Anzahl Geworbener beisammen, wobei auch auf das richtige Zahlenverhältniß der Spieße, kurzen Wehren und Hakenbüchsen zu sehen war, so beraumte der Kriegsherr oder der von ihm bestellte Musterherr einen Tag der Zusammenkunft an. Auf dem bestimmten Platze waren zwei Spieße aufgerichtet, ein dritter quer darüber gebunden. Auf der einen Seite dieses „Thors“ hielt zu Roß der Obrist und der Hauptmann des gerade zu musternden Fähnleins, auf der andern saß an einem Tische der Schreiber des Musterherrn, welcher selbst nahebei hielt und nun jeden einzelnen Knecht an sich vorbeiziehen ließ, dem Schreiber seine Bemerkungen diktirend. Tauf- und Zuname jedes einzelnen Knechts wurden nebst seinem Geburtsort aufgezeichnet. War dies geschehen, so stellten nunmehr auch die Knechte dem Obristen ihre Bedingungen, wie z. B., daß sie nicht gegen protestantische oder katholische Reichsstände geführt werden sollten u. dgl. Alsdann ließ der Obrist „zur Gemeinde schlagen“, hielt „im Ring“ eine Ansprache, in welcher er den Anlaß und Zweck des Kriegs darlegte, worauf der Artikelbrief gelesen und in die Hände des bei dieser Gelegenheit vorgestellten rechtskundigen Schultheißen beschworen wurde. War dies geschehen, so wurden die anderen hohen Aemter vom Obristlieutenant und den Fähndrichen bis zu dem furchtbaren Profossen bestellt, und jeder Ernannte hielt seine Ansprache. Ganz ebenso hielt dann jeder Hauptmann mit seinem Fähnlein eine „Gemeinde“ ab, stellte seinen Lieutenant, Kaplan, Schreiber und Feldscheer, welche nur er zu ernennen hatte, vor. Zum Schlusse bildeten dann die Knechte jedes Fähnleins einen Ring für sich und wählten, was sie als freie Gemeinde kennzeichnet, unter des Feldweibels Leitung den Gemeinweibel und andere Bestellte, welche als Vertreter der Knechte zu wirken hatten. Endlich sonderte sich der Haufe in Rotten von je 10 Spießen und wählte die Tüchtigsten zu Rottmeistern.

Zum Schluß möge hier noch eine Geschichte Platz finden, welche von der machtvollen Stellung des Obristen einen Begriff geben kann. Dieser, meist ohnehin ein angesehener Mann, bezog unter Karl V. hundertfachen Monatssold, etwa 400 Gulden, und hatte seinen eigenen kriegerischen Hofstaat. Die Vorstellung von seiner Würde und Machtvollkommenheit war noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts eine ganz außerordentliche. Ein mit dem Grafen Mansfeld nach Ostfriesland gedrängter Obrist Karpezan, böhmischen Ursprungs, lud im Sommer 1623 die vornehmsten Offiziere des Lagers zu Gaste. Nach der Sitte der Zeit wurde stark gebechert, und als der Wein die Zungen löste, wurde dem Obristen mitgetheilt und durch Zeugen bestätigt, daß ihm sein Weib, von welchem er fünf Kinder hatte, untreu geworden sei. Alsbald verließ der Obrist das Gelage, begab sich in das Nebengemach, wo sein Weib mit anderen Offiziersfrauen saß, und gebot ihr, sich fertig zu machen: er müsse eilends in sein Quartier zurück. Ahnungslos folgte sie ihm. Dort angekommen, ließ er sofort seinen Kaplan holen und gebot dem Erschrockenen, die Ehebrecherin zum Tode vorzubereiten, er werde sie enthaupten lassen. Während der Kaplan entsetzt noch Einwendungen machen wollte, trat schon der herberufene Scharfrichter des Regiments ein. Nun wurde dem sündhaften Weibe der ganze schreckliche Ernst der Lage klar; sie flehte fußfällig ihren Mann um Gnade an und gelobte, wenn er sie gewähre, wolle sie in die Ferne ziehen und er solle nie mehr etwas von ihr hören, gerade als ob sie todt wäre. Der grimmige Mann aber kannte kein Erbarmen, ja, als sogar der Scharfrichter, von Grauen ergriffen, sich weigerte, die Unglückliche zu enthaupten, da entriß ihm Karpezan das Richtschwert und schickte sich an, selbst den Streich zu führen. Jetzt erst erklärte sich der Henker bereit, seines Amtes zu walten; er fürchtete, der Obrist werde ihn, wenn er widerspenstig bleibe, der Frau in die Ewigkeit nachschicken; er forderte daher sein Schwert und schlug dem Weibe das Haupt ab. In eine eilig gefertigte Bahre gelegt, wurde die Leiche alsbald begraben.

Niemand, kein Richter, kein General, kein Kriegsherr hat den Obristen zur Rechenschaft gezogen. Doch blieben ihm alle Gemüther abgewandt, vereinsamt und verbittert lebte er fortan dahin, und als er nach Holland kam, fehlte wenig, daß er von Weibern und Kindern auf den Gassen mit Steinen zu Tode geworfen wurde. Mit schrecklichen Zügen blickt aus dieser Geschichte die furchtbare Gewalt hervor, mit welcher der Geist der Zeiten die Würde höherer Befehlshaber umkleidete.




Flammenzeichen.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


„Was ist denn wieder mit dem Stadinger?“ fragte Hartmut, der, gleichfalls zur Jagd gerüstet, aus dem Schlosse trat und die letzten Worte des Gespräches hörte.

„Eine Dummheit allerersten Ranges hat er gemacht!“ erklärte Egon. Aber da kam er übel an bei dem „ältesten Diener des fürstlichen Hauses“, der sich tiefbeleidigt aufrichtete.

„Halten zu Gnaden, Durchlaucht, ich habe die Dummheit nicht gemacht.“

„Meinst Du vielleicht, daß ich sie gemacht habe?“

Stadinger guckte seinen Herrn scharf von der Seite an, dann entgegnete er bedächtig:

„Das weiß ich nicht, Durchlaucht – aber es kann schon sein.“

„Du bist ein Grobian!“ rief der Fürst hitzig.

„Dafür bekannt im ganzen Walde, Durchlaucht.“

„Komm, Hartmut, mit dem alten Brummbär ist doch nichts anzufangen!“ sagte Egon halb ärgerlich, halb lachend. „Erst bringt er mich in Ungelegenheiten, und dann kanzelt er mich noch obendrein ab. Gnade Dir Gott, Stadinger, wenn Du noch öfter solche Berichte erstattest!“

Damit ging er in Begleitung Rojanows zum Wagen und stieg ein. Stadinger aber blieb in strammer Haltung stehen und grüßte vorschriftsmäßig und „respektvoll“, denn der Respekt war die Hauptsache. Deshalb fiel es ihm indessen nicht ein, nachzugeben, das mußte Seine Durchlaucht Fürst Egon thun, er kam nun einmal nicht auf gegen seinen Peter Stadinger.

Egon war gleichfalls dieser Meinung, als er seinem Freunde während der Fahrt das Vorgefallene erzählte und mit komischer Verzweiflung schloß:

„Nun kannst Du Dir denken, welcher Empfang bei der Allergnädigsten mir bevorsteht! Sie hat es jedenfalls errathen, daß ich sie von Rodeck fernhalten wollte, meine Moral ist allerdings gerettet in ihren Augen, aber auf Kosten meiner Wahrheitsliebe. Hartmut, thu’ mir den Gefallen und laß Deine ganze Liebenswürdigkeit gegen meine hochverehrte Tante los! Mache nöthigenfalls ein Gedicht auf sie, als Blitzableiter, sonst trifft mich der Strahl des allerhöchsten Zornes!“

„Nun, ich dächte, Du wärst ziemlich wetterfest in diesem Punkte,“ spottete Hartmut. „Man hat Dir schon öfter solche Streiche verzeihen müssen. – Die Herzogin und die jüngeren Damen werden der Jagd also zu Pferde beiwohnen?“

„Gewiß, im Wagen ist ja nicht viel davon zu sehen. Weißt Du übrigens, daß Frau von Wallmoden vorzüglich reitet? Ich begegnete ihr vorgestern, als sie mit ihrem Schwager, dem Oberforstmeister, von einem Spazierritte zurückkam.“

„Ah so! Nun, dann weiß man also, wo der Platz des Fürsten Adelsberg heut ausschließlich sein wird.“

Egon, der bequem zurückgelehnt saß, richtete sich auf und sah seinen Freund forschend an.

„Bitte, nicht so spöttisch! Du bist allerdings nicht so häufig in der Nähe der besagten Dame zu finden und trägst sogar eine gewisse Zurückhaltung zur Schau, aber ich kenne Dich viel zu genau, um nicht zu wissen, daß wir nur zu sehr einer Meinung sind.“

„Und wenn das wäre – würdest Du es mir als einen Bruch der Freundschaft auslegen?“

„In diesem Falle nicht, wo das Ziel uns beiden unerreichbar ist.“

„Unerreichbar?“ um die Lippen Rojanows spielte wieder jenes unheimliche Lächeln.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_255.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)