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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Frau von Eschenhagen hielt plötzlich inne und horchte nach der Thür.

„Da kommt Toni zurück, Deine verlobte Braut, der Du Dein Wort verpfändet hast, die Deinen Ring trägt – wie willst Du ihr jetzt gegenübertreten?“

Sie hatte endlich das rechte Mittel gefunden, der junge Majoratsherr zuckte zusammen bei dieser Mahnung und senkte stumm den Kopf, als Antonie ganz unbefangen eintrat.

„Du bist schon wieder da, Willy?“ fragte sie, „ich glaubte – aber was hast Du denn? Ist etwas vorgefallen?“

„Ja,“ sagte Regine, die wie gewöhnlich die Zügel ergriff, mit voller Bestimmtheit. „Wir haben soeben eine Mittheilung aus Burgsdorf erhalten, die uns zwingt, morgen früh abzureisen. Du brauchst nicht zu erschrecken, mein Kind, es ist nichts Gefährliches, nur eine Dummheit“ – sie legte einen scharfen Nachdruck auf das Wort – „eine Dummheit, die da angerichtet worden ist und die durch schnelles Eingreifen ebenso schnell beseitigt wird. Ich erzähle Dir das später ausführlich, einstweilen hilft es nichts, wir müssen fort.“

Die Neugier gehörte durchaus nicht zu den Fehlern Antoniens, und selbst diese ganz unerwartete Nachricht vermochte nicht, sie aus ihrer Gelassenheit zu bringen; die Erklärung, daß es sich um nichts Ernstes handelte, beruhigte sie vollkommen.

„Muß Willy denn auch mit abreisen?“ fragte sie ohne besondere Aufregung. „Kann er nicht wenigstens hier bleiben?“

„Nun, Willy, so antworte Deiner Braut doch!“ sagte Frau von Eschenhagen, die scharfen grauen Augen fest auf ihren Sohn richtend. „Du weißt es ja am besten, wie die Verhältnisse liegen, kannst Du es wirklich verantworten, wenn Du jetzt hier bleibst?“

Es folgte eine kurze Pause; Willibalds Blick begegnete dem seiner Mutter, dann wandte er sich ab und sagte mit halb unterdrückter Stimme:

„Nein, Toni, ich muß nach Haus – es geht nicht anders.“

Antonie nahm diese Nachricht, die eine andere Braut doch wohl geschmerzt hätte, mit sehr mäßigem Bedauern auf und begann sofort die Frage zu erörtern, wo die Reisenden denn morgen mittag essen würden, da der Schnellzug nirgends einen längeren Aufenthalt habe. Das bekümmerte sie fast ebenso sehr wie die Trennung, und sie kam endlich zu dem Ergebniß, daß es am besten sei, kalte Küche mitzunehmen und unterwegs zu speisen.

Frau von Eschenhagen triumphirte, als sie zu ihrem Schwager ging, um ihm die Abreise anzukündigen, für die sie bereits einen Vorwand gefunden hatte. Auf einem großen Gute konnte ja mancherlei vorfallen, was den Herrn unerwartet zurückrief, und der Oberforstmeister durfte natürlich die Wahrheit so wenig erfahren wie seine Tochter, obgleich er in seiner Verblendung das ganze Unheil verschuldet hatte. Uebrigens zweifelte Regine durchaus nicht daran, daß, sobald sie ihren Willy nur erst glücklich dem Bannkreise dieser „Hexerei“ entzogen habe, er wieder zur Vernunft kommen werde; er hatte das ja schon vorhin gezeigt. Sie wollte schlechterdings nicht einsehen, daß nur Willibalds Ehrenhaftigkeit seiner Braut gegenüber gesiegt hatte und daß es ein schwerer Mißgriff gewesen war, ihn über seine Gefühle für eine andere aufzuklären.

„Warte, mein Junge,“ murmelte sie ingrimmig. „Ich will Dich lehren, solche Geschichten anzufangen und Dich gegen Deine Mutter zu empören. Wenn ich Dich nur erst wieder in Burgsdorf habe, dann gnade Dir Gott!“




An dem festgesetzten Tage war der Herzog mit seiner Gemahlin und einem zahlreichen Gefolge in Fürstenstein eingetroffen und damit zog auch jenes glänzende, bewegte Leben ein, das sich in früheren Zeiten so oft in dem weiten, prachtvollen Jagdrevier des „Waldes“ entfaltet hatte.

Der jetzige Landesherr war allerdings kein leidenschaftlicher Jäger, und der alte Jagdsitz seiner Vorfahren hatte jahrelang vereinsamt gestanden oder war nur flüchtig aufgesucht worden. Jetzt aber, wo man einen wochenlangen Aufenthalt in Aussicht genommen hatte, bot das weitläufige Schloß nicht Raum für all die Gäste. Man mußte einen Theil derselben in dem nahen Waldhofen unterbringen, und das Städtchen befand sich wie die ganze Umgegend in festlicher, freudiger Aufregung. Die Besitzer der einzelnen benachbarten Schlösser und Landsitze, die wie Fürst Adelsberg meist den ersten Familien des Landes angehörten, wurden durch die Anwesenheit des Hofes veranlaßt, gleichfalls ihren Herbstaufenthalt hier zu nehmen, fast jeder hatte eine Anzahl von Jagdgästen mitgebracht, und so entwickelte sich in den sonst so stillen Waldbergen ein ungewohntes Leben und Treiben, dessen Mittelpunkt selbstverständlich Fürstenstein bildete.

Heute strahlte das Schloß im vollsten Lichtglanze, die sämmtlichen Fenster der oberen Stockwerke waren erleuchtet und im Hofe warfen die Pechfackeln ihr rothes Licht auf die altersgrauen Mauern und Thürme. Es war die erste größere Festlichkeit seit der Ankunft des fürstlichen Paares, zu welcher die sämmtlichen Gutsherren der Nachbarschaft, die höheren Beamten des Bezirkes und überhaupt alles geladen war, was auf Beachtung Anspruch machen konnte. Das durchweg im großen Stile angelegte Schloß verfügte auch über eine Anzahl stattlicher Festräume, die jetzt, im hellen Kerzenschein, mit ihrer alterthümlichen aber kostbaren Einrichtung und der zahlreichen Gesellschaft, die sich darin bewegte, einen äußerst glänzenden Eindruck machten.

Unter den gleichfalls zahlreich anwesenden Damen war die junge Gemahlin des preußischen Gesandten eine völlig neue Erscheinung. Die Trauer um den kurz nach ihrer Vermählung verstorbenen Vater hatte sie bisher von jeder Festlichkeit ferngehalten, sie trat heut zum ersten Male in diesen glänzenden Kreis, wo die Stellung ihres Gatten ihr einen bevorzugten Platz sicherte, und wurde auch von dem Herzog und seiner Gemahlin mit sichtbarer Auszeichnung behandelt.

Von seiten der Damen wurde freilich das Aufgehen dieses neuen Sternes mit einigem Mißvergnügen betrachtet. Man fand, daß Frau von Wallmoden in ihrer kühlen stolzen Ruhe sehr hochmüthig sei, und sie hätte doch am wenigsten Grund dazu. Man wüßte es ja, daß sie eine geborene Bürgerliche war, die von Rechts wegen gar nicht in diese Kreise gehörte, wenn der Reichthum ihres Vaters und dessen hervorragende Stellung in der Industrie seines Landes ihr auch einen gewissen Vorzug gaben. Trotzdem bewegte sie sich auf dem ihr völlig fremden Boden mit einer merkwürdigen Sicherheit, der Herr Gemahl mußte sie gut geschult haben für dies erste Auftreten.

Die Herren waren anderer Meinung: sie fanden, daß Seine Excellenz der Gesandte sein diplomatisches Talent am glänzendsten in eigener Sache bewährt hatte. Er, der schon an der Schwelle des Alters stand, hatte es gleichwohl verstanden, mit der Hand dieser jungen schönen Frau ein Vermögen zu erringen, welches, an sich schon bedeutend genug, durch das Gerücht ins Ungemessene vergrößert wurde. Das war ein Erfolg, um den man ihn allseitig beneidete. Wallmoden selbst schien keineswegs überrascht durch den Eindruck, den die Schönheit und das Auftreten seiner Gemahlin so sichtbar hervorbrachte, sondern nahm das als selbstverständlich hin. Er hatte es nicht anders erwartet, das Gegentheil würde ihn im höchsten Grade befremdet haben.

Augenblicklich stand er mit seinem Schwager, dem Oberforstmeister, in einer Fensternische und fragte, nachdem sie einige gleichgültige Bemerkungen über das Fest und die Gäste ausgetauscht hatten, wie beiläufig:

„Was ist denn das für eine Persönlichkeit, die Fürst Adelsberg eingeführt hat? Kennst Du sie?“

„Du meinst den jungen Rumänen?“ fragte Schönau. „Nein, ich sehe ihn heut zum ersten Male, habe aber allerdings schon von ihm gehört. Es ist der Busenfreund des Fürsten, den er auch auf seiner Orientreise begleitet hat, übrigens ein bildschöner Junge, das Feuer sprüht ihm nur so aus den Augen!“

„Auf mich macht er den Eindruck des Abenteuerlichen,“ bemerkte Wallmoden kalt. „Wie kommt er denn zu der Einladung? Ist er dem Herzoge vorgestellt?“

„Ja; so viel ich weiß, in Rodeck, als der Herzog neulich dort war; Fürst Adelsberg liebt es nun einmal, die Etikette möglichst über den Haufen zu werfen. Uebrigens bedeutet diese Einladung noch keine Einführung, heut ist ja alle Welt geladen.“

Der Gesandte zuckte die Achseln.

„Gleichviel, man sollte sich doch bedenken, solche Elemente, die nicht hinreichend beglaubigt sind, in seine Nähe zu ziehen.“

„Bei Euch Diplomaten muß alles gleich mit Brief und Siegel beglaubigt sein,“ lachte der Oberforstmeister. „Etwas Vornehmes hat dieser Rojanow entschieden und bei einem Ausländer nimmt man es überhaupt nicht so genau. Verdenken kann ich es den Herrschaften nicht, sie wollen auch einmal etwas anderes

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_170.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)