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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Dort ist Fürstenstein!“ sagte Hartmut, indem er sich zum erstenmal wieder an seine Begleiterin wandte. „Es ist freilich noch etwa eine halbe Stunde entfernt.“

„O, das macht nichts aus,“ unterbrach sie ihn rasch. „Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Führung; aber der Weg ist ja jetzt nicht mehr zu verfehlen, und da möchte ich Sie nicht weiter bemühen.“

„Wie Sie befehlen, mein gnädiges Fräulein,“ sagte Rojanow kalt. „Wenn Sie Ihrem Führer hier den Abschied ertheilen wollen, so wird er sich Ihnen nicht ferner aufdrängen.“

Der Vorwurf wurde verstanden, die junge Dame mochte es wohl selbst fühlen, daß ein Mann, der sie stundenlang durch den Wald geführt hatte, doch wohl eine andere Verabschiedung beanspruchen konnte, wenn sie es auch für nöthig fand, ihn in gemessener Entfernung zu halten.

„Ich habe Sie wirklich schon allzu lange in Anspruch genommen,“ entgegnete sie einlenkend. „Aber da Sie sich mir vorgestellt haben, Herr Rojanow, so muß ich Ihnen zum Abschiede wohl auch meinen Namen nennen – Adelheid von Wallmoden.“

Hartmut zuckte leise zusammen und eine fliegende Röthe färbte sein Antlitz, während er langsam wiederholte:

„Wallmoden?“

„Ist Ihnen der Name bekannt?“

„Ich glaube ihn früher einmal gehört zu haben; aber das war in – in Norddeutschland.“

„Sehr wahrscheinlich, denn das ist meine und meines Gatten Heimath.“

In Rojanows Zügen malte sich unverkennbare Ueberraschung, als das vermeintliche junge Mädchen sich ihm als Frau zu erkennen gab, aber er verneigte sich mit aller Artigkeit.

„Dann bitte ich um Verzeihung, gnädige Frau, wegen der fälschlichen Anrede. Ich konnte nicht ahnen, daß Sie vermählt seien; jedenfalls habe ich nicht die Ehre, Ihren Herrn Gemahl auch nur dem Namen nach zu kennen, denn der Herr, der mir damals genannt wurde, stand schon in vorgerückten Jahren. Er gehörte der Diplomatie an und hieß, wenn ich nicht irre, Herbert von Wallmoden.“

„Ganz recht, mein Gemahl ist gegenwärtig als Gesandter an dem hiesigen Hofe beglaubigt. Doch er wird schon in Sorge sein wegen meines Ausbleibens, ich darf nicht länger säumen. Noch einmal meinen Dank, Herr Rojanow!“ Damit neigte die junge Frau flüchtig grüßend das Haupt und schlug den abwärts führenden Weg ein.

Hartmut stand unbeweglich und sah ihr nach; aber es lag eine fahle Blässe auf seinem Antlitz. Also doch. Er hatte kaum den Fuß auf deutschen Boden gesetzt, da begegnete ihm schon ein Name und eine Beziehung aus alter Zeit, die ihm mindestens peinlich war.

Herbert von Wallmoden, der Bruder der Frau von Eschenhagen, der Vormund Willibalds und der Jugendfreund – Rojanow brach jäh und plötzlich ab in der Gedankenreihe, denn es senkte sich wie ein scharfer, schmerzender Stachel in seine Brust. Als wollte er etwas von sich werfen, so richtete er sich empor, und wieder zuckte der herbe, verletzende Spott um seine Lippen, der ihm so meisterhaft zu Gebote stand.

„Er hat wenigstens Carriere gemacht, der Onkel Wallmoden,“ murmelte er halblaut, „und Glück scheint er auch gehabt zu haben. Er muß längst schon graue Haare tragen und erobert damit noch eine junge schöne Frau. Freilich, ein Gesandter ist unter allen Umständen eine Partie, und Adelheid von Wallmoden ist zur Excellenz geboren. Also daher die kühle Vornehmheit, die es gar nicht der Mühe werth hält, sich zu anderen Sterblichen herabzulassen! Vermuthlich die diplomatische Schule des Herrn Gemahls, der seine Auserwählte eigens für diese Stellung erzogen hat! Nun, das ist ihm ja trefflich gelungen!“

Seine Augen folgten noch immer der jungen Frau, die bereits am Fuß der Anhöhe war, aber jetzt grub sich eine tiefe Falte in seine Stirn.

„Wenn ich hier irgendwo mit Wallmoden zusammentreffe, und das wird vielleicht nicht zu vermeiden sein, so erkennt er mich zweifellos. Wenn er ihr dann die Wahrheit mittheilt, wenn sie erfährt, was geschehen ist, und mich wieder anschaut mit diesem Verachtungsblick“ – er stampfte in wild ausbrechender Wuth mit dem Fuße und lachte dann bitter auf.

„Pah, was kümmert das mich! Was weiß dies blonde, blauäugige Geschlecht mit dem trägen, kalten Blute von dem glühenden Freiheitsdrange, von dem Sturm der Leidenschaften, vom Leben überhaupt! Mögen sie den Stab über mich brechen! Ich scheue diese Begegnung nicht – ich werde ihr stand zu halten wissen.“

Und mit stolzem Trotze den Kopf zurückwerfend, wandte er der schlanken Frauengestalt, die noch auf dem Fahrwege sichtbar war, den Rücken und schritt wieder in den Wald hinein.




Im Hause des Oberforstmeisters hatte sich das geplante Familienfest, zu dem Wallmoden und seine Gattin eigens eingetroffen waren, die Verlobung des Majoratsherrn von Burgsdorf mit Antonie von Schönau, programmmäßig vollzogen.

Das junge Paar wußte ja längst, daß es für einander bestimmt war, und war auch vollkommen einverstanden damit. Willibald huldigte als guter Sohn noch immer der Ansicht, daß die Wahl seiner künftigen Lebenshrgährtin einzig Sache seiner Mutter sei, und hatte geduldig gewartet, bis sie es für gut fand, ihn zu verloben; aber es war ihm doch sehr angenehm, daß er gerade Bäschen Toni heirathen sollte. Er kannte sie seit seinen Kinderjahren, sie paßte so vortrefflich zu ihm in all ihren Neigungen und, was die Hauptsache war, sie machte gar keine Ansprüche an die Romantik einer Verlobung, die er beim besten Willen nicht hätte befriedigen können. Toni ihrerseits bewies wirklich den Geschmack, den Frau Regine ihr zutraute. Willy gefiel ihr recht gut, und die Aussicht, Herrin auf dem stattlichen Burgsdorf zu werden, gefiel ihr noch besser – kurz, es war alles vollkommen in Ordnung.

Das Brautpaar befand sich augenblicklich im Empfangszimmer, wo der Flügel stand, und Antonie unterhielt ihren Verlobten mit ihrem Klavierspiel, auf Veranlassung des Vaters, denn sie selbst hielt die Musik für eine sehr langweilige und überflüssige Sache. Aber der Oberforstmeister hatte darauf bestanden, seine Tochter solle zeigen, daß sie nicht nur wirthschaftlich erzogen sei, sondern auch in der Pension etwas gelernt habe. Er ging mit seiner Schwägerin draußen auf der kleinen Terrasse auf und nieder, ursprünglich mit der Absicht zuzuhören; statt dessen zankten sie sich aber, obgleich sie von einem ganz friedlichen Gespräch über das Glück ihrer Kinder ausgegangen waren, und diesmal schien der Streit sehr heftiger Natur zu sein.

„Ich weiß wirklich nicht, was ich von Dir denken soll, Moritz,“ sagte Frau von Eschenhagen mit hochrothem Gesicht. „Du scheinst gar keine Empfindung für das unerhört Unpassende dieser Bekanntschaft zu haben. Wie ich Dich frage, wer denn diese Jugendfreundin Tonis, die in Waldhofen erwartet wird, eigentlich ist, giebst Du mir mit der ruhigsten Miene zur Antwort, sie sei Sängerin und seit kurzem am Hoftheater angestellt! Eine Komödiantin! Eine Theaterprinzessin! Eins von jenen leichtsinnigen Geschöpfen –“

„Aber Regine, so ereifere Dich doch nicht so!“ unterbrach sie der Oberforstmeister ärgerlich. „Du thust ja, als ob das arme Ding schan mit Haut und Haar verloren wäre, weil es auf der Bühne aufgetreten ist!“

„Das ist sie auch!“ eiferte Regine. „Wer einmal in dies Sodom und Gomorrha gerathen ist, der ist nicht mehr zu retten, der geht zu Grunde darin.“

„Recht schmeichelhaft für unser Hoftheater!“ meinte Schönau trocken. „Uebrigens gehen wir doch allesammt hinein.“

„Als Zuschauer! Das ist etwas anderes, und ich bin überhaupt immer dagegen gewesen. Willy hat nur sehr selten in das Theater gehen dürfen und nur in meiner Begleitung, und während ich meine Mutterpflicht in gewissenhafter Weise erfülle, meinen Sohn behüte vor jeder Berührung mit solchen Kreisen, giebst Du seine künftige Frau ihrem vergiftenden Einflusse preis. Es ist himmelschreiend!“

Sie erhob die Stimme sehr laut, theils aus Entrüstung, zum Theil aber auch, um sich verständlich zu machen, denn die musikalische Produktion in dem Zimmer, dessen Glasthüren weit offen standen, war etwas lärmender Natur. Die junge Dame hatte einen ziemlich harten Anschlag und ihre Vortragsweise erinnerte einigermaßen an die Arbeit einer Axt in hartem Holze. Ihre Zuhörer hatten zwar alle drei starke Nerven, aber ein leises Gespräch wurde dabei doch zur Unmöglichkeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_106.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)