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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Robert, der es trotz seiner anscheinenden Uebellaune nicht erwarten konnte, bis man „losging“, wie er sich ausdrückte, beschwor inzwischen die Mutter um Verhaltensmaßregeln für seine Schwestern.



Dieselben sollten sich verpflichten, auf dem Maskenball sich gar nicht um ihn zu kümmern, namentlich nicht Minchen. „Das kenne ich!“ setzte der Jüngling düster hinzu, „die fürchtet sich dann und schämt sich, und dann küßt sie mich! Da gehe ich sofort nach Hause! Wenn sie nicht verspricht, daß sie mich gar nicht anrührt, gehe ich nicht mit!“

Minchen mußte denn einen körperlichen Eid schwören, sich jeder geschwisterlichen Zärtlichkeit streng zu enthalten, widrigenfalls sie von den Freuden der Geselligkeit ausgeschlossen werden würde. Und Tony? Tony war bereits in ihr keckes Hanswurstkostüm gehüllt, die Mutter gab ihr Anweisungen, daß sie ganz wohl, ohne der Schicklichkeit ins Antlitz zu schlagen, die Festgenossen mit der Pritsche etwas klopfen dürfe – da wurde Tony plötzlich von furchtbarer, jäher Angst vor dem Maskenball, vor dem ersten Ausflug in die Welt ohne Mutter und Kinderfrau befallen – sie erbleichte, erklärte schluchzend, sie habe Leibweh, und kroch als weinender, menschenscheuer Hanswurst mit allen Kleidern ins Bett, wo sie bei jedem Versuch, sie zu den Ballfreuden zu bereden, laut heulte, so daß der Mutter schließlich nichts anderes übrig blieb, als sie von dem Besuch des Maskenfestes zu entbinden.



Denn ein in Thränen schwimmender Hanswurst hätte doch einen zu wenig charakteristischen Eindruck gemacht!

Etwas niedergeschlagen über diesen Zwischenfall zogen denn nun die beiden Großen ab und traten zur Minute - bei Kindern gilt zu spät kommen noch nicht für fein! - in den Saal.

Ein Versuch Minchens, ihren Bruder in diesem bangsamen Augenblick an der Hand zu führen, war von diesem als Vertragsbruch durch einen tüchtigen Puff geahndet worden, und so standen denn die Kinder, etwa zwanzig an der Zahl, sich stumm und bekniffen gegenüber, während die kleinen Wirthe, selbst etwas scheu, zwischen ihren Gästen herumgingen und jeden derselben durch die Frage: „Als was bist Du denn?“ in tödliche Verlegenheit setzten, da keiner sich selbst zu charakterisiren wünschte.

Die Eleganz der Masken war übrigens durchschnittlich dieselbe; nur einige etwas größere Mädchen waren zierlicher gekleidet, und unter diesen zeichnete sich eines, ein etwa dreizehnjähriges Fräulein, durch allerliebste Rokokotracht, gepuderte Perücke und ein frisches, niedliches Gesichtchen aus, das unser Robert, trotz seiner allgemeinen Weiberscheu, einen tiefen Eindruck machte, so daß er die kleine Altfranzösin mit seinen Augen auf Schritt und Tritt verfolgte und innerlich beständig die Frage erwog, ob er wohl mit ihr tanzen dürfte, – ein Zweig der Ausbildung, der bei ihm bisher auf der äußerst kindlichen Stufe möglichst lauten Trappens mit beiden Stiefeln zugleich stand.

Die Chokolade, diese Krone jedes Kinderfestes, war eben gebracht worden, und die Masken nahmen gesittet an einem langen Tisch Platz, wobei die von der Herrin des Hauses mit Rücksicht auf die Schonung der Toilette angebotenen und vertheilten Servietten sich bei den verschiedenen Zerlinen, Räubern und Spanierinnen etwas grotesk ausnahmen.

Nachdem das Mahl in schweigender Förmlichkeit eingenommen worden war – die heitere Konversation pflegt bei Kindern stets erst nach dem Essen zu beginnen! – wurde im andern Zimmer eine Polonaise gespielt, und die Knaben wurden freundlich aufgefordert, sich je eine Dame zu wählen – eine Zumuthung, die unserem Robert wenigstens den Angstschweiß austrieb, da alle solche Entschlüsse jedem Jungen zwischen acht bis fünfzehn Jahren entsetzlich sind.

Er hielt sich denn auch scheu und verlegen zurück, sah seine reizende Rokokodame mit einem großen, als Fischer verkleideten Obertertianer – der noch dazu im Latein Vorletzter war! – abschweben und erlebte selbst das Furchtbare, daß er den richtigen Augenblick ganz versäumte und von der Wirthin zu seiner eigenen Schwester geführt wurde, die ebenfalls sitzen geblieben war, und mit der er nun, wie ich vermuthe, beiden nicht zum Hochgenuß, zähneknirschend Polonaise tanzen mußte – ein bitterer Hohn auf seine Absicht, sich gar nicht um die Geschwister zu bekümmern.

Als dieser Tanz überstanden war und eine muntere Polka die kleine Gesellschaft durcheinander wirbelte, brach allgemeine Heiterkeit los.

Ein kleiner, etwa vierjähriger Junge, der als Nonne verkleidet

war, vergaß ganz seiner weiblichen und geistlichen Würde und schlug unverdrossen Purzelbäume. Ein spanischer Grande und ein Konditor, die sich als erbitterte Klassenfeinde schon lange nach einer Gelegenheit sehnten, ihren Gefühlen Luft zu machen, prügelten sich mit wahrer Wonne in einer Ecke sattsam durch, und nur ein armer, kleiner Gnom in braunem Futterkattun vergoß Thränen, da sein angeklebter Flachsbart ihm durchschnittlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_125.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)