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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

der Thurnhamer sich’s versieht, faßt ihn etwas und drückt ihn an die Schiffswand. Das ist aber nichts anderes als der heulende Sturm. Und im selben Augenblicke ist auch der weiße Streifen da; das ist eine Mauer von Wasser, die der Sturm vor sich hergepeitscht hat und die sich jetzt heranwälzt, Schiff und Mann zu verschlingen.

Naß und grausig klatscht es dem Manne ins Gesicht und faßt sein Fahrzeug an. Aber das brave Eichengebäude thut seine Schuldigkeit. Trotzig wendet es den hochgeschnäbelten breiten Bug gegen die anrollende Wassermasse und hebt sich hoch auf dieselbe empor, während der Steuermann sich mit beiden Händen an die Schiftswand klammert, um vom wüthenden Anprall des Sturms nicht herabgeschleudert zu werden.

Nun ist der erste Stoß vorüber. Hochaufathmend ergreift der Bauer das Ruder wieder, um das Schiff zu wenden. Nur seiner Bärenkraft gelingt’s; der Schnabel zeigt wieder nach Osten, und wie ein Vogel fliegt das Schiff vor dem Sturme her. Jetzt aber heben sich von Minute zu Minute die Wogen höher empor; ganze Berge von Wasser wälzen sich daher und auf ihren Kämmen reitet der Blitz. Fast ist das Schiff nicht mehr zu steuern

Der Bauer will an der Seite des Schiffes ein Ruder ins Wasser hängen, um nicht unaufhörlich von den furchtbaren Wassermassen aus dem Kurs geschleudert zu werden. Aber so gewaltig schwankt das Fahrzeug, daß der Mann niederknieen muß, um bei diesem Geschäfte nicht über die Wand geworfen zu werden. Jetzt hat er das Ruder festgemacht und will sich wieder erheben.

Da aber packt ihn ein kaltes Grausen mit eiserner Faust. Dem Sturme hat er mit Löwenmuth getrotzt; aber jetzt ist ’was anderes da, das an seinen mächtigen Nerven rüttelt.

Der Thurnhamer ist nicht mehr allein.

Wie er sich erheben will, sieht er auf dem Gransen, der eben fast lothrecht über ihm auf eine Woge steigt, eine dunkle Gestalt sitzen. Da erhebt er sich nicht mehr. Mit schlotternden Gliedern, mit stieren Augen, die Hände krampfhaft an die Schiffswände gepreßt, liegt der Bauer da und schaut nach dem unheimlichen Fahrgast. Der nächste Blitzstrahl zeigt ihm denselben deutlich. Er sitzt auf der Bank nächst dem Gransen, trägt einen hohen spitzigen Hut, auf welchem eine Hahnenfeder weht, und hat ein schwarzes Gesicht mit einem langen schwarzen Spitzbarte.

„Jesus, Maria und Joseph!“ murmelt der Bauer. Dann sagt er nichts mehr, er neigt den Kopf zur Seite, um sein grausiges Gegenüber nicht zu sehen, und verharrt in dieser Stellung.

Das währt so etwa eine Stunde lang. Mittlerweile hat der rasende Sturm das hilflose Fahrzeug rasch durch den Weitsee getrieben. Die gewaltigen Wellen haben es in der letzten Viertelstunde völlig gefüllt, sie schlagen darüber hinweg. Und nun hört der Bauer die Brandung am Ufer donnern. Hochauf wird sein Schiff geschleudert; es macht ein paar schwerfällige Bewegungen, als wenn es sich überkugeln wollte. Dann sinkt es wieder in ein tiefes Wellenthal. Weißer Schaum überfliegt das ganze Fahrzeug; noch einmal hebt sich’s zu schwindelnder Höhe und stürzt wieder in die Tiefe, diesmal aber zerkracht das alte Eichengebäude auf einem Stein, und ein furchtbarer Stoß wirft den Bauer in den kochenden, brodelnden See. Er sieht dunklen Fichtenwald über sich, fühlt festen Boden unter sich und watet, von der Brandung ein paarmal niedergeworfen, zuletzt kriechend, an den Strand, wo er zusammenbricht. Im Leuchten der Blitze sieht er noch einmal den Gransen seines Schiffes und auf ihm reitend den Fahrgast mit dem spitzigen Hut.

Der Bauer wird für ein paar Minuten völlig besinnungslos; See und Wald, Blitz und Wellen, Schiff und Spitzhut drehen sich um ihn. Wie er sich mühsam aufgerafft hat, ist das Schiff noch da, der Fahrgast verschwunden. Der Thurnhamer schlägt ein Kreuz und steigt hastig aufwärts in den brausenden Wald. Eine Viertelstunde später bellt der treue Hund am Thurnhamer Hofe, aus der Stube kommt das blonde Nannei mit der Stalllaterne und schreit: „Jesus, Maria! Der Vater!“

„Nannei, sei stad!“ sagt der Bauer mühsam. „Ich bin grad a bissel naß!“

Das war des Thurnhamers letzte Heimfahrt. Am andern Morgen schritt der Bauer stramm und frisch, wenn auch nicht so wie sonst, aufs Feld hinaus. Seine Buben aber gingen an den Strand hinab, das Scheef zu bergen. Wie sie mittags heimkamen, sagte der ältere, der Hies: „Vater, ’s Scheef is ganz hin. A Loch is drin, daß ma durchischlupf’n kann!“

Der kleinere aber, der Toni, brachte ein Glas. „Vater, schau’, was wir in dem Scheef g’fund’n ham!“

Der Bauer schüttelte sich. Der Toni aber zeigte ihm das Glas. Es war mit einem grünlichen Oel zur Hälfte gefüllt und in diesem Oel schwammen schwarze Gegenstände, welche aussahen wie abgerissene Gliedmaßen winziger Teufel.

Ein Schaudern rann dem Bauern über den Rücken hinab. „Thu’s weg!“ sagte er. „Dös g’hört nit mei!“

Der Toni stellte das Glas ins Stallfenster. Abends aber kam das Nannei, legte das Glas in ihre Schürze und machte ein Kreuz darüber. Dann ging sie vom Hofe weg, etwa einen Büchsenschuß weit, wo am Sträßchen eine kleine Feldkapelle stand. Dort hob sie einen Stein der Schwelle auf, grub ein Loch in den Erdboden, legte das Glas hinein und den Stein wieder darüber. Dann sprengte sie noch ein paar Tropfen Weihwasser auf den Stein und ging befriedigt heimwärts.

„Hast’s fort?“ frug der Bauer, als er sie kommen sah.

„Ja!“ sagte das Nannei und ging in den Stall.

Der Thurnhamer baute kein neues Schiff mehr; er ging überhaupt nimmer auf den See, sondern fuhr mit einem nudeldicken Schimmel per Achse ins Wirthshaus, starb auch bald darauf einen friedlichen Tod auf der Ofenbank. Er starb ohne Gewissensangst. Denn als er seinem Pfarrer gebeichtet hatte, daß er einmal mit dem Teufel über den Weitsee gefahren sei, tröstete ihn der Pfarrer und versprach ihm, daß bei der Fahrt, die er nunmehr anzutreten habe, kein Teufel mehr auf dem Gransen sitzen werde, sondern ein Engel mit goldenen Flügeln.

Fünf Jahre waren etwa seit jener grausigen Fahrt verstrichen, da traten eines schönen Tags in die Stube des Inselwirthshauses die Kinder vom Thurnhamer Hofe, das Nannei und ihr Bruder, der Toni. Um den Ofentisch saßen drei wüste fahrende Gesellen. Zwei waren aus der Umgebung, der Steindlsepp und der Gederer Muckl, beides richtige Lumpen. Bei ihnen saß aber noch einer, einäugig, groß und dürr, mit dunkelbraunem Gesicht und langem Spitzbart. Er trug einen hohen, spitzigen Hut mit einer zerzausten Hahnenfeder, und hinter sich hatte er einen rothen Kasten stehen. Das war der Schwazer Hans, ein tiroler Hausirer, der mit Sympathiemitteln, Reliquien, Schildkröten, Wundpflastern, Amuletten und ähnlichen Sachen einen räthselhaften Handel trieb. Vor sich hatte dieser unheimliche Mensch ein Gläschen Schnaps stehen und daneben ein Glas, genau so wie dasjenige gewesen war, das man einst im Wrack des Thurnhamerschiffes gefunden hatte. Um dieses Glas drehte sich das Gespräch der drei Halunken; denn der Schwazer Hans

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_247.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)