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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


„Ja, das weiß der Himmel!“ murmelte der junge Fürst, der bereits Unheil ahnte. „Und was hast Du denn da geantwortet?“

„‚Hoheit können ganz ruhig sein‘, habe ich gesagt. ‚Von lebendigem Gethier haben wir nur Affen und Papageien im Schlosse, Schlangen sind überhaupt nie dagewesen, es sollte zwar eine große Seeschlange ankommen, aber sie ist auf der Ueberfahrt gestorben, und die Elefanten haben sich bei der Einschiffung losgerissen und sind wieder in die Palmenwälder zurückgelaufen – so sagt Durchlaucht wenigstens! Zwei Tiger haben wir allerdings, aber sie sind ausgestopft, und von dem Löwen ist nur das Fell da, das liegt im Jagdsaal, also sehen Hoheit doch selbst, daß die Bestien nicht ausbrechen und Schaden anrichten können.‘“

„Nein, aber Du hast ihn angerichtet mit Deinem Geschwätz!“ rief Egon ärgerlich. „Und die Prinzessin? Was sagte sie darauf?“

„Hoheit lächelten nur und erkundigten sich dann noch, wie es mit dem weiblichen Dienstpersonal in Rodeck bestellt sei und ob Mädchen aus hiesiger Gegend darunter wären, aber da sagte ich“ – Stadinger warf sich gewaltig in die Brust – „‚Was von Frauenzimmern im Schlosse ist, das habe ich in Dienst genommen. Arbeitsam und tüchtig sind sie alle, dafür habe ich gesorgt; aber Durchlaucht läuft, wenn er sie zu Gesicht bekommt, und Herr Rojanow läuft noch ärger, und in der Küche sind die Herren nie wieder gewesen, seit sie einmal darin waren.‘ – Darauf waren Hoheit sehr gnädig und geruhten, mich zu loben, und entließen mich in allerhöchster Zufriedenheit.“

„Und ich möchte Dich in allerhöchster Unzufriedenheit zum Kuckuck jagen!“ fuhr der junge Fürst wüthend auf. „Du verwünschter alter Waldgeist, was hast Du da wieder angestiftet!“

Der Alte, der offenbar glaubte, seine Sache sehr gut gemacht zu haben, sah seinen Herrn mit verblüffter Miene an.

„Ich habe ja doch nur die Wahrheit gesagt, Durchlaucht!“

„Es giebt aber Fälle, wo man die Wahrheit nicht sagen darf.“

„So? Das wußte ich bisher noch nicht.“

„Stadinger, Du hast eine ganz verwünschte Art, zu antworten! Hast Du vielleicht auch der Prinzessin erzählt, daß die Zenz schon seit vier Wochen in der Stadt ist?“

„Zu Befehl, Durchlaucht!“

(Fortsetzung folgt.)




Jugendspiel.


Unser Zeitalter leidet an Nervenschwäche; sie ist die Krankheit des neunzehnten Jahrhunderts, sie ist die Folge der mit dem Fortschreiten unserer Kultur veränderten Lebensweise, welche den Geist anspannt und den Körper vernachlässigt. Forschen wir nach den Ursachen dieses Leidens, so sehen wir, daß es von den meisten nicht allein im reiferen Alter, im Kampfe ums Dasein erworben wird; wir sehen vielmehr, daß durch eine verkehrte Erziehung der Grund dazu schon in der Jugend gelegt wird. Das ist eine Thatsache, die sich nicht wegstreiten läßt; unserer Jugend fehlt der frohe Sinn, der frühere Geschlechter auszeichnete; für ihre Bildung wird sehr viel gethan; in der Schule lernt sie außerordentlich viel und außerhalb der Schule wird für ihren Geist noch durch eine Unzahl von Jugendbüchern und Zeitungen für die Jugend gesorgt.

Schon unsere Knaben sind ganz gebildete Leutchen, aber die meisten zeigen dabei eine gewisse Altklugheit, die der Jugend nicht ziemt, und je höher sie in der Schule vorrücken, desto schlimmer wird dieser Geisteszustand, bis er in das, was wir Blasirtheit nennen, übergeht. Die Jugend selbst ist nicht schuld daran, denn sie entwickelt sich so, wie man sie erzieht; und wir erziehen ihren Geist und sorgen zu wenig für ihren Körper. Das ist ein Fehler; denn ein gesunder Geist kann nur in einem gesunden Körper wohnen, und recht hat der englische Schriftsteller, der den Satz aussprach: „Wer nur Athlet ist, ist halb Mensch, halb Thier. Wer nur Gelehrter ist, ist halb Mensch, halb Geist. Jeder von ihnen ist nur ein halber Mensch.“ Und wer dürfte leugnen, daß unsere Erziehung zu einer solchen Halbheit führt?

Das Kind spielt noch im Freien, obwohl es in den Städten noch viel zu artig erzogen und ihm das freie Austummeln vielfach verwehrt wird; auch der Knabe spielt noch, läuft mit seinem Reifen die Landstraße auf und ab, zieht mit Genossen ins Freie hinaus, um Räuber und Gendarm zu spielen, aber bald tritt für ihn die Zeit ein, wo er sich der jugendlichen Spiele schämt, wo er die Erwachsenen nachahmt und gemessenen Schrittes, mit dem Spazierstock in der Hand, die Cigarre im Mund, durch die Straßen und den Wald dahin bummelt. Und wird er älter, so schließt er sich mit seinen Altersgenossen zu Vereinen zusammen, in denen Biertrinken, Rauchen und Skatspielen die Hauptsache bilden. Das sind ja Schäden, die man schon oft aufgedeckt, schon genugsam besprochen hat.

Unter den Mitteln, die man zur Bekämpfung derselben empfohlen hat, verdienen in erster Linie die Jugendspiele beachtet zu werden. In England sind sie zur Volkssitte geworden, in Deutschland sind sie eine große Seltenheit, namentlich was wohl durchdachte Jugendspiele anbelangt, die neben der körperlichen Ausbildung auch als erzieherisches Mittel angesehen werden müssen. Planmäßig und zielbewußt sind sie bis jetzt unseres Wissens nur in Görlitz durchgeführt worden. Der preußische Kultusminister von Goßler hat diese Görlitzer Bestrebungen warm befürwortet und zur Nachahmung empfohlen, und neuerdings fanden auch zahlreiche Schulmänner Gelegenheit, sich durch den Augenschein von dem Werth der Jugendspiele zu überzeugen. Vom 1. bis 5. Oktober v. J. tagte der 40. Philologen-Kongreß in Görlitz, und den gelehrten Gästen wurden auch die Jugendspiele vorgeführt. „Die Vorführung,“ so lautet ein Bericht darüber, „begann unter Leitung des Turnlehrers Jordan mit einem in verschiedenen munteren Wendungen sich ergehenden Gruppenmarsch der unteren Klassen, zu welchem eine Kapelle in heiteren Weisen den Takt gab. Nächstdem wurde von den oberen Klassen ein wohlgelungener kunstvoller Reigen vorgeführt, zu welchem von den Mitwirkenden selbst ein patriotisches Lied in frischer und anregender Weise gesungen wurde. Die sicher und frei sich bewegenden jugendlichen Gestalten machten einen überaus günstigen Eindruck. Nach dieser Einleitung begann nunmehr die Vertheilung der Schüler in einzelne Spielgruppen, die sich bald über den ganzen Platz verbreiteten und auch die anwesenden Zuschauer anzogen. Hier wurde Fußball, Speerwerfen – das Pilum der alten Römer – Bogenschießen, Tambourinball, dort Lawn-Tennis, Schleuderball, Treibball, Barlauf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_219.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)