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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

der Thür. Willy nahm das de- und wehmüthig hin, denn er war selbst ganz erschrocken über seinen unzeitigen Schlummer, aber er konnte doch nicht dafür, daß er so müde und die Musik so langweilig war. Ganz zerknirscht trat er in das Nebenzimmer, wo seine Braut, doch etwas gekränkt, am Fenster stand.

„Liebe Toni, sei mir nicht böse,“ begann er stockend. „Es war so heiß und Dein schönes Spiel hatte etwas so Beruhigendes –“

Toni wandte sich um. Es war ihr doch neu, daß der Janitscharenmarsch, zumal in ihrer Vortragsweise, beruhigend wirke, als sie aber die zerknirschte Miene des Bräutigams sah, der wie ein armer Sünder dastand, siegte ihre Gutmüthigkeit und sie streckte ihm die Hand hin.

„Nein, ich bin Dir nicht böse, Willy,“ sagte sie herzlich. „Ich mache mir ja auch nichts aus der dummen Musik. Wir wollen etwas Gescheiteres anfangen, wenn wir in Burgsdorf sind.“

„Ja, das wollen wir!“ rief Willibald, freudig die dargebotene Hand drückend, denn bis zu einem Handkusse hatte er sich noch nie verstiegen. „Du bist so gut, Toni!“

Als Frau von Eschenhagen bald darauf eintrat, fand sie das Brautpaar in vollster Eintracht und in ein äußerst lehrreiches Gespräch über die Milchwirthschaft vertieft, die in Süddeutschland etwas anders betrieben wurde als in Burgsdorf. Das war ein Thema, bei dem Willy nicht einschlief, und seine Mutter beglückwünschte sich im stillen zu dieser vortrefflichen Schwiegertochter, die so gar keine unbequeme Empfindlichkeit zeigte.

Uebrigens fand der junge Majoratsherr sofort Gelegenheit, sich für die bewiesene Nachsicht dankbar zu zeigen. Toni klagte, daß eine Sendung, die sie bestellt hatte und für den Abendtisch nothwendig brauchte, nicht in ihre Hände gelangt sei. Sie war auf der Post in Waldhofen rechtzeitig eingetroffen, aber wie es schien, mit einer falschen Adresse. Man hatte sie dem Boten nicht ausgehändigt, dieser war inzwischen von dem Oberforstmeister anderswohin geschickt worden und von den anderen Leuten augenblicklich niemand verfügbar, während doch die Zeit drängte. Willibald erbot sich daher, die Sache persönlich in Ordnung zu bringen, und das Anerbieten schien seiner Braut sehr willkommen zu sein.

Waldhofen war die bedeutendste Ortschaft in der Umgegend, trotzdem aber nur ein kleines Städtchen. Es lag etwa eine halbe Stunde von Fürstenstein entfernt und bildete eine Art Mittelpunkt für die überall zerstreuten Dörfer und Weiler des „Waldes“.

Während der Nachmittagsstunden, in denen sich kein Mensch auf der Straße befand, sah es recht öde und langweilig aus, das fand auch Herr von Eschenhagen, der über den Marktplatz schlenderte, wo sich die Post befand.

Er hatte die Angelegenheit, welche ihn nach Waldhofen geführt hatte, bereits erledigt und auch einen Boten gefunden, der die Kiste nach dem Schlosse trug. Da die Straßen des stillen kleinen Ortes aber nichts Interessantes boten, so bog er in einen Heckengang ein, der hinten an den Gärten der Häuser entlang geradeswegs auf die Landstraße führte. Der Weg war zwar etwas sumpfig und der gestrige anhaltende Regen hatte ihn stellenweise ganz grundlos gemacht, aber Willibald fragte als Landmann nicht viel nach solchen Dingen, sondern schritt unbekümmert vorwärts.

Er befand sich in einer äußerst behaglichen Stimmung; es war doch ein angenehmes Gefühl, Bräutigam zu sein, und er zweifelte durchaus nicht daran, daß er mit seiner guten Toni eine sehr glückliche Ehe führen werde.

Da kam ihm ein Wagen entgegen, der sich nur mühsam durch den sumpfigen Boden arbeitete und offenbar Reisende brachte, denn zwischen den Hinterrädern war ein großer Koffer festgeschnallt und das Innere schien auch noch verschiedenes Reisegepäck zu bergen. Willibald konnte nicht umhin, sich zu wundern, daß man gerade diesen Heckenweg benutzte, der in seinem jetzigen Zustande für ein Fuhrwerk äußerst beschwerlich war, statt in die Straßen einzubiegen, und der Kutscher schien gleichfalls sehr unzufrieden damit zu sein. Er hatte sich umgewendet und verhandelte mit den Reisenden, die vorläufig nicht sichtbar waren.

„Jetzt geht es aber wirklich nicht weiter, Fräulein. Ich habe es ja vorher gesagt, wir kommen hier nicht durch, die Räder bleiben im Schlamme stecken – jetzt haben wir die Bescherung!“

„Es ist ja nicht mehr weit,“ ließ sich eine helle Stimme aus dem Inneren des Wagens vernehmen. „Nur noch einige hundert Schritte, versuchen Sie es doch!“

„Was nicht geht, das geht nicht!“ versetzte der Kutscher mit philosophischer Ruhe. „Durch den Sumpf da vorn kommen wir nicht, wir müssen umkehren.“

„Ich will aber nicht durch die Stadt fahren.“ Die helle Stimme hatte einen ganz entschiedenen Anflug von Trotz. „Wenn es durchaus nicht weiter geht, so halten Sie, ich werde aussteigen.“

Der Kutscher hielt, der Schlag wurde geöffnet, und eine leichte, zierliche Gestalt sprang aus dem Wagen. so geschickt, daß sie mit einem Satze über den Schlamm hinweg eine höher gelegene trockene Stelle erreichte. Dort blieb sie stehen und blickte prüfend um sich. Da aber der Weg gerade hier eine Biegung machte, ließ er sich nur zum kleinsten Theile übersehen.

Die junge Dame schien das sehr mißfällig zu bemerken; da fiel ihr Blick auf Herrn von Eschenhagen, der von der anderen Seite kam und eben die Biegung erreicht hatte.

„Bitte, mein Herr, ist der Weg zu begehen?“ rief sie ihm zu.

Er antwortete nicht sogleich, denn er war noch ganz starr vor Verwunderung über den ebenso gewagten als graziösen Sprung. Das flog ja wie eine Feder durch die Luft und stand doch fest und sicher auf den Füßen.

„Hören Sie denn nicht?“ wiederholte das Fräulein ungeduldig. „Ich frage, ob der Weg gangbar ist.“

„Ja – ich bin ihn gegangen,“ sagte Willibald, etwas aus der Fassung gebracht durch die sehr diktatorisch klingende Frage.

„Das sehe ich, aber ich habe keine Wasserstiefel wie Sie und kann nicht mitten durch den Sumpf waten. Ist es möglich, da an den Hecken entlang zu kommen? Mein Gott, so antworten Sie doch!“

„Ich – ich glaube wohl, drüben ist es etwas trockener.“

„Nun, dann will ich es wagen. Kehren Sie um, Kutscher, und geben Sie mein Gepäck auf der Post am Markte ab, ich werde es abholen lassen! Halt! Den kleinen Handkoffer da nehme ich mit, reichen Sie ihn mir herüber!“

„Aber der Koffer ist zu schwer für Sie, Fräulein,“ wandte der Kutscher ein, „und ich kann die Pferde nicht allein lassen.“

„Nun, dann trägt ihn mir der Herr dort! Es ist ja nicht weit bis zu unserem Garten. Bitte, mein Herr, nehmen Sie den Koffer, den kleinen da auf dem Rücksitz, mit dem schwarzen Lederüberzuge – so beeilen Sie sich doch!“

Der kleine Fuß trat ungeduldig auf den Boden, denn der junge Majoratsherr stand mit offenem Munde da. Er begriff es weder, daß eine Wildfremde so ohne weiteres über ihn verfügte, noch daß ein so junges Mädchen in dieser Weise befahl und kommandirte; bei den letzten sehr ungnädig klingenden Worten aber kam er schleunigst herbei und nahm den bezeichneten Koffer, was das Fräulein ganz selbstverständlich zu finden schien.

„So!“ sagte sie kurz. „Also, Sie fahren nach der Post, Kutscher, und nun hinein in die Sümpfe von Waldhofen!“

Sie nahm das graue Reisekleid auf und schritt dicht an den Hecken hin, wo der Weg etwas höher und trockener war. Willibald, von dem gar keine Notiz genommen wurde, trottete mit dem Koffer hinterher. Er hatte noch nie etwas so Zierliches gesehen wie diese schlanke, leichte Gestalt, die ihm kaum bis zur Schulter reichte, und er beschäftigte sich angelegentlich damit, diese Gestalt zu betrachten, da er sonst nichts zu thun hatte.

Das junge Mädchen hatte etwas ungemein Anmuthiges und Graziöses in den Bewegungen, wie in der ganzen Erscheinung, aber das Köpfchen mit dem krausen dunklen Haar, das sich unter dem Hute hervordrängte, wurde mit unverkennbarem Selbstbewußtsein getragen. Das Gesicht war ziemlich unregelmäßig in seinen Formen, aber allerliebst mit den schelmischen dunklen Augen und dem kleinen rosigen Munde, um den ein Zug von Trotz lag, und die beiden Grübchen im Kinn machten es vollends reizend. Der graue Reiseanzug war trotz seiner Einfachheit doch äußerst geschmackvoll und trug allen Anforderungen der Mode Rechnung – zu den biederen Kleinstädtern von Waldhofen gehörte die junge Reisende offenbar nicht.

Der Weg zeigte sich jenseit der Biegung wirklich etwas trockener, doch mußte man fortgesetzt den schmalen Wall benutzen, auf dem die Hecken standen, und bisweilen über nasse Stellen hinwegspringen. Dabei ließ sich nun allerdings keine Unterhaltung führen und Willy dachte auch nicht daran, sie einzuleiten, er trug geduldig seinen Koffer und nahm es ebenso geduldig hin, daß seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_108.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)