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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„So laß Dir die Sache doch erst erklären,“ beschwichtigte der Oberforstmeister. „Ich habe Dir ja schon gesagt, daß es sich hier um einen Ausnahmefall handelt. Marietta Volkmar ist die Enkelin unseres alten, braven Doktors in Waldhofen. Er hatte das Unglück, seinen Sohn in der Blüthe des Lebens zu verlieren, die junge Witwe folgte ihrem Manne schon im nächsten Jahre, und das Kind, die kleine Waise, kam zu dem Großvater. Das war gerade, als ich vor zehn Jahren nach Fürstenstein versetzt wurde. Doktor Volkmar wurde mein Hausarzt, seine Enkelin die Spielgefährtin meiner Kinder, und weil es mit der Schule in Waldhofen sehr schwach bestellt war, bot ich ihm an, die Kleine an dem Unterricht meiner Kinder theilnehmen zu lassen. Daher schreibt sich diese Jugendfreundschaft. Später, als Toni noch auf zwei Jahre in die Pension und Marietta zu ihrer musikalischen Ausbildung in die Stadt kam, hörte der tägliche Verkehr natürlich auf, aber Marietta besucht uns regelmäßig, wenn sie in den Ferien zu ihrem Großvater kommt, und ich sehe nicht ein, weshalb ich das verbieten soll, so lange das Mädchen brav und ordentlich bleibt.“

Frau von Eschenhagen hatte der Auseinandersetzung zugehört, ohne ihre strenge Richtermiene fahren zu lassen, und jetzt lachte sie spöttisch auf.

„Brav und ordentlich beim Theater! Man weiß ja, wie es da zugeht; aber Du scheinst das ebenso leicht zu nehmen wie dieser Doktor Volkmar, der so ehrwürdig aussieht mit seinen weißen Haaren und es zuläßt, daß seine Enkelin, daß eine junge, ihm anvertraute Seele den Weg des Verderbens wandelt.“

Herr von Schönau machte eine ungeduldige Bewegung.

„Regine, Du bist sonst eine vernünftige Frau, aber in diesem Punkte hast Du nie Vernunft annehmen wollen. Das Theater und alles, was dazu gehört, war bei Dir von jeher in Acht und Bann gethan. Dem Doktor ist der Entschluß nicht leicht geworden, das weiß ich, und wenn man wie wir im warmen Neste sitzt und seine Kinder reichlich versorgen kann, soll man nicht so ohne weiteres den Stab brechen über andere Eltern, die sich mit bitteren Sorgen herumschlagen. Volkmar plagt sich mit seinen siebzig Jahren noch Tag und Nacht, aber die Praxis bringt ihm wenig ein, denn unsere Gegend ist arm, und nach seinem Tode bleibt Marietta ganz mittellos zurück.

„So hätte er sie Erzieherin oder Gesellschafterin werden lassen sollen, das ist ein anständiges Brot.“

„Aber ein Brot, daß Gott erbarm! Man weiß es ja, wie die armen Dinger behandelt und ausgenutzt werden. Wenn ich ein Kind, das mir ans Herz gewachsen ist, dem Lose preisgeben soll, und es wird mir dann von allen Seiten gesagt, daß das Mädchen Gold in der Kehle hat und eine glänzende Zukunft ihr gewiß ist, dann lasse ich sie auch zur Bühne gehen, darauf verlaß Dich.“

Dies Geständniß schlug dem Fasse den Boden aus. Frau Regine stand einen Augenblick ganz starr vor Schrecken, dann sagte sie feierlich:

„Moritz – mich schaudert’s vor Dir!“

„Meinetwegen! Wenn es Dir Vergnügen macht, so laß Dich’s schaudern! Aber wenn Marietta wie sonst nach Fürstenstein kommt, so werde ich sie nicht zurückweisen, und ich habe auch nichts dagegen, wenn Toni zu ihr nach Waldhofen geht. Punktum!“

Herr von Schönau schrie gleichfalls ziemlich laut, denn seine Tochter schlug jetzt auf die Tasten, daß die Fensterscheiben klirrten und die Saiten des Flügels in ernstliche Gefahr geriethen. Der Oberforstmeister beachtete das freilich in der Hitze des Streites so wenig wie seine Schwägerin, die jetzt mit voller Schärfe erwiderte:

„Nun, dann ist es wenigstens ein Glück, daß Toni bald heirathet. Dann hat diese Freundschaft mit der Theaterprinzessin ein Ende, darauf gebe ich Dir mein Wort. In unserem ehrbaren Burgsdorf werden solche Gäste nicht geduldet, und Willy wird seiner Frau auch den Briefwechsel nicht gestatten, der jetzt in voller Blüthe zu stehen scheint.“

„Das heißt, Du wirst ihn nicht gestatten,“ spottete der Oberforstmeister. „Willy hat ja überhaupt nichts zu verbieten oder zu erlauben, der ist nur der gehorsame Diener seiner Frau Mama. Es ist eigentlich unverantwortlich, wie Du den Jungen, der doch nun Bräutigam ist und bald Ehemann werden soll, noch immer unter der Fuchtel hast.“

Frau von Eschenhagen richtete sich beleidigt auf.

„Ich glaube, ich bin mir meiner Verantwortlichkeit mehr bewußt als Du. Willst Du mir vielleicht einen Vorwurf daraus machen, daß ich meinen Sohn in kindlicher Ehrfurcht und Liebe erzogen habe?“

„Ach was, es giebt einen Punkt, wo die Liebe aufhört und das Maltraitiren anfängt! Du hast den Willy schon ganz dumm gemacht mit Deiner ewigen Bevormundung, nicht einmal den Heirathsantrag durfte er auf eigene Hand machen. Als Dir die Geschichte zu lange dauerte, fuhrst Du wie gewöhnlich dazwischen. ‚Wozu denn die Umstände, Kinder? Ihr sollt Euch haben und wollt Euch haben, die Eltern sind einverstanden, meinen Segen habt Ihr, also gebt Euch einen Kuß, dann ist die Geschichte abgemacht!‘ Das ist Dein Standpunkt. Ich habe auch kindliche Ehrfurcht vor meinen Eltern gehegt, wenn sie mir aber bei meiner Brautwerbung so dazwischen gekommen wären, dann hätten sie etwas sehr Unkindliches zu hören bekommen. Und der Junge, der Willy, nahm das ganz ruhig hin; ich glaube, er war noch obendrein froh, daß er seiner Braut keine Erklärung zu machen brauchte.“

Die Erregung der beiden war wieder bis zum Siedepunkte gestiegen und es war ein Glück, daß der musikalische Lärm drinnen sich jetzt so steigerte, daß man sein eigenes Wort nicht mehr hören konnte. Fräulein Antonie hatte wenigstens Kraft in den Händen und schien dies für die Hauptsache zu halten, ihr Spiel klang genau so, als ob ein Regiment Soldaten zur Attacke stürmte. Jetzt wurde es auch ihrem Vater zu arg, er brach plötzlich das Gespräch ab und trat in das Zimmer.

„Nun, Toni, Du brauchst den neuen Flügel nicht gerade entzweizuschlagen,“ sagte er ärgerlich. „Was spielst Du denn da eigentlich?“

Toni saß am Flügel und arbeitete im Schweiße ihres Angesichtes; nicht weit von ihr, auf einem kleinen Sofa, saß ihr Bräutigam, den Kopf auf den Arm gestützt und die Augen mit der Hand beschattend, anscheinend ganz versunken in die Musik. Bei der Frage ihres Vaters wandte die junge Dame sich um und sagte in dem gewohnten schläfrigen Tone:

„Ich spiele den ‚Janitscharenmarsch‘, Papa. Ich dachte, es würde Willy Vergnügen machen, da er auch Soldat gewesen ist.“

„So? Er hat aber zufällig bei den Dragonern gestanden,“ brummte Schönau und trat zu seinem künftigen Schwiegersohn, der die zarte Aufmerksamkeit seiner Braut doch nicht recht zu würdigen schien, denn er gab kein Zeichen des Beifalls.

„Willy, was sagst Du denn dazu? – Willy, hörst Du nicht? – Ich glaube wahrhaftig, er ist eingeschlafen!“

Die Voraussetzung erwies sich leider als richtig. Willy war, während der Janitscharenmarsch über die Tasten donnerte, süß und sanft entschlummert und schlief so fest, daß er auch jetzt nicht erwachte. Das schien selbst seiner Mutter zu stark, die gleichfalls eingetreten war; sie ergriff ihn derb am Arme.

„Aber Willy, was soll denn das heißen? Schämst Du Dich denn gar nicht?“

Der junge Majoratsherr, von allen Seiten geschüttelt und gescholten, wachte jetzt endlich auf und blickte schlaftrunken um sich.

„Was – was soll ich? Ja, es war sehr schön, liebe Toni.“

„Das glaube ich!“ rief der Oberforstmeister mit einem zornigen Auflachen. „Gieb Dir keine Mühe weiter mit Deinem Spiel, mein Kind. Komm, wir wollen Deinen Herrn Bräutigam ruhig ausschlafen lassen. Aber gute Nerven hat er, das muß man sagen!“

Damit nahm er den Arm seiner Tochter und verließ mit ihr das Zimmer, wo sich nun der ganze mütterliche Zorn über den armen Willibald ergoß. Frau von Eschenhagen, schon gereizt durch das vorhergehende Gespräch, schonte ihren Sohn durchaus nicht, aber sie rechtfertigte dabei nur zu sehr die Vorwürfe ihres Schwagers, sie schalt den Bräutigam und baldigen Ehemann aus wie einen Schulknaben.

„Das übersteigt denn doch alle Begriffe!“ schloß sie in voller Entrüstung. „Dein seliger Vater war auch nicht sehr für das Courmachen; wenn er mir aber zwei Tage nach der Verlobung eingeschlafen wäre, während ich ihn mit meinem Klavierspiel unterhielt, dann hätte ich ihn sehr unsanft geweckt. Jetzt gehst Du augenblicklich zu Deiner Braut und entschuldigst Dich bei ihr, sie hat ganz recht, wenn sie sich gekränkt fühlt.“

Damit ergriff sie ihn bei den Schultern und schob ihn nach

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