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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

den Berlinern entfremdet, aber festen Schrittes ging sie ihren Weg; sie vertraute darauf, daß sie ihres Volkes Herz gewinnen würde, und sie gewann es.

Am 18. Oktober 1861 setzte König Wilhelm in Königsberg die alte Preußenkrone auf das Haupt seiner Gemahlin, und auf einem Feste, das die Stadt dem neugekrönten Fürstenpaare gab, ward ein Lied gesungen, dessen Strophen in ihren Anfangsbuchstaben die Namen Wilhelm und Augusta bildeten. Die zweite Strophe lautete:

„Auch neig’ Du, Königin,
Unserem treuen Sinn
Gnädig Dich zu!
Und an des Königs Hand
Sei Mutter Deinem Land,
Thronend in Volkes Lieb
Augusta Du!“

Dieser Wunsch ist reich in Erfüllung gegangen. Ihre volle Kraft setzte die Königin an die Aufgabe, ihrem Lande eine rechte Mutter zu sein, und sie konnte dies bald beweisen, als im Januar 1864 der fünfzigjährige Friede, dessen Preußen sich zu erfreuen gehabt hatte, zum erstenmal wieder durch Krieg und Kriegsgeschrei unterbrochen wurde. Wohl blühten Preußens Lorbeeren aufs neue, aber der Lorbeer wächst nur unter Blut und Thränen, und sie zu stillen, das war die vornehmste Sorge der Königin.

Zwar zeigte sich gleich beim Ausbruch des Krieges die Barmherzigkeit in allen Schichten der Gesellschaft; aber es fehlte die einheitliche organisirende Leitung, die Stellung zur Armee war keine klare, so daß allerlei Unzuträglichkeiten sich ergaben. Die Königin hatte das erkannt, sie einte durch die Stiftung des preußischen Centralkomitees die verschiedenen Vereine und trat an die Spitze der gesammten deutschen Krankenpflege, in den Dienst des Rothen Kreuzes der Genfer Konvention, das jetzt mit einem Male von allen Lazarethen, von allen Arbeitsstuben der Barmherzigkeit wehte. Das wiederholte sich, mit stetigen Verbesserungen, in den entscheidungsreichen Sommertagen des Jahres 1866. In diesem Kriege erwies sich von neuem die hohe Bedeutung einer richtig geleiteten freiwilligen Krankenpflege.

Wie das Reich alle Zeit gerüstet sein muß, einem Angriff von außen zu begegnen, so muß auch die Liebe gerüstet sein für den Tag, da die Wunden und Kranken ihrer Hilfe begehren. Das war der Gedanke der Königin, und ihre Pläne gewannen Gestalt zuerst durch die Stiftung des „Vaterländischen Frauenvereins“ unmittelbar nach dem Kriege von 1866. Der Zweck dieses Vereins war, in Friedenszeiten sich bereit zu machen auf den Krieg, im Kriege ergänzend neben den militärischen Organen für Krankenpflege und neben den Männervereinen zu arbeiten, aber auch im Frieden bei schwerem Landesunglück helfend einzutreten. Dabei mußte in erster Linie die freiwillige Krankenpflege herangezogen werden. Auf den Antrieb der Königin ging man an die Bildung und Schulung von Krankenpflegerinnen, Handbücher für dieselben wurden auf ihr Geheiß von berühmten Aerzten verfaßt, und noch in jüngster Zeit hat sie einen hohen Preis auf die beste Herstellung eines beweglichen Feldlazareths ausgesetzt.

Als wirklicher Nothhelfer erwies sich der neue Verein zum ersten Male im Jahre 1868 bei dem großen Nothstand in Ostpreußen, der bis zum Hungertyphus führte. Die Königin selbst veranstaltete einen großen Bazar zum Besten der Nothleidenden im Berliner Schlosse.

Und dann kamen die unvergeßlichen Tage, da auf den französischen Schlachtfeldern die Blume der deutschen Einigkeit erblühte. König Wilhelm richtete den Orden vom Eisernen Kreuze wieder auf. Fürst Pleß ward an die Spitze der freiwilligen Krankenpflege gestellt. Das Oberkommando aber sozusagen übernahm die Königin. Auch sie bot ihren Heerbann auf: der Vaterländische Frauenverein ging zum ersten Male an seine eigentliche Aufgabe. Und während der Gemahl und der Sohn abermals in den Kampf zogen, begab sich die Königin wieder an ihr stilles, unermüdliches Wirken für die Verwundeten und Kranken. Das von ihr erbaute und eben fertig gewordene Augusta-Hospital wurde zur Aufnahme für Verwundete eingerichtet, unter ihrer besonderen Leitung stand eine Abtheilung des großen Barackenlazareths auf dem Tempelhofer Felde bei Berlin, und oft ging die Kaiserin von einem Bett zum andern.

Ja, die Kaiserin! Denn das war sie geworden in diesem großen Jahr. Aber diese Kaiserin saß anspruchslos belm Gottesdienst draußen in den Baracken mitten unter den Soldaten, die ihrem Gemahl geholfen hatten, mit ihrem Blute seine Kaiserkrone zu schmieden. Sie saß auch in den Lazarethküchen auf harter Holzbank und kostete das Essen. Auf Frankreichs Fluren aber spielte deutsche Militärmusik den „Kaiserin-Augusta-Marsch“, den sie selbst vor Jahren komponirt hatte.

Herrlich blühte das neue Reich auf, herrlich blühte auch auf, was die Kaiserin geschaffen hatte, namentlich ihre Lieblingsschöpfung: der Vaterländische Frauenverein. Einmal im Jahre, gewöhnlich im März, bald nach der Geburtstagsfeier des Kaisers, versammelte sie die Abgeordneten der Zweigvereine und die Mitglieder des Hauptvereins in einem der Ministerien um sich. Eine reiche Bauersfrau aus dem Magdeburgischen, die viel für den Verein gethan hatte, war einmal auch dabei, sie war in ihrer stattlichen Volkstracht erschienen, die der Kaiserin sofort auffiel. Sie lobte die Frau um diese Anhänglichkeit an ihre alte Sitte und schloß mit den Worten: „Ermahnen Sie auch die Jugend, festzuhalten an der Tracht ihrer Eltern. Es fällt mehr damit hin, als Sie glauben.“

Später verlegte sie diese Versammlungen in ihr Palais. Dabei richtete sie zum Schluß stets einige Worte an alle Anwesenden, und die leise Befangenheit, die sie beim Sprechen vor so vielen Zeugen nicht abstreifen konnte, der leise Anflug an den Dialekt ihrer thüringischen Heimath gaben diesen kurzen Ansprachen einen eigenthümlichen Reiz. Hing sie ja doch durch ihr ganzes Leben treu an der Stätte, wo ihre Wiege gestanden, wo sie ihre Jugend verlebt hatte. So lange ihre Mutter, die Großherzogin, noch lebte, kam sie jährlich mehrere Mal nach Weimar, und auch nach dem Tode derselben kehrte sie wenigstens einmal im Jahre im Schloß ihrer Väter ein. Mit ihrem Bruder, dem Großherzog Carl Alexander, war sie durch die zärtlichste Schwesterliebe verbunden. Auch ihren Jugendfreundinnen hat sie treue Freundschaft gehalten durch ihr ganzes Leben. Es waren deren vier, aber nur eine von diesen, Baronin von Gustedt, hat die Kaiserin überlebt, und sie bewahrt heute noch ihre jugendfrischen Erinnerungen an die Zeit, wo die damalige Erbgroßherzogin Maria Pawlowna mit ihren Töchtern Goethe allwöchentlich in seinem Heim aufsuchte. Frau von Gustedt hat Frau von Stein, freilich nur mehr als eine Greisin, noch am Fenster ihrer Parterrewohnung sitzen sehen. Als vor elf Jahren der Verfasser dieser Zeilen behufs eines biographischen Artikels über die Kaiserin Augusta in Weimar sich aufhielt, war Frau von Gustedt seine gütige Führerin. Sie ging mit ihm auch nach Belvedere und dort in einem der Gemächer der ersten Etage zeigte sie auf eine Ecke und sagte: „Sehen Sie, hier habe ich zum ersten Mal mit der Kaiserin – wir waren beide drei Jahre – gespielt, und zwar mit Bleisoldaten.“ Es war, als ob die Kaiserin Ihre Zukunft an der Seite eines Soldaten vorhergesehen hätte.

Einer der schönsten Züge im Charakter der Kaiserin war die unwandelbare Anhänglichkeit an diejenigen, welchen sie ihre Achtung und ihr Vertrauen geschenkt hatte. Nicht leicht konnte sie davon abgebracht werden, aber – es muß auch das gesagt werden – nicht leicht war es zu ermöglichen, ihr ein Vorurtheil zu nehmen, das sich in ihr gegen Dinge oder Personen festgesetzt hatte.

Reiche, schöne Jahre kamen nach dem Frieden für die Kaiserin. Sie sah die Vollendung des Kölner Domes, für die sie sich immer lebhaft interessirt hatte, sie wohnte der Hochzeit ihres geliebten Enkels, des Prinzen Wilhelm, des heute regierenden Kaisers, mit der Prinzessin Auguste Victoria von Schleswig-Holstein bei, die sie ganz besonders liebgewann, und dann kam Taufe um Taufe ihrer lieblichen Urenkel, in denen sie ein gesundes Geschlecht heranwachsen – in denen sie eine Bürgschaft für die Zukunft Deutschlands und Preußens sah. Die Kinder des Kaisers waren das Labsal ihres Alters. Jede Woche an einem bestimmten Tage kamen sie zu ihr, spielten um sie herum – und der Kinder höchste Freude war es, die Urgroßmama in ihrem Stuhle von Gemach zu Gemach fahren zu dürfen.

Das Jahr 1879 hatte sie im goldenen Hochzeitskranz gesehen. Es war ein Fest, an dem ganz Deutschland theilnahm. Dann kam 1883 die Silberhochzeit ihrer Tochter, der Großherzogin von Baden, die Vermählung ihrer Enkelin mit dem Kronprinzen von Schweden und die silberne Hochzeit des Kronprinzen, des späteren Kaisers Friedrich. Sie war die erste, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_077.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)