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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und war mit der ganzen Raumverschwendung jener Zeit erbaut, wo der Jagdsitz eines Fürsten oft wochenlang den gesammten Hofhalt aufnehmen mußte. Aus der Entfernung war der Fürstenstein nur theilweise sichtbar, denn der Wald bedeckte den ganzen Schloßberg, und die grauen Mauern, die Thürme und Erker strebten aus grünen Tannenwipfeln empor. Erst wenn man vor dem Eingangsthore stand, hatte man den vollen Eindruck der Größe des alten Bauwerkes, dem sich noch eine Menge kleinerer Baulichkeiten aus späteren Zeiten anschloß. Daß hier sorgfältig jedem Verfall vorgebeugt wurde, verstand sich von selbst, denn die zahlreichen Räumlichkeiten der oberen Stockwerke wurden zur Verfügung des Fürsten gehalten, der im Herbste bisweilen hierherkam. Das ebenfalls sehr weitläufige Erdgeschoß dagegen war dem Oberforstmeister von Schönau eingeräumt, der schon seit Jahren hier seinen Wohnsitz hatte und sich mit einem sehr gastfreien Hause und häufigen Besuchen in der Nachbarschaft die Einsamkeit ganz angenehm zu gestalten wußte.

Er hatte auch jetzt Besuch: seine Schwägerin, Frau Regine von Eschenhagen, war gestern eingetroffen und ihr Sohn wurde gleichfalls erwartet. Die beiden Töchter des Wallmodenschen Hauses hatten sehr annehmbare Partien gemacht: während die ältere den Majoratsherrn von Burgsdorf heirathete, vermählte sich die jüngere mit einem Herrn von Schönau, der aus einer süddeutschen, ebenfalls reich begüterten Familie stammte. Die Schwestern waren trotz der Entfernung in regem, herzlichem Verkehr geblieben, und auch nach dem Tode der jüngeren, der vor einigen Jahren erfolgt war, blieben die freundschaftlichen Beziehungen der Verwandten bestehen.

Es hatte allerdings seine eigene Bewandtniß mit dieser Freundschaft, denn der Oberforstmeister stand ein für allemal auf dem Kriegsfuße mit seiner Schwägerin. Da sie beide gleich derbe und rücksichtslose Naturen waren, geriethen sie bei jeder Gelegenheit aneinander, vertrugen sich zwar regelmäßig wieder und beschlossen, in Zukunft Frieden zu halten, aber dies Versprechen wurde ebenso regelmäßig gebrochen. In der nächsten Stunde gab es eine neue Meinungsverschiedenheit, die beiderseitig mit vollster Leidenschaft durchgefochten wurde, bis der Zank von neuem im Gange war.

Augenblicklich jedoch schien eine ungewöhnliche Eintracht zwischen den beiden zu herrschen, die auf der kleinen Terrasse vor dem Empfangszimmer saßen. Der Oberforstmeister, trotz seiner vorgerückten Jahre noch ein stattlicher Mann, mit kräftigen, sonnenverbrannten Zügen und leicht ergrautem, aber noch vollem Haar und Bart, lehnte sich behaglich in seinen Stuhl zurück und hörte seiner Schwägerin zu, die wie gewöhnlich das Wort führte. Sie stand jetzt bereits im Anfange der Fünfziger, hatte sich aber kaum verändert in dem letzten Jahrzehnt, denn die Jahre vermochten dieser urkräftigen Natur nicht viel anzuhaben. In dem Gesicht zeigte sich wohl hier und da ein Fältchen, und in das dunkle Haar woben sich vereinzelte Silberfäden, aber die grauen Augen hatten nichts von ihrer Klarheit und Schärfe verloren, die Stimme war noch ebenso laut und volltönend, die Haltung ebenso energisch wie früher. Man sah es, die Dame führte nach wie vor den Kommandostab in ihrem Reiche.

„Also Willy kommt in acht Tagen,“ sagte sie soeben. „Er war mit den Erntearbeiten noch nicht ganz fertig; aber in der nächsten Woche sind sie zu Ende, und dann macht er sich auf die Brautfahrt. Die Sache ist ja längst abgemacht zwischen uns, aber ich war entschieden für den Aufschub, denn ein junges Ding von sechzehn oder siebzehn Jahren hat noch lauter Kindereien im Kopfe und kann einem ordentlichen Haushalt noch nicht vorstehen. Jetzt ist Toni zwanzig Jahre alt und Willy siebenundzwanzig, das paßt gerade. Du bist doch einverstanden, Schwager, daß wir nun mit der Verlobung unserer Kinder Ernst machen?“

„Ganz einverstanden!“ bestätigte der Oberforstmeister, „und in allem übrigen sind wir ja einig. Die Hälfte meines Vermögens fällt dereinst an meinen Sohn, die andere Hälfte an meine Tochter, und mit der Mitgift, die ich ihr für die Heirath ausgesetzt habe, kannst Du auch zufrieden sein.“

„Ja, Du bist darin nicht sparsam gewesen. Was Willy betrifft, so hat er ja seit drei Jahren das Majorat von Burgsdorf angetreten, das übrige Vermögen bleibt laut Testament in meinen Händen, nach menem Tode fällt es selbstverständlich auch an ihn. Noth zu leiden braucht das junge Paar gerade nicht, dafür ist hinreichend gesorgt, also abgemacht!“

„Abgemacht! Wir feiern jetzt die Verlobung und im nächsten Frühjahr die Hochzeit!“

Der bisher so klare Himmel der verwandtschaftlichen Eintracht wurde hier durch die erste Wolke getrübt. Frau von Eschenhagen schüttelte den Kopf und sagte diktatorisch: „Das geht nicht, die Hochzeit muß im Winter sein, im Frühjahr hat Willy keine Zeit zum Heirathen.“

„Unsinn! Zum Heirathen hat man immer Zeit,“ erklärte Schönau ebenso diktatorisch.

„Auf dem Lande nicht,“ behauptete Frau Regine. „Da heißt es: erst die Arbeit und dann das Vergnügen. So ist es stets bei uns gewesen und so hat es auch Willy gelernt.“

„Ich bitte mir aber sehr aus, daß er mit seiner jungen Frau eine Ausnahme macht, sonst hol’ ihn der Kuckuck!“ rief der Oberforstmeister ärgerlich. „Ueberhaupt, Du kennst meine Bedingung, Regine. Das Mädchen hat Deinen Sohn seit zwei Jahren nicht gesehen. Wenn er ihr nicht gefällt – sie hat freie Wahl!“

Er traf seine Schwägerin damit an ihrer empfindlichsten Stelle, sie richtete sich im beleidigten Mutterstolze hoch auf.

„Mein lieber Moritz, ich traue Deiner Tochter denn doch einigen Geschmack zu. Im übrigen halte ich es mit der guten alten Sitte, daß die Eltern ihre Kinder verheirathen. So war es zu unserer Zeit und wir haben uns wohl dabei befunden. Was versteht das junge Volk von solchen ernsten Dingen! Aber Du hast Deinen Kindern von jeher den Willen gelassen, man merkt es, daß keine Mutter im Hause ist.“

„Ist das etwa meine Schuld?“ fragte Schönau gereizt. „Sollte ich ihnen vielleicht eine Stiefmutter geben? Einmal habe ich es allerdings gewollt, aber da wolltest Du ja nicht, Regine.“

„Nein, ich habe an dem einen Male genug,“ lautete die trockene Antwort, die den Oberforstmeister noch mehr aufbrachte. Er zuckte spöttisch die Achseln.

„Nun, ich dächte, über den seligen Eschenhagen hättest Du Dich nicht beklagen können! Der tanzte ja mit seinem ganzen Burgsdorf vollständig nach Deiner Pfeife. Bei mir hättest Du freilich das Regiment nicht so ohne weiteres angetreten.“

„Aber in vier Wochen hätte ich es gehabt,“ erklärte Frau Regine mit Seelenruhe, „und Dich hätte ich zu allererst unter mein Kommando genommen, Moritz.“

„Was? Das sagst Du mir ins Gesicht? Wollen wir es einmal probiren?“ fuhr Schönau in voller Wuth auf.

„Danke, ich heirathe nicht zum zweiten Male, gieb Dir keine Mühe!“

„Fällt mir auch gar nicht ein! Ich habe genug an dem einen Korbe, Du brauchst mir keinen zweiten zu geben!“

Damit stieß der Oberforstmeister noch immer wüthend seinen Stuhl zurück und lief davon. Frau von Eschenhagen blieb ruhig sitzen, nach einer Weile sagte sie ganz freundschaftlich: „Moritz!“

„Was giebt es?“ grollte es von der anderen Seite der Terrasse.

„Wann kommt denn Herbert mit seiner jungen Frau?“

„Um zwölf Uhr!“ klang es noch immer sehr grimmig herüber.

„Das freut mich. Ich habe ihn nicht wiedergesehen, seit er nach Eurer Residenz gesandt wurde, aber ich sagte es ja immer, Herbert ist der Stolz unserer Familie, mit dem man überall Staat machen kann. Jetzt ist er preußischer Gesandter an Eurem Hofe, ist Excellenz –“

„Und nebenbei ein junger Ehemann von sechsundfünfzig Jahren!“ spottete der Oberforstmeister.

„Ja, er hat sich Zeit gelassen zum Heirathen, aber dafür hat er auch eine glänzende Partie gemacht. Für einen Mann in seinen Jahren war es immerhin keine Kleinigkeit, eine Frau wie Adelheid zu gewinnen, jung, schön, reich –“

„Aber bürgerlicher Geburt,“ warf Schönau ein.

„Unsinn! Wer fragt heutzutage nach dem Stammbaum, wenn eine Million dahinter steht! Herbert kann sie brauchen; er hat sich sein lebelang mit knappen Mitteln durchschlagen müssen, und der Gesandtschaftsposten wird auch mehr Aufwaud erfordern, als das Gehalt beträgt. Uebrigens braucht sich mein Bruder seines Schwiegervaters nicht zu schämen, Stahlberg war einer unserer ersten Industriellen und dabei ein Ehrenmann durch und durch. Schade, daß er sobald nach der Heirath seiner Tochter starb, jedenfalls hat sie eine sehr vernünftige Wahl getroffen.“

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