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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Gelehrten Ursprung verräth es, wenn der Studio das Faß „schlucksessive“ ((successive)) leert, wenn man den „Gymnastiker“ zum „Gumminastiker“, den „Oekonom“ zum „Mistiker“ und mit Anklang an den Johanniter zum „Guaniter“, den „Millionär“ zum „Millioneser“[1] macht und in Anlehnung an „Diphtheritis“ die „Dichteritis“ geschaffen hat; wenn man vom Geistlichen sagt, er „marmorirt“ (memorirt), wenn man von einem „Periculum“ oder gar „Pericles in Morea“ (periculum in mora, es ist Gefahr im Verzuge) spricht, wenn man die „Matrikuarbeiträge“ in „Makulaturbeiträge“, die litterarischen Studien des Musensohnes böswillig in „Liter–aturstudien“ verwandelt, und wenn man sich endlich eine „Ferdinanda“ (Veranda) erbaut, auf welche eine „Lawendeltreppe“ hinaufführt. Gelehrten Ursprungs ist auch das unvermeidliche „massive“ Mitglied (für passiv), die „Prasseltation“ auf der Kegelbahn (der hohe Wurf, bei dem alles zusammenprasselt, besonders thüringisch), der allbekannte und sehr ansprechende Jupiter „Mammon“ (statt Jupiter Ammon) und die scherzhafte Auslegung des wissenschaftllchen Namens der Wiesensalvei (Salvia pratensis) zu „Salvia (als Name aufgefaßt), braten Sie’s!“ Nur ein Gelehrter konnte endlich zuerst „Orchideen“ feiern (Orgien), seinen „Kaukasus“ (von kauen) nicht in Ordnung finden und seinen „Lag“ im Spiel, das heißt das, was ihm liegt, seinen „Lago maggiore“ nennen.

Ja das Spiel! Natürlich hat es eine ganze Reihe von Volkswitzen unserer Art geboren: nur „einen Monument“, und wir werden sie der Reihe nach „destilliren“ lassen.

Nur einige andere zuvor, die nicht durchaus gelehrter Abstammung zu sein brauchen: aus „melancholisch“ machte Fischart zuerst „maulhenkolisch“ (so noch heute in der Lausitz) und unsere Zeit „melankatholisch“, aus dem vom Trinker viel gebrauchten „Pröstchen“ (prosit) wurde das scherzhafte „Pröbstchen“, aus unbestimmten, einer ungewissen Zukunft überlassenen Dingen wurden die an das Wort „rathen“ (d. h. errathen) angelehnten „Rathhaussachen“, die doch scheinbar auch die bekannte Thatsache andeuten, daß die Väter der Stadt in allen „zwei- bis dreifelhaften“ Dingen klüger sind, wenn sie vom Rathhause kommen, als vorher, da sie in düsteres Schweigen eingehüllt der Sitzung zuschritten. Auf gewisse Dinge kann man ruhig „Gips“ (Gift) nehmen, beim Abschiede dem Freunde zurufen: „Leben Sie so wohl, – als auch!“ und dann „befriedricht“ von dannen gehen. Natürlich entgegnet der andere darauf: „Wöhler!“, das geht mit dem besten „Wilhelm“ (Willen) nicht anders. Der Leser erkennt in den letzten Beispielen sofort Berliner Kinder, zu denen unter anderen auch der öfter begegnende „Handschuster“ (Handschuhmacher), das bekannte „Nashorn“ (Nase), die beliebte „Behauptung“(Hut), der „Schneiderkarpfen“ (Hering) und endlich der „Schnutenfeger“ (Barbier) gehören.

Doch wir wollten zum Spiel übergehen, und zwar besonders zu dem allmählich epidemisch gewordenen Skat! Da spielt der eine „Kairo“, der andere meint ziemlich sinnlos: „Karo ist ein Hundename, die Einwohner heißen Karotten!!“ Das richtige „Carreau“ wird im allgemeinen ängstlich gemieden. Ein zweiter spielt Pique und sieht sich daher veranlaßt, zu sagen: „Picus der Specht!“ worauf der andere unausbleiblich mit Ruhe und Sicherheit einfällt: „Aurora, die Waldschnepfe!“ „Piccolomini!“ sagt der glühende Schillerverehrer. „Rötchen liegt bei Waltersdorf!“ ruft der die rothe Farbe Ausspielende, und „Treff-lich schön singt unser Küster!“ jubelt der glückliche „Eckernsolobesitzer“. „Solo?“ Meist begegnet es als „Soolei“, indessen ist auch das freundlich fragende „Sölchen?“ nicht ungebräuchlich. „Turnips“ oder „Turko“ ruft man dem andern zu, wenn man tourniren will, „Null aufs Pferd“, oder auch wohl witzloser „aufs Roß“ nennt man das „Null ouvert“-Spiel, und als einen „Perser“ kennzeichnet der Student im fidelen Bierskat das Spiel, welches an sich („per se“) „rumgeht“. „Rum, rümmer, am rümmsten!“ jubelt sodann der Chor, und das italienisch angehauchte Opferlamm lispelt ein entsagungsvolles „futschikato“. Das kommt davon, wenn man nicht Lehre annimmt: „raus mit der Zicke (Zehn) auf den Teichdamm!“ hatte ihm sein „Ede“ (meist als Abkürzung von Eduard gefaßt, eigentlich = französisch „aide“ Mitspieler, Gehilfe) mahnend zugerufen, – vergebens – vorbei, geendet ist das Spiel und kostet 3 „Silbermorgen“ (= -groschen) und 6 „Fähndriche“ (Pfennige). Was Duselmeier aber in letzter Zeit auch überall für haarsträubendes Pech gehabt hat! Am Abend vorher hat er auf der Kegelbahn zum Entsetzen aller, die mit ihm auf derselben „Portion“ (Partie) waren, regelmäßig seinen „Porus“, oder, wie andere meinen, seinen „Borax“ geworfen, unter dem man nun freilich weder den aus der Geschichte Alexanders des Großen bekannten indischen Fürsten Porus, noch das ebenso bekannte borsaure Natron zu verstehen hat, sondern einfach den Mittewurf, bei welchem die Kugel die Mitte der Kegel durch„bohrt“ hat. Und wenn er dabei wenigstens noch „Kuhrand“ (Courant), d. h. nur die meist 6 zählenden mittelsten drei Kegel geworfen hätte! So aber hatte er in seinem Mißgeschick einen mehr getroffen, oder, um mit den Worten seiner Mitspieler zu reden, „Kuhrand mit Agio“ geworfen.

Ja, ja: nicht einmal die Poesie ist sicher vor diesem vor nichts zurückschreckenden Volkswitze. Da deklamirt der übermüthige Knabe mit Würde: „Muth zeiget auch die Muhme Lack“ (der Mameluck), da steht der glückschwelgende Tyrann Polykrates bei ihm zwar auch stil- und würdevoll auf seines Daches Zinnen, aber nur „als Schaute (Scheltwort = Schote) mit vergnügten Sinnen“; da zählt der abgebrannte Glockenvater zwar auch die Häupter seiner Lieben, „doch sieh, es sind statt sechse sieben“, da liegt Uhlands guter Kamerad zu seinen Füßen, „als wär’s ein Stück Papier“, da wird Agathens „schöner grüner Jungfernkranz“ (aus dem „Schreifritz“) angesungen mit den Worten: „Schöner, grüner, – schön schmeckt der Wein am Rhein, juchheh!“

Und hiermit habe Lied – und unsere kleine Sammlung ein Ende! Der freundliche Leser aber, dem beim Lesen gewiß noch manche andere drollige Ausgeburt des fast in jedem Gebiete menschlichen Wissens und menschlicher Thätigkeit üppig wuchernden Volkswitzes eingefallen ist, soll höflichst gebeten sein, dem Verfasser Mittheilung davon zu machen, sei es, daß er sich dabei geradenwegs an ihn oder an die Redaktion wendet. „Ent – oder weder!“ Dr. Söhns.     




Blätter und Blüthen.


Deutsches Erzieherinnenheim in Wien. Eines der lesenswerthesten und ergreifendsten Hauptstücke in K. Emil Franzos’ „Bildern aus Halbasien“ ist dasjenige, welches von dem Elend vieler deutschen Erzieherinnen in den Ländern an der unteren Donau handelt. Es werden hier viele ebenso schreiende als leider glaubhafte Fälle von Noth und Schmach erzählt, welche durch verrätherische Bosheit und barbarische Rohheit über deutsche Mädchen und Frauen gebracht wurden, die sich dem Erzieherinnen- und Lehrerinnenberufe widmen. Natürlich sind noch viel häufiger als die Fälle gewissenloser Ausbeutung solcher Opfer diejenigen, in welchen durch ein unvorhergesehenes widriges Geschick solche Erzieherinnen mit einem Mal ihre Stelle verlieren, in der Fremde allein und hilflos dastehen oder, auf der Rückkehr ins Vaterland begriffen, in Ermangelung weiterer Reisemittel in Wien, dem großen Durchgangsplatz nach dem Osten, bleiben müssen und allen Gefahren des großstädtischen Lebens preisgegeben sind.

Längst haben es die Angehörigen fremder Völker in Wien als eine Ehrensache erkannt, sich ihrer Landsmänninnen in der Bedrängniß anzunehmen. Schweizer, Engländer und Franzosen haben hier Erzieherinnenheime gegründet, die zum Theil Musteranstalten in ihrer Art sind. Und es muß dem deutschen Hilfsverein in Wien nachgerühmt werden, daß er schon vor sieben Jahren die Gründung eines ähnlichen Erzieherinnenheims für deutsche Reichsangehörige in den Bereich seiner ausgedehnten und ersprießlichen Wirksamkeit eingezogen hatte, und auch die „Gartenlaube“ ist seinerzeit (vgl. 1885, S. 130) für seine Bestrebungen eingetreten. Allein durch anderweitige Aufgaben und Pflichten vollauf in Anspruch genommen, konnte der Hilfsverein bisher den schönen Plan nicht zur Ausführung bringen und insbesondere nicht die nöthigen Geldbeträge vereinigen. So ist es denn als eine hochverdienstliche That zu begrüßen, daß jetzt die Gemahlin des deutschen Botschafters in Wien, Frau Prinzessin Reuß VII., Herzogin zu Sachsen, den schon aufgegebenen Plan mit Entschlossenheit wieder aufgenommen und der Ausführung desselben ihre ganze Thatkraft, sowie ihre großen und werthvollen Verbindungen zur Verfügung gestellt hat.

Prinzessin Reuß hat sich zu diesem Zwecke zunächst mit einem Ausschuß, bestehend aus dem Prinzen Reuß, den Herren Dr. Brauneis, Schriftsteller W. Lauser, Bankier Pflaum und Vicekonsul von Vivenot, umgeben, um zunächst die Grundlagen für einen Verein des deutschen Erzieherinnenheims zu schaffen, die Satzungen für denselben, die Hausordnung für das Heim festzustellen und Mittel und Helfer für das edle Unternehmen zu werben. Da es ohne Zweifel Werth hat, in den weitesten Kreisen die Kenntniß von der Einrichtung und den Bestrebungen des Vereins zu verbreiten, so theilen wir hier die Hauptsache aus seinen Satzungen mit.

Der Verein des deutschen Erzieherinnenheims wird unter dem Protektorate der Gemahlin des deutschen Botschafters in Wien oder, in Ermangelung einer solchen, der Gemahlin eines Gesandten der in Wien vertretenen deutschen Staaten stehen. Sein Zweck ist, deutsche reichsangehörige Mädchen und Frauen, welche sich der Erziehung, dem Unterricht oder der Kinderpflege widmen und stellenlos sind, aufzunehmen, ihnen Schutz und Beistand zu gewähren und ihnen nach Möglichkeit die Unterbringung in achtbaren Familien unentgeltlich zu vermitteln. Für die Leitung des Heims gilt als Grundsatz: aufgenommen werden ohne Unterschied der Religion alle, die sich entsprechend ausweisen können; Personen von zweifelhafter Sittlichkeit werden abgewiesen, und die vom Verein aufgestellte Vorsteherin hat das Recht, die Aufnahme ohne Angabe von Gründen zu verweigern; im allgemeinen darf der Aufenthalt im Heim nicht länger als einen Monat dauern; der Preis für die Unterbringung und Verpflegung daselbst ist vorläufig auf einen Gulden täglich festgesetzt. Im Fall sich der Verein auflösen müßte, würde sein Vermögen dem deutschen Hilfsverein in Wien zufallen.

Der Verein selbst besteht aus Stiftern, Förderern und Mitgliedern; Stifter ist derjenige, der einen einmaligen Beitrag von mindestens 1000 Mark stiftet; Förderer derjenige, welcher einen einmaligen Beitrag von 500 Mark beisteuert oder einen durch mindestens fünf Jahre fortlaufenden Jahresbeitrag von wenigstens 100 Mark zahlt; Mitglieder sind diejenigen, welche einen einmaligen Beitrag von 50 Mark zahlen oder einen fortlaufenden Jahresbeitrag von mindestens 10 Mark leisten.

Inzwischen hat in Wien selbst die Thätigkeit des Vereins unter der Hand schon in vielversprechender Weise begonnen. Durch Spenden des Prinzen Reuß sowie einzelner Mitglieder unseres Finanzadels und unserer Großindustrie ist bereits ein recht ansehnlicher Stock zustande gekommen, den es nunmehr durch Beiträge aus dem Deutschen Reiche derart zu erhöhen gilt, daß in kurzer Frist zur Gründung des deutschen Erzieherinnenheims in Wien geschritten werden kann. Zu diesem Zweck hat sich Frau Prinzessin Reuß soeben in einem Schreiben an die deutschen Fürsten und an die Bürgermeister der größeren Städte Deutschlands gewandt, um sie unter Darlegung des Bedürfnisses sowie der Vereinszwecke zur werkthätigen Betheiligung an dem menschenfreundlichen und vaterländischen Unternehmen einzuladen. Zugleich ergeht an die Zeitungen und Zeitschriften des Vaterlandes der folgende Aufruf, der, wie wir hoffen dürfen, bei keinem Deutschen auf taube Ohren stoßen wird.

  1. Heine sagte einmal, Rothschild behandle ihn „famillionär“.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_226.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)