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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Dringt das Sonnenlicht noch in die tiefsten Abgründe oder herrscht dort ewige Finsterniß? Man hatte zunächst versucht, die Durchsichtigkeit des Meerwassers dadurch zu prüfen, daß man weiße oder gefärbte Platten in die Tiefe versenkte, bis sie dem Auge entschwanden. Für die Beantwortung unserer Frage sind diese Versuche von sehr geringem Belang. Wichtiger schon ist die Zuhilfenahme der Photographie. Der schweizer Forscher Forel hat zuerst diese Methode angewandt, indem er zur Nachtzeit Platten in den Genfer See versenkte und sie zur Nachtzeit wieder heraufholte. Er fand dabei, daß im Sommer schon in der Tiefe von 45 m und im Winter bei 100 m das Licht so schwach war, daß es gar keine Wirkung auf die photographischen Platten ausübte. Auf seine Anregung wurden derartige Beobachtungen auch im Mittelländischen Meere bei Nizza und Villafranca angestellt, Fol und Sarasin fanden dabei, daß in 260 bis 280 m Tiefe die Platten noch deutlich geschwärzt waren, bei 380 m war die Schwärzung kaum wahrnehmbar, die Lichtwirkung schwächer noch als in einer sternhellen, mondscheinlosen Nacht. Bei 405 bis 420 m zeigte sich nicht die geringste Spur der Lichtwirkung mehr. Zuletzt hat der Ingenieur der deutschen zoologischen Station in Neapel von Petersen einen sinnreichen Apparat hergestellt, der solche photographische Lichtmessungen auf offener See in beliebiger Tiefe ermöglicht, und mit diesem wurde auf der Höhe von Capri an einem sonnenhellen Novembertage noch in einer Tiefe von 500 bis 550 m nach halbstündiger Exposition eine deutliche Schwärzung der Platten gefunden.

Eine Korkscheibe vor und nach der Wirkung des Tiefseedrucks.

Noch aus anderen Beobachtungen können wir auf die Verbreitung des Lichtes im Meere schließen. Das Leben der meisten Pflanzen ist an das Licht gebunden. Je tiefer wir aber in das Meer hinabsteigen, desto geringer wird der Pflanzenwuchs, bis endlich auch die schattenliebenden Algen verschwinden, unsere Scharrnetze nur Thiere an die Oberfläche bringen. Die „Challenger“-Expedition hatte unter 385 m keine Pflanzen gefunden; und abgesehen von parasitischen Pilzen, die sich ohne Licht entwickeln können, dürften im allgemeinen selbst in durchsichtigen Meeren unter 250 m keine Pflanzen mehr vorkommen.

Alle diese Thatsachen sprechen dafür, daß das Sonnenlicht das Meer in seiner ganzen Tiefe nicht durchleuchten kann, daß es einige hundert Meter mehr oder weniger unter der Oberfläche endlich eine Grenze geben muß, wo der Unterschied zwischen Tag und Nacht aufhört und eine völlige Finsterniß beginnt. Einige Forscher behaupten zwar, daß selbst in der Tiefsee am hellen Tage noch eine Dämmerung herrsche, welche dem Sternenschimmer gleich sei, oder daß grüne Strahlen das Meerwasser durchdringen können und ein wenn auch sehr schwaches grünes Licht die Tiefsee erhelle; aber diese Behauptungen sind wenig wahrscheinlich. Und doch leben dort neben blinden auch Thiere, die gut entwickelte Augen besitzen, was uns wieder zu der Annahme nöthigt, daß es in ihrem Wohngebiet Licht geben muß.

Tiefseefisch nach seiner Verbringung an die Oberfläche.

Das Meer hat nun sein eigenartiges Licht: das Meeresleuchten. Zahllose seiner Geschöpfe sind mit der Eigenschaft des Phosphoreszierens ausgestattet, und jeder Seemann kennt diese Erscheinung.

Das Meer leuchtet nicht nur in den Tropen, sondern auch im hohen Norden, nicht nur an der Oberfläche, sondern auch in seinen Tiefen, und die Stärke dieses Lichtes darf nicht unterschätzt werden. Nach Wyville Thomson, dem berühmten englischen Zoologen, leuchtete einmal während einer Fahrt von den Kapverdischen Inseln nach Südamerika das Meer so stark, daß der Glanz der strahlenden südlichen Sterne verdunkelt wurde und man an Bord die kleinste Schrift lesen konnte. Milne-Edwards berichtet dagegen, daß während der „Talisman“-Expedition das Schleppnetz einmal eine Menge von Tiefseekorallen heraufbrachte, die gleichfalls so stark leuchteten, daß man in der Nacht an Bord lesen konnte. Es ist darum nicht unmöglich, daß diese phosphoreszierenden Thiere die dunkeln Abgründe der Tiefsee erleuchten, und gewiß sehr anziehend, die untersten Räume des Krystallpalastes des Meergottes „künstlich beleuchtet“ und die phosphoreszierenden Tiefseethiere als Laternenträger sich zu denken; aber wir wissen so wenig von dem Wesen und Zweck dieser Erscheinung, daß auch in dieser Hinsicht nur Vermuthungen aufgestellt werden können.

Wir stehen hier erst am Anfang der Forschung und wissen nicht einmal, wie sich die Thiere des Meeres gegen das Licht verhalten, ob sie es fliehen oder von ihm angezogen werden, und ob dementsprechend die Eigenschaft zu leuchten dem Besitzer Nutzen oder Schaden bringt. Die erste Frage, die wir uns gestellt haben, ist noch nicht beantwortet; es muß noch mehr Licht in die Lichtverhältnisse der Meere gebracht werden.

Viel besser sind die Temperaturverhältnisse des Meeres erforscht. Das salzhaltige Seewasser wird von der Kälte anders beeinflußt als das Süßwasser unserer Flüsse und Seen. Der Gefrierpunkt des salzigen Meerwassers liegt nicht bei 0°, sondern je nach dem Salzgehalt mehr oder weniger tief unter demselben. Im Durchschnitt gefriert das Meerwasser im bewegten Zustande bei –2,55° C, im ruhenden aber bei –3,17° C. In der That findet man an der Oberfläche der Polarmeere Wassertemperaturen von –3° C, während in der Nähe des Aequators dasselbe bis zu +32° C, wie im Rothen Meere, erwärmt wird, also die Temperatur eines lauwarmen Bades erreicht. In den Tiefen der Oceane giebt es derartige große Wärmeunterschiede nicht. Die Temperatur des Wassers sinkt rasch, je mehr man sich dem Boden nähert, und der größten Bodenkälte an den Polen –3° C steht als die höchste Temperatur die von +2° C gegenüber.

So ist die Tiefsee nicht nur finster, sondern auch kalt. Es giebt nur wenige Ausnahmen von dieser Regel. Die unterseeischen Gebirgszüge, von denen wir im ersten Artikel sprachen, üben auf die Vertheilung der Bodentemperatur einen wichtigen Einfluß aus. Werfen wir noch einmal einen Blick auf das Tiefenkärtchen des Atlantischen Oceans!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_079.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)