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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Korallenstöcke, auf denen allerlei Krabben munter umherklettern. Sie sind zwar keine Edelkorallen, aber schön und beachtenswerth; sie sind mit dem Vermögen, zu leuchten, ausgestattet, und die einen schimmern in weißem, die andern in blauem oder violettem Lichte. Es leuchten dabei die Thierchen, die aus dem Korallenstocke hervorknospen, und es muß einen eigenartigen, feenhaften Anblick gewähren, wenn die farbigen Flämmchen an den Stämmchen und den Aesten der Stöcke auf und nieder zucken.

Dicht daneben sehen wir andere Vertreter der Pflanzenthiere; es sind Schwämme und zwar die an der Oberfläche so überaus seltenen Glas- oder Kieselschwämme. Wir haben schon von ihrer Bedeutung gesprochen. Sie gehören zu den „schönen“ Gebilden der Tiefsee, denn sie sehen aus, als ob sie aus Glasfäden gewoben wären, und einige von ihnen tragen den Namen „Euplectella“ d. h. „Schöngewobene“, oder „Venusblumenkörbe“. In den fernen Meeren von Japan und China werden sie öfters gefischt und bildeten noch vor wenigen Jahren eine große Seltenheit, heute kann man diese Blumenkörbe der schaumgeborenen Göttin schon für wenige Mark erstehen und sie in einem Glaskasten als Salonschmuck aufstellen. Auf unserm Bilde schauen aus den Höhlungen der Schwämme kleine Krebse hervor; das entspricht der Wahrheit, denn die Schwämme sind Krystallpaläste der Tiefsee, in denen sich junge Krebse gern niederlassen, in denen sie wohnen, oft so lange, bis sie zu groß werden, um durch die Oeffnungen wieder herauszuschlüpfen, und in den Schwämmen auch ihre kunstvollen Grabeskammern finden.

Auch ein Wiesenschmuck fehlt nicht diesen schlammigen Gefilden. Hier wachsen dicht aneinander jene Formen der Stachelhäuter, die unter dem Namen der „Seelilien“ bekannt sind; sie haben ein birnenförmiges Aussehen und sind bunt gefärbt, wie die Blumen auf sonnigen Fluren, purpurroth, gelb, weiß und auch grasgrün. Daneben ruhen ihre nahen Verwandten, die Seesterne, die ihr Licht leuchten lassen. Den Preis der Schönheit verdient unter ihnen die Brisinga, die schon Anfang der fünfziger Jahre von dem norwegischen Dichter Asbjörnsen in dem herrlichen Hardangerfjord gefischt wurde; der wunderbar schön geformte Stern leuchtet so herrlich, daß Asbjörnsen ihn Brisinga nannte, nach dem Brustschmucke der Göttin Freya, den Loki stahl und in der Tiefe des Meeres verbarg. (Die Brisinga elegans ist auf unserer Abbildung S. 81 rechts unten gezeichnet.)

Werfen wir noch einen Blick auf diese Haine, Wiesen und Krystallpaläste! Die Korallen und die Schwämme zeichnen sich durch eine große Regelmäßigkeit und Rundung der Formen aus, wie sie sonst an der Meeresoberfläche selten vorkommen. Sie gleichen den Bäumen eines stillen geschützten Thales, während die anderen, wie die Tannen und Föhren auf den Bergeshöhen von Sturmwinden, von der Brandung und den heftigen Strömungen der See gebeugt und gekrümmt werden. Denn die entfesselte Wuth der Elemente tobt nicht in der Tiefsee, der Aufruhr der Wogen, der die Schiffe verschlingt, dringt nicht in diese Abgründe; langsam, fast unmerklich vollzieht sich hier der Kreislauf der oceanischen Gewässer von den eiskalten Polen zum sonnenwarmen Aeguator. Aber Friede herrscht nimmer in diesen stillen Räumen; Krieg ist auch hier die Losung wie überall auf Erden, wo lebende Wesen ums Dasein ringen!

Foraminiferen oder Kammerlinge.
1. Gromia oviformis. 2. Globigerina balloides. 3–7. Verschiedene andere Kammerlinge.

In fortwährenden Kämpfen muß sich jenes Krebsgeschlecht herangebildet haben, dessen Vertreter uns in dem Lithodes ferox entgegentritt. Leib, Beine, Scheeren sind mit Stacheln besetzt; er ist schier unangreifbar; selbst todte Exemplare muß man mit großer Vorsicht anfassen, wenn man sich nicht stechen will. Die Krabben, die gepanzerten Ritter des Meeres, zeichnen sich durch Rauflust aus, und da muß unter ihnen der Lithodes ferox ein furchtbarer Feind sein. Im Kampfe ums Dasein haben die Thiere der Tiefsee ihre Ausrüstung der Umgebung angepaßt. In dem Dunkel, das nur in bestimmten Fällen vom phosphorescierenden Glanze der Bewohner erhellt wird, schwindet die Bedeutung des Auges und der Tastsinn gewinnt an Zuverlässigkeit. Darum verkümmert bei vielen Tiefseethieren das Auge und die Tastwerkzeuge entwickeln sich in überraschender Größe. Die langen Scheeren fallen schon bei vielen Krebsarten auf, der Pachygaster formosus (auf der Abbildung Seite 81) ist damit ausgerüstet; als echtes Tiefseethier erweist sich aber der über dem letzteren schwebende Nematocarcinus gracilipes, dessen Beine eine ungeheure Länge erreichen. Mit ihnen kann der „Schlankfüßige“ einen weiten Raum in seiner Nähe durchforschen, den Feind wittern oder Beute erspähen. Wir bemerken unter den Gestalten unsrer Abbildung noch eine Krabbenspinne. Man nennt diese Geschöpfe auch Pantopoden, d. h. Ganzbeine, da sie anscheinend nur aus Beinen bestehen und der übrige Körper nur ein winziges Stückchen bildet. Es sind Thiere, die „ihren Magen in der Hosentasche tragen“, denn ein Theil ihres Darmapparates pflanzt sich in den Beinen fort.

Die Krabbenspinnen der Oberfläche sind klein, in der Tiefsee aber erreichen sie riesenhafte Größen. Die von uns abgebildete Colossendeis arcuata stammt aus einer Tiefe von 820 Faden uttd ist schon recht ansehnlich; an der Westküste von Nordamerika hat man in 500 bis 1500 Faden Tiefe eine Colossendeis colossea gefunden, deren Beine 1/3 m lang sind, während der eigentliche Körper nur wenige Millimeter breit ist.

Von den Tiefseekrebsen gelangen manche lebend an die Oberfläche. Sie stürzen alsdann verwundert aus ihren Krystallpalästen, den Glasschwämmen, hervor, rollen ihre rothen Augen und flüchten wieder in das Innere ihrer Behausung zurück. Der Tod ist für sie sicher eine Erlösung; denn welche Qual muß ihnen der jähe Uebergang aus den finstern stillen Tiefen zu der Oberfläche, dem blendenden Glanz der Sonne, dem betäubenden Lärm der Oberwelt, bereiten! Einige von diesen Krebsen sind auch mit dem Vermögen zu leuchten ausgestattet, und die französischen Forscher berichten von einer Art, die in einem Glase den Leuchtstoff von sich warf, ein förmliches Bombardement mit Leuchtkugeln eröffnete.

Derselben Art sind auch die Veränderungen, welche wir bei den Fischen der Tiefe beobachten.

Auch bei einigen von ihnen tritt der Stab der Blinden, der Tastsinn, in sein Recht. Da ist zunächst der Bathypterois longipes, ein Langbein, der mit seinen fühlerartigen Fortsätzen an den Flossen und hinter dem Kopfe die Nachbarschaft sondirt. Diese Tastwerkzeuge sind noch feiner bei dem Eustomias obscurus, dem dunklen aalartigen Wesen oben links S. 81, ausgebildet, an den Enden derselben ist ein Fühlapparat sichtbar. Das sind alles wunderbar feine Organe, die sich nur in den stillen Gewässern der Tiefsee entwickeln können, im bewegten Wasser beim Wellenschlag würde sie das Thier bald verlieren.

Aus der Klasse der Leuchtfische führen wir unseren Lesern zwei Vertreter vor: den Stomias boa mit Leuchtorganen am Bauch und den Malacosteus niger, der an den Kopfseiten je zwei Leuchtflecke besitzt, von denen der eine in goldigem, der andere in grünlichem Lichte strahlt. Es scheint, daß der letztere mit seinen Laternen wie eine Lokomotive die Bahn, die er durchmißt, beleuchten kann.

Abenteuerliche Fischgestalten treten uns in dem Eurypharynx pelecanoides und dem Melanocetus Johnstoni entgegen. Bei dem ersteren bildet der Rachen den Haupttheil des Körpers, der letztere hat dagegen am Schlunde eine sackartige Ausbuchtung, in welcher er die in glücklichen Tagen erhaschte Beute aufbewahren kann, um in Zeiten der Noth nicht fasten zu müssen. –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_083.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)