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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und jedenfalls zu dem Zweck, ihn wissen zu lassen, daß es einer langen Probezeit bedürfe.

Ja, der frühere Zustand der Ruhe kehrte zurück, und als der Winter auf die Neige ging und der Frühling anbrach, wurden auch die Feldarbeiten im ganzen Umfange wieder ausgenommen. Ueberall gab es ein Pflügen und Säen, und Lehnert war bei Beaufsichtigung der Arbeit oft bis halben Wegs nach Darlington oder auch, nach der andern Seite hin, bis an den Abhang der Berge hinaus. Auch Toby war mit Uncas viel draußen, um auf Hühner zu jagen, welche Form der Jagd der Alte, trotz grundsätzlicher Bedenken, gelten ließ, ja geradezu begünstigte, da zu seinen kleinen Schwächen auch die gehörte, den Freuden der Tafel nicht abgestorben und besonders in Bezug auf Bekassinen ein Feinschmecker zu sein.

Eine dieser Jagden auf Hühner hatte sich an einem schönen Märztage bis an eine fast schon zu Füßen von Fort O’Brien gelegene Sumpfstrecke gezogen, und Toby, gegen abend mit reicher Ausbeute heimkehrend, zeigte sich entzückt von dem landschaftlichen Anblick, den er kurz vor Beendigung seines Jagdausfluges von dem Wallgange des halbverfallenen Forts aus gehabt habe; der ganze Hügelabhang habe ihm den Anblick eines großen Blumengartens gewährt, viel, viel schöner als irgend etwas derart, was er je gesehen habe, denn in beinahe felderartigen Streifen sei die ganze Schrägung mit Frühlingsblumen überdeckt gewesen. Ruth, anfänglich ungläubig, war endlich doch von seiner Begeisterung mit hingerissen worden und hatte bei dem abschließenden Vorschläge, am andern Nachmittag eine Partie hinaus zu machen und auf der von Palissaden umstellten Bastion ein Picknick abzuhalten, ihre alte Dienerin Maruschka wie selig am Arm genommen und war mit ihr durch die Stube getanzt. Zugleich aber hatte sie sich vorsorglich erboten, den Vater nicht bloß zur Zustimmung, sondern selbst zur Theilnahme bewegen zu wollen, was ihr, wie sie wohl wußte, nicht schwer werden konnte, da sie seine Pläne kannte, das Fort von der Regierung zu kaufen und nach erfolgtem Ausbau zum Mittelpunkt eines neuen Vorwerks zu machen. Ein solcher Ausflug aber, so rechnete sie, würde ihm erwünschte Gelegenheit bieten, die ganze Sache mit unbefangenem Auge nochmals zu prüfen.

Und siehe da, Ruth hatte sich nicht verrechnet. Obadja war auf alles mit bemerkenswerther Freudigkeit eingegangen, und so ward denn die zweite Nachmittagsstunde des folgenden Tages für den Ausflug nach Fort O’Brien festgesetzt.

In zwei Wagen fuhr man hinaus und fand die mit den Eßvorräthen vorausgefahrenen Kaulbarse bereits am Eingang in die Bergschlucht vor, an einer geschützten Stelle, von der aus eine links einbiegende Steintreppe beinahe unmittelbar bis nach Fort O’Brien hinaufführte. Man begrüßte sich herzlich, und als man, oben angelangt, an ein Auspacken der seitens der Kaulbarse mitgebrachten Körbe ging, überzeugte man sich, daß dieselben in ausgiebigster Weise für das leibliche Wohl vorgesorgt hatten. Topf- und Blechkuchen, Mohnstrietzel und Marineladentöpfe stiegen in großen Mengen aus der Tiefe der beiden Körbe herauf.

„Aber nun ein Feuer,“ sagte Toby. „Wir können nicht die Verwegenheit haben, uns trocken durch diesen Kuchenberg hindurch essen zu wollen; daran würde selbst Maruschka scheitern. Also Kaffee, viel Kaffee, sonst sind wir verloren, und hier unter dieser Ahornplatane, die nicht bloß Schatten giebt, sondern auch warm und behaglich unterm Winde liegt, hier wollen wir das Feuer machen. Ich denke, wir holen uns alte Bretter aus dem Fort, das Jungholz hier herum ist noch zu naß, und wenn wir keine Bretter finden, nun, so brechen wir einen Pfahl heraus, sind ihrer ja die Menge vorhanden, und auf Vernichtung von Staatseigenthum werden wir wohl nicht verklagt werden.“

Und so sprechend, trat er an die mit spitzen Pfählen dicht umstellte Brüstung des alten Wallganges heran und versuchte mit aller Anstrengung, eine der Palissaden herauszuwuchten; Ruth wollte ihm behilflich sein und mühte sich, einen ziemlich großen Stein loszumachen, der dicht neben eben diesem Palissadenpfahl eingebettet lag. Ihre kleinen Hände waren aber zu schwach, und so sprang denn Lehnert herzu, um ihr bei dem Lockern des Steins nach Möglichkeit behilflich zu sein. Und es gelang auch. Aber im selben Augenblicke, wo der Stein sich löste, fuhr eine Kreuzotter darunter hervor, biß Ruth in das Handgelenk und war dann im Nu die Palissade hinab und in dem Blumengewirr verschwunden.

Mit einem Schrei sank Ruth in die Kniee und sagte mit unaussprechlich trauriger Stimme: „Nun muß ich sterben.“

Aber kaum daß sie diese Worte gesprochen hatte, warf sich Lehnert neben sie nieder, ergriff ihre Hand und sog mit leidenschaftlicher Gewalt und ehe sie’s hindern konnte, das Gift aus der Wunde.

Das Ganze war wie ein Blitz; Gefahr und Rettung nur ein Augenblick. Ruth aber verblieb in ihrer knieenden Stellung und sagte: „Nun stirbst Du.“

„Nein, Ruth, nein! Und wenn . .. Was liegt an mir?“


23.

Lehnert wurde tags darauf von einem heftigen Fieber befallen und alle fürchteten für sein Leben. Ruth und Maruschka waren in Thränen und L’Hermite wetterte durch das Haus hin und hielt Reden. Jeder klagte, selbst Martin Kaulbars, der freilich seiner glücklichen Beanlagung nach nicht umhin konnte, seiner Klage zugleich etwas von einer Anklage zu geben, „Das Gift auslutschen, sei der reine Unsinn und sollte bloß so was sein; ausbrennen, das sei das Richtige, das wisse jedes Kind, und das wäre auch für Miß Ruth das Beste gewesen und für den guten Schlesier auch. Nu wert’ er wohl dran glauben müssen. Und ob Miß Ruth durchkäme, das wär auch noch so so. Aber das käme davon, wenn man von nichts wisse und in allem zurück sei.“

Zum Glück kam es anders und alle Herzensnoth Ruths und alle Neunmalweisheit Martin Kaulbars’ erwiesen sich als ungerechtfertigt. Das Fieber, das Lehnert heimsuchte, hatte mit denn Gift nichts zu schaffen und war einfach eine Folge großer Aufregung und hinzugetretener Erkältung, so daß am dritten Tage schon der aus der Nachbarschaft von Fort Mac Culloch herbeigerufene Doktor Morrison die Versicherung einer vollständigen Genesung geben und selbstverständlich an dem Fest- und Freudenmahl, das Obadja denselben Abend noch veranstaltete, theilnehmen konnte.

Lehnert war sehr glücklich und empfing, als nun alle Sorgen abgethan waren, noch einmal die Danksagungen der Familie. Sein Glück wuchs aber noch, als am andern Morgen Obadja das Gebet sprach, worin es mit besonderer Betonung hieß, daß die Liebe der einzige Lohn für treues Dienen sei. Und gleich danach nahm der Alte die Bibel und las: „Und Jakob gewann die Rahel lieb und sprach: Ich will Dir sieben Jahre um Rahel dienen. Und Laban antwortete: Es ist besser, ich gehe sie Dir, denn einem andern. Also dienete Jakob um Rahel sieben Jahr und däuchten ihn, als wären es einzelne Tage, so lieb hatte er sie.“

Ruth erröthete. Denn ohne daß ein Wort zwischen ihr und Obadja gesprochen worden wäre, wußte sie doch Mir zu wohl, daß der Vater in ihrem Herzen gelesen hatte.

Ja, Lehnert war glücklich, und nur eines war es, was ihm fehlte: sich über sein Glück aussprechen zu können. Er fühlte, so widerstrebend er sich dies auch eingestand, noch kein Recht dazu, denn das Wort, das ihm Obadja verheißen hatte, war noch immer ungesprochen geblieben, und so hielt er es denn einfach für seine Pflicht, in Zurückhaltung und Schweigen zu verharren.

Vielleicht, daß er trotz dieses starken Gefühls von dem, was sich vorläufig einzig und allein für ihn zieme, sein Schweigen dennoch durchbrochen hätte, wenn ihm L’Hermite, sein treuer Gefährte, mit mehr Neugier entgegengekommen wäre. Dieser vermied es aber offenbar, irgend eine Frage zu thun, ja zeigte sich geradezu sorglich beflissen, einem Gespräch über Ruth und Lehnert und ihr Verhältniß zu einander aus dem Wege zu gehen. Lehnert zerbrach sich den Kopf darüber, und zu der Pein des Schweigenmüssens gesellte sich auch noch die Frage, warum L’Hermite seinerseits jede Frage vermeide. Von Neid oder Eifersüchtelei konnte keine Rede sein, das lag nicht in L’Hermites Charakter oder war etwas längst Ueberwundenes, und wenn dieser, wie ganz augenscheinlich, der Liebe seines Freundes Lehnert zu Ruth trotzdem nicht froh wurde, so mußte ’was anderes vorliegen. Das Unbehagen, das Lehnert über diese Wahrnehmung empfand, war so groß, daß er schließlich, allen entgegenstehenden Selbstgelöbnissen zum Trotz, doch den Entschluß faßte, sich bei nächster Gelegenheit Gewißheit darüber verschaffen zu wollen.

Diese Gelegenheit bot sich denn auch bald. Es war ein Musikabend gewesen und Ruth hatte Lehnerts und auch L’Hermites Wunsch nachgegeben und ganz zum Schlusse noch einmal das Lied vorgetragen, das sie während der Septemberfesttage so schön und für Lehnert so entscheidungsvoll gesungen hatte. Dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_155.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)