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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Begleiterin sich gar nicht weiter um ihn kümmerte, bis sie nach etwa zehn Minuten an der niedrigen Pforte eines Gartens standen.

Die junge Dame beugte sich über die Staketen des Pförtchens und schob einen von innen angebrachten Holzriegel zurück, dann wandte sie sich um.

„Ich danke, mein Herr! Bike, geben Sie mir jetzt mein Gepäck!“

Das Köfferchen war trotz seines geringent Umfanges doch ziemlich schwer, viel zu schwer für die kleinen Hände, die danach griffen. Willibald bekam plötzlich einen Anfall von Ritterlichkeit, die sonst gar nicht seine Sache war, und erklärte, er werde den Koffer bis in das Haus tragen, was mit einem kurzen gnädigen Kopfnicken angenommen wurde. Sie schritten durch den kleinen, aber sehr sorgfältig gepflegten Garten bis zu einem alten einfachen Hause und traten durch die Hinterthür in den dämmerig kühlen Hausflur, wo ihr Erscheinen sofort bemerkt wurde. Eine alte Magd stürzte eiligst aus der Küche herbei.

„Fräulein! Fräulein Marietta! Sie kommen heute schon? Ach, welche Freude wird –“

Sie kam nicht weiter, denn Marietta flog auf sie zu und drückte ihr die Hand auf den Mund.

„Still doch, Babette! Sprich leise, es soll ja eine Ueberraschung sein! Ist der Großpapa zu Haus?“

„Jawohl, der Herr Dokor ist im Studierzimmer. Wollen Sie hineingehen, Fräulein?“

„Nein, ich schleiche mich in das Wohnzimmer, setze mich ganz leise an das Klavier und singe ihm sein Lieblingslied. Vorsichtig, Babette, daß er uns nicht hört!“

Sie huschte leicht und lautlos wie eine Elfe nach der andern Seite des Hauses und öffnete die Thür eines zu ebener Erde gelegenen Zimmers; Babette, die in der Ueberraschung und Freude über die Ankunft ihres Fräuleins gar nicht bemerkte, daß noch jemand in dem halbdunklen Hausflur stand, folgte ihr. Die Thür blieb weit offen, man hörte, wie vorsichtig ein Deckel zurückgeklappt und ein Stuhl gerückt wurde, dann begann ein leises Präludiren, dünne, zitternde Klänge, die offenbar einem alten, ehrwürdigen Spinett entlockt wurden, aber es klang wie Harfenton, und nun erhob sich eine Stimme, hell und süß wie Lerchengesang und jubelnd wie dieser.

Das dauerte freilich nur wenige Minuten, dann wurde hastig die gegenüberliegende Thür aufgerissen und ein alter Mann mit weißen Haaren erschien auf der Schwelle.

„Marietta! Meine Marietta, bist Du es wirklich?“

„Großpapa!“ klang es jubelnd zurück, der Gesang brach plötzlich ab und Marietta hing an des Großvaters Halse.

„Du böses Kind, wie Du mich erschreckt hast!“ schalt er zärtlich. „Ich erwartete Dich ja erst übermorgen und wollte Dir bis zur Bahnstation entgegenkommen, da höre ich plötzlich Deine Stimme im Wohnzimmer, ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu dürfen.“

Das junge Mädchen lachte fröhlich auf wie ein ausgelassenes Kind.

„Ja, die Ueberraschung ist gelungen; gelt, Großpapa? Ich bin ja eigens deswegen den Gartenweg gefahren und richtig mit dem Wagen im Sumpfe stecken geblieben. Ich kam zur Hinterthür herein und – was willst Du denn, Babette?“

„Fräulein, der Kofferträger ist noch da,“ sagte die alte Magd, die jetzt erst den Fremden bemerkt hatte, „soll ich ihm ein Trinkgeld geben?“

Der junge Majoratsherr stand noch immer da mit dem Koffer in der Hand, jetzt aber wandte sich auch Doktor Volkmar um und rief erschrocken.

„Mein Gott – Herr von Eschenhagen!“

„Kennst Du den Herrn?“ fragte Marietta, ohne besondere Verwunderung, denn ihr Großvater kannte ja in seiner Eigenschaft als Arzt ganz Waldhofen und dessen Nachbarschaft.

„Allerdings! Aber Babette, so nimm dem Herrn doch den Koffer ab! Ich bitte um Entschuldigung, ich wußte nicht, daß Sie schon mit meiner Enkelin bekannt seien.“

„Nein, wir kennen uns nicht im mindesten,“ sagte das junge Mädchen, „willst Du mir den Herrn nicht vorstellen, Großpapa?“

„Gewiß, mein Kind – Herr Willibald von Eschenhagen auf Burgsdorf –“

„Tonis Bräutigam!“ fiel Marietta fröhlich ein. „O, wie komisch, daß wir uns so kennen lernen mußten, mitten im Sumpfe! Wenn ich das gewußt hätte, dann würde ich Sie nicht so schlecht behandelt haben, Herr von Eschenhagen. Ich ließ Sie ja wie einen wirklichen Kofferträger immer hinter mir drein laufen! Aber weshalb sagten Sie denn nicht ein Wort?“

Willibald sagte auch jetzt nichts, sondern blickte stumm auf die kleine Hand, die sich ihm vertraulich entgegenstreckte. Da er doch aber fühlte, daß er irgend etwas thun oder sagen müsse, so ergriff er das rosige Händchen und drückte und schüttelte es kräftiglich mit seiner Hünenfaust.

„Au!“ rief die junge Dame, indem sie entsetzt zurückwich. „Sie haben ja einen fürchterlichen Händedruck, Herr von Eschenhagen! Ich glaube, Sie haben mir die Finger zerbrochen.“

Willibald wurde dunkelroth vor Verlegenheit und stotterte eine Entschuldigung. Glücklicherweise mischte sich aber jetzt der Doktor ein und bat ihn, näher zu treten.

(Fortsetzung folgt.)




Ungedruckte Briefe Fritz Reuters.


II.

Unerschöpflich ist Reuter in immer neuen humoristischen Wendungen, und ob nun die häuslichen Ereignisse, die Landwirthschaft, die Nachbarn ihm die Stoffe geben, immer weiß er ihnen eine originelle Seite abzugewinnen. In dem nachfolgenden dritten Briefe bietet ihm die Schreibweise der ländlichen Arbeiter, in deren Briefen das „und daß wir noch recht gesund sind“ oft in komischer Weise sich wiederholt, Gelegenheit zu scherzhafter Nachahmung.

 „Thalberg, den 19. Oktober 1849.

Lieber Fritz!

Damit ich es nicht wieder vergesse: Großmutter läßt grüßen und daß wir noch recht gesund sind und daß heute die Waade[1] nach Schmiedenfelde geschickt ist und wir noch keine Krämpfe in den Waaden haben und noch recht gesund sind; daß die Cholera in Treptow angefangen hat aufzuhören und daß sie auch da noch recht gesund sind und daß Adam und seine Frau hier gestern gewesen sind und sich ersterer wieder sehr unreinlich aufgeführt hat[2] mit Erbrechen und das andere, so daß seine Frau ihm hat das Maul verbieten müssen; wo ich dann durch allerlei Fragen ihn immer wieder aufstachelte, in seinen schmutzigen Expektorationen fortzufahren, und Mutting[3] anstiftete, einen großen Teller voll Obst auf den Tisch zu setzen, damit die Frau Eva mit allerlei verbotenen Gelüsten geplagt wurde, was mir auch prächtig gelang; und daß ich viel Obst aß und noch recht gesund bin. Auch daß die Kinder alle noch recht gesund sind. Auch die Tagelöhner mit Weibern und Kindern. H.[4] hat sein Erntefest gegeben, außer mir und Piper[5] war keiner geladen; überhaupt ist H. sehr gnädig gegen mich. Zum Geburtstage desselben kommen alle seine Verwandten, aber keiner aus der Umgegend wird gebeten werden; auch wird ihr Erscheinen nicht gewünscht; er denkt, wie er sich ausdrückt, später eine Herrengesellschaft en form zu geben. – Die Kartoffeln sind gestern herausgekommen und hereingekommen. Ueber unser Haus ist ein großer Frieden und eine heilige Ruhe gekommen; alles geht still und feierlich bei uns zu; Mutting hat mir dies erklärt, sie meinte: weil Henriette[6] gesetzt worden ist, d. h. auf einen Stuhl als Schneiderin, und weil ‚dei Ketelflicke von Mariek Strutzen ut’n Hus is‘. Unsere Hanne hat’s nicht mehr da, wo sie’s sonst hatte, sondern nun auf den Augen; sie behauptet, ein Fell auf denselben zu haben, was sehr traurig wäre, nicht sowohl für sie, sondern auch für die Welt, weil durch so ein Fell ebenso wenig von außen hinein als von innen

  1. Schleppnetz zum Fischen.
  2. Der Hausarzt Adam drückte sich nach Art mancher Mediziner über menschliche Zustände und Gebrechen etwas offen aus, was seiner jungen Frau oft peinlich wurde.
  3. Peters’ Schwiegermutter.
  4. Nachbar auf Tetzleben, der sich als wohlhabender Gutsbesitzer Reuter gegenüber etwas aufgeblasen zu benehmen pflegte und deswegen oft von ihm verspottet wurde.
  5. Pfarrer in Tetzleben.
  6. Die Wirtschafterin.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_109.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)