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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Verneigung des jungen Mannes, der an der Thür stehen geblieben war.

„Ich habe doch nicht gestört, Excellenz?“ fragte er. „Ich fürchte, Sie suchten hier die Einsamkeit, in die ich nun so plötzlich einbreche; aber es geschah ganz absichtslos.“

„Nicht doch, ich suchte nur auf einige Minuten Zuflucht vor der drückenden Hitze, die in den Sälen herrscht.“

„Derselbe Grund führte mich her, und da ich heut noch nicht die Ehre hatte, Sie zu begrüßen, Excellenz, so erlauben Sie mir wohl, dies jetzt zu thun.“

Die Worte klangen sehr förmlich. Rojanow war näher getreten, blieb aber in gemessener Entfernung stehen. Dennoch war ihm jenes Aufzucken bei seinem Eintritt nicht entgangen, es spielte ein seltsames Lächeln um seine Lippen, als er die Augen auf die junge Frau richtete.

Diese hatte eine Bewegung gemacht, als wolle sie sich erheben und gehen, aber sie schien sich noch rechtzeitig zu erinnern, daß ein solcher plötzlicher Aufbruch einer Flucht ähnlich sehen würde. Sie blieb an ihrem Platze und beugte sich über die Blumengruppe. Wie zerstreut pflückte sie eine der großen, purpurfarbenen Kamelien, während sie die Frage nach ihrem Befinden beantwortete, aber dabei trat wieder scharf und deutlich jener Zug starrer Willenskraft hervor wie in jenem Augenblick, wo sie mitten in der schäumenden Fluth des Waldbaches stand. Damals glitt sie ohne Besinnen in das fußtiefe Wasser, um eine Hilfe nicht annehmen zu müssen, die ihr geboten wurde, aber das war mitten in der Einsamkeit des Waldes gewesen. Hier, in dem herzoglichen Schlosse, das ein rauschendes Fest durchwogte, gab es keine solchen Hindernisse zu überwinden, aber der Mann mit dem dunklen, verzehrenden Blick stand ihr auch hier gegenüber und ließ das Auge nicht von ihrem Gesicht.

„Werden Sie noch längere Zeit in Rodeck bleiben, Herr Rojanow?“ fragte Adelheid in jenem gleichgültigen Tone, mit dem man in der Gesellschaft allgemeine Fragen und Bemerkungen austauscht.

„Vermuthlich noch einige Wochen. So lange der Herzog in Fürstenstein ist, wird Fürst Adelsberg kaum sein Jagdschloß verlassen. Später beabsichtige ich, ihn nach der Stadt zu begleiten.“

„Und dort werden wir Sie als Dichter kennen lernen?“

„Mich, Excellenz?“

„Ich hörte es wenigstens von dem Fürsten.“

„Das ist vorläufig nur Egons Idee,“ sagte Hartmut leichthin. „Er hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, meine ‚Arivana‘ auf der Bühne zu sehen.“

„Arivana? Ein seltsamer Titel!“

„Es ist ein orientalischer Name, aus einer indischen Sage, deren poetischer Zauber mich so mächtig gefangen nahm, daß ich der Versuchung nicht widerstand, ein Drama daraus zu schaffen.“

„Und die Heldin dieses Dramas heißt Arivana?“

„Nein, das ist nur der Name einer uralt geheiligten Stätte, an die sich jene Sage knüpft. Die Heldin heißt – Ada!“

Rojanow sprach den Namen halblaut, wie zögernd aus, aber es blitzte triumphiren auf in seinen Augen, denn jetzt sah er es wieder, jenes leise Zusammenbeben wie vorhin bei seinem Eintritt; langsam trat er einige Schritte näher, während er fortfuhr:

„Ich hörte den Namen zum ersten Male auf Indiens Boden und er hatte für mich einen fremdartig süßen Klang, den ich festhielt in meiner Sagengestalt – und nun erfahre ich hier, daß die Abkürzung eines deutschen Namens ganz ebenso lautet.“

„Des Namens Adelheid – ja! Ich wurde in meinem Vaterhause stets so genannt, aber es ist doch nichts besonders Merkwürdiges, daß dieselben Laute in verschiedenen Sprachen wiederkehren.“

Die Worte klangen abwehrend, aber die junge Frau hob das Auge nicht empor dabei, sie blickte unverwandt auf die Blume nieder, mit der ihre Hand spielte.

„Gewiß nicht,“ stimmte Hartmut bei. „Mir fiel es auch nur auf, überrascht hat es mich nicht, wiederholen sich doch auch die Sagen bei fast allen Völkern. Sie tragen ein mehr oder minder verschiedenes Gewand, aber was in ihnen lebt, die Leidenschaft, das Glück und Weh der Menschen, das ist überall das gleiche.“

Adelheid zuckte leicht die Achseln.

„Darüber mag ich mit einem Dichter nicht streiten, aber ich glaube denn doch, daß unsere deutschen Sagen ein anderes Antlitz haben, als die indischen Märchenträume.“

„Vielleicht, aber wenn Sie tiefer blicken, werden Sie in diesem Antlitz verwandte Züge entdecken. Auch die Arivana-Sage hat diese Züge, wenigstens in ihrer Hauptgestalt, dem jungen Priester, der sich mit Leib und Seele der Gottheit geschworen hat, dem lodernden, heiligen Feuer, und den nun die irdische Liebe ergreift mit all ihrer Gluth und Leidenschaft, bis sein Priestergelübde stirbt in dieser Flammengluth.“

Er stand ihr ruhig und ehrfurchtsvoll gegenüber, aber seine Stimme hatte einen seltsam verschleierten Klang, als berge sich hinter dieser Erzählung noch eine andere geheime Bedeutung.

Da plötzlich schlug die junge Frau die gesenkten Augen auf und heftete sie voll und ernst auf das Gesicht des Sprechenden.

„Und – das Ende?“

„Das Ende ist der Tod wie in den meisten Sagen! Der Bruch des Gelübdes wird entdeckt und die Schuldigen werden der beleidigten Gottheit geopfert – der Priester stirbt in den Flammen, mit dem Weibe, das er liebt!“

Es folgte eine sekundenlange Pause, dann erhob sich Adelheid mit einer raschen Bewegung; sie wollte offenbar das Gespräch abbrechen.

„Sie haben recht, die Sage hat etwas Verwandtes mit den unsrigen, und wäre es auch nur in der alten Lehre von Schuld und Sühne.“

„Schuld nennen Sie das, gnädige Frau?“ Hartmut ließ urplötzlich die förmliche Anrede „Excellenz“ fallen. „Nun ja, vor den Menschen ist es Schuld und sie strafen es ja auch mit dem Tode, ohne zu ahnen, daß eine solche Strafe zur Seligkeit werden kann. So in Feuersgluthen zu vergehen, wenn man das höchste irdische Glück genossen hat und dies Glück noch im Tode umfängt, das ist ein leuchtendes, göttliches Sterben, mehr werth als ein ganzes Leben voll dumpfer Alltäglichkeit. Da lodert das ewige unsterbliche Recht der Liebe als Flammenzeichen zum Himmel empor, allen Menschensatzungen zum Trotz – finden Sie ein solches Ende denn nicht beneidenswerth?“

Auf dem Gesicht der jungen Frau lag eine leichte Blässe, aber ihre Stimme klang fest, als sie erwiderte: „Nein! Beneidenswerth ist nur der Tod für eine hohe heilige Pflicht, das Opfer eines reinen Lebens. Eine Schuld kann man verzeihen, aber man bewundert sie nicht.“

Hartmut biß sich auf die Lippen und ein drohender Blitz zuckte aus seinen Augen über die weiße Gestalt hin, die so ernst und unnahbar vor ihm stand. Dann aber lächelte er.

„Ein harter Richterspruch, der auch mein Werk trifft, denn ich habe meine ganze Kraft an die Verklärung jenes Liebens und Sterbens gesetzt! Wenn die Welt ebenso urtheilt – ah, Sie erlauben, gnädige Frau!“

Er trat rasch zu dem Divan, wo sie gesessen hatte und wo mit ihrem Fächer auch die Kamelie liegen geblieben war.

„Ich danke,“ sagte Adelheid, die Hand danach ausstreckend, aber er reichte ihr nur den Fächer allein.

„Verzeihung – aber als ich meine ‚Arivana‘ dichtete, auf der Veranda eines kleinen indischen Hauses, da glühten und leuchteten diese Blüthen überall aus dem dunklen Laube und jetzt grüßen Sie mich hier, im kalten Norden. – Darf ich die Blume nicht behalten?“

Adelheid machte eine halb unwillige Bewegung.

„Nein, wozu?“

„Wozu? Als eine Erinnerung an das herbe Urtheil aus dem Munde einer Frau, die doch den holden Namen meiner Sagengestalt trägt. Sehen Sie, gnädige Frau, es blühen ja dort auch weiße Kamelien, zarte schneeige Blüthen, Sie haben unbewußt die rothe, die gluthfarbene gebrochen, und Dichter sind nun einmal abergläubisch. Lassen Sie mir die Blume als ein Zeichen, daß mein Werk trotz alledem noch Gnade finden wird vor Ihren Augen, wenn Sie es erst kennen. Sie ahnen nicht, wie viel mir daran liegt!“

„Herr Rojanow, ich –“ sie wollte augenscheinlich eine Ablehnung aussprechen, aber er fiel ihr ins Wort, in gedämpftem und doch leidenschaftlichem Tone fuhr er fort:

„Was ist Ihnen eine einzelne Blüthe, die Sie achtlos brechen und achtlos verwelken lassen? Mir aber – lassen Sie mir dies Zeichen, gnädige Frau, ich – ich bitte darum!“

Er stand dicht an ihrer Seite. Der Zauber, den einst schon der Knabe unbewußt ausübte, wenn er die Menschen „wehrlos“ machte mit seinem Schmeicheln, der Mann hatte ihn als eine Macht kennengelernt, die nie versagte und die er zu brauchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_214.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)