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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Nein, ich bitte Dich nur, ihnen die nöthigen Schranken zu ziehen, damit kein unnützes Gerede entsteht. Ich denke nicht daran, Dir Deine Erfolge in der Gesellschaft zu verkümmern. Wir leben nicht in bürgerlichen Verhältnissen, und in meiner Stellung wäre es lächerlich, wollte ich den eifersüchtigen Ehemann spielen, der jede Aufmerksamkeit, die man seiner Frau erweist, mit Argwohn betrachtet. Ich muß Dich darin ganz Deinem eigenen Taktgefühl überlassen, dem ich unbedingt vertraue.“

Das klang alles so gelassen, so vernünftig und so grenzenlos gleichgültig. Von dem Vorwurf der Eifersucht konnte man Herrn von Wallmoden in der That freisprechen, die offen zur Schau getragene Bewunderung des jungen, liebenswürdigen Fürsten flößte ihm gar keine Besorgniß ein, er überließ seine Frau ruhig ihrem „Taktgefühl“.

„Ich werde die Depesche selbst besorgen,“ fuhr er fort, „seit der Herzog hier ist, haben wir ja ein Telegraphenamt im Schlosse. Du solltest Deiner Kammerfrau klingeln, mein Kind, Du siehst etwas angegriffen aus und bist wahrscheinlich ermüdet – gute Nacht.“

Damit ging er, aber Adelheid befolgte den ihr ertheilten Rath nicht. Sie war wieder an das Fenster getreten und ein halb bitterer, halb schmerzlicher Ausdruck zuckte um ihre Lippen. Sie hatte es noch nie so deutlich wie jetzt gefühlt, daß sie ihrem Gatten nichts war als ein glänzendes Schmuckstück, mit dem man Staat macht – eine Frau, die man stets mit vollendeter Höflichkeit und Artigkeit behandelt, weil man mit ihrer Hand ein fürstliches Vermögen empfangen hat, und der man mit derselben Höflichkeit eine Bitte abschlägt, die doch so leicht zu gewähren war.

Ueber dem Walde lagerte die Nacht, der Himmel war dunkel und verschleiert, nur hin und wieder schimmerte ein einzelner Stern durch die ziehenden Wolken, und zu diesem düsteren Nachthimmel blickte jetzt ein Antlitz empor, nicht in der kühlen stolzen Ruhe, in der die Welt es zu sehen gewohnt war, sondern mit dem Ausdruck flehender Angst.

Die junge Frau hatte beide Hände gegen die Brust gepreßt, als schmerze sie dort etwas. Sie hatte ja fliehen wollen vor der dunklen Macht, deren Nahen sie längst schon gefühlt hatte, und die jetzt immer näher, immer dichter ihre Kreise zog, sie hatte sich in den Schutz des Gatten flüchten wollen – vergebens! Er ging und ließ sie allein, und ein anderer blieb, ein anderer, der mit seinen dunklen, heißen Augen, mit dem Klange seiner Stimme eine so geheimnißvolle unwiderstehliche Gewalt ausübte. „Ada!“ Der Name mit seinem fremdartig süßen Klange wehte wie Geisterhauch an ihrem Ohr vorüber. Es war ja ihr Name, den die Sagengestalt der Arivana trug.




Es war Oktober geworden und der Herbst begann seine Herrschaft schon nachdrücklich zu zeigen. Das Laub der Bäume färbte sich bunt, die Landschaft lag morgens und abends im Nebelduft und die Nächte brachten bisweilen Reif, während die Tage meist schön und sonnig waren.

Mit Ausnahme jenes großen Abendfestes, das die ganze Umgegend in Fürstenstein versammelt hatte, und der Jagden, die um diese Jahreszeit selbstverständlich im Vordergrunde standen, fanden keine besonderen Festlichkeiten statt. Der Herzog wie seine Gemahlin liebten es, im kleineren Kreise zu verkehren, und wollten sich die Ruhe und Zwanglosigkeit ihres Herbstaufenthaltes nicht durch rauschende Vergnügungen stören lassen. Um so häufiger wurden Ausflüge unternommen, die Waldberge zu Pferd und zu Wagen durchstreift, und die fürstliche Tafel sah täglich eine größere Anzahl von Gästen.

Auch Adelheid von Wallmoden gehörte zu diesem engeren Kreise. Die Herzogin, die es erfuhr, in welcher Art ihre Schwägerin der jungen Frau die Stellung zu erschweren suchte, glich das durch um so größere Liebenswürdigkeit aus und zog sie bei jeder Gelegenheit in ihre Nähe, der Herzog aber, der den Gesandten in seiner Gemahlin auszuzeichnen wünschte, war durchaus einverstanden damit. Wallmoden selbst befand sich noch in Berlin, die zwei Wochen, die er für seine Reise in Aussicht genommen hatte, waren bereits verstrichen, und noch verlautete nichts über seine Rückkehr.

Einer der häufigsten Gäste in Fürstenstein war Egon von Adelsberg, der erklärte Liebling seiner fürstlichen Verwandten, und mit ihm wurde auch seinem Freunde Rojanow stets die Ehre einer Einladung zutheil. Der junge Fürst hatte recht prophezeit, Hartmut stieg wie ein leuchtender Meteor auf, dem alle Blicke bewundernd folgten und von dem man gar nicht erwartete, daß es die altgewohnten Bahnen des Hoflebens ziehen werde. Er hatte auf Wunsch der Herzogin bereits seine „Arivana“ vorgelesen und damit einen förmlichen Triumph gefeiert. Der Herzog hatte ihm sofort die Aufführung des Dramas am Hoftheater zugesichert, und Prinzessin Sophie wandte dem jungen Dichter ihre besondere Gnade zu. Die Umgebung folgte selbstverständlich dem Beispiele der Fürstlichkeiten und folgte in diesem Falle nur zu gern, denn der Zauber, den dieser Mann nun einmal auf alle ausübte, that auch hier seine Wirkung. –

Vor dem Schlosse zu Rodeck hielt der Jagdwagen des Fürsten Adelsberg. Es war noch früh am Tage und der nebelduftige Oktobermorgen schien einen klaren, schönen Tag zu verheißen. Soeben trat Egon in voller Jagdausrüstung auf die Terrasse und sprach mit dem Schloßverwalter, der ihm folgte.

„Also Du willst Dir die Jagd auch anschauen?“ fragte er. „Natürlich, wo es etwas zu sehen giebt, muß Peter Stadinger dabei sein! Mein Kammerdiener hat gleichfalls um Urlaub gebeten, und ich glaube, die ganze Bevölkerung des ‚Waldes‘ wandert heute aus, um mit Kind und Kegel nach dem Jagdrevier zu ziehen.“

„Ja, Durchlaucht, so etwas giebt es auch nicht oft zu schauen,“ meinte Stadinger. „Die großen Hof- und Staatsjagden sind selten geworden in unserem Walde. Gejagt wird ja überall, aber dann sind die Herren meist unter sich wie hier in Rodeck, und wenn die Damen nicht dabei sind –“

„Dann ist es sträflich langweilig!“ ergänzte der Fürst. „Ganz meine Meinung, aber Du bist ja sonst so eingenommen gegen die Weiblichkeit und schreist Ach und Wehe, wenn irgend etwas, was noch nicht das kanonische Alter erreicht hat, die Grenze von Rodeck uberschreitet. Hast Du Dich auf Deine alten Tage noch bekehrt?“

„Ich meinte die hochfürstlichen Damen, Durchlaucht,“ erklärte der Alte mit nachdrücklicher Betonung.

„Die fürstlichen Damen können mich höchstens auf einer Spazierfahrt mit ihrem Besuche beehren, zur Jagd einladen kann ich sie nicht, da ich Junggeselle bin.“

„Und warum sind Durchlaucht denn noch immer Junggesell?“ fragte Stadinger in vorwurfsvollem Tone.

„Mensch, ich glaube, Du hast auch schon Heirathspläne für mich, wie meine aller – wie alle Welt, meine ich!“ rief Egon lachend. „Gieb Dir keine Mühe, ich heirathe nicht!“

„Das ist unrecht, Durchlaucht,“ belehrte Stadinger, der den Titel seines Herrn mindestens einmal in jedem Satze vorbrachte, weil das zum Respekt gehörte, während er zugleich seiner jungen Durchlaucht nach allen Regeln den Text las – „und unchristlich ist es auch, denn der Ehestand ist ein heiliger Stand, in dem man sich wohl befindet; Dero hochseliger Herr Vater haben auch geheirathet – und ich auch!“

„Natürlich, Du auch! Du bist sogar Großvater einer allerliebsten Enkelin, die Du schändlicherweise fortgeschickt hast. Wann kommt denn eigentlich die Zenz zurück?“

Der Schloßverwalter fand für gut, die letzte Frage zu überhören, aber er blieb hartnäckig bei seinem Thema.

„Ihre Hoheiten die Frau Herzogin und die Prinzessin Sophie sind auch dieser Meinung, Durchlaucht sollten sich die Sache doch überlegen.“

„Nun, da Du mich so väterlich ermahnst, werde ich sie mir überlegen. Was aber die Prinzessin Sophie betrifft – sie beabsichtigt nach Bucheneck zu fahren, wo das Stelldichein der heutigen Jagd ist, und da ist es möglich, daß sie Dich dort bemerkt und anredet.“

„Sehr möglich, Durchlaucht!“ bestätigte der Alte mit großem Selbstbewußtsein. „Hoheit beehren mich stets mit einer Anrede, da sie mich als ältesten Diener des fürstlichen Hauses kennen.“

„Gut, wenn die Prinzessin sich also zufällig nach den Schlangen und Raubthieren erkundigen sollte, die ich von der Reise mitgebracht habe, so sagst Du, sie wären bereits nach einem der anderen Schlösser geschickt worden.“

„Ist gar nicht nöthig, Durchlaucht!“ versicherte Stadinger wohlwollend. „Dero allergnädigste Tante weiß bereits genau Bescheid.“

„Bescheid? Worüber? Hast Du ihn vielleicht gegeben?“

„Zu Befehl; vorgestern, als ich in Fürstenstein war. Hoheit kamen gerade von einer Spazierfahrt zurück und geruhten, mich heranzuwinken und auszufragen, Hoheit thun das sehr gern.“

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