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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Deutsche Städtebilder.
Königsberg i. Pr.
Mit Zeichnungen von Professor Heydeck und Robert Aßmus.

Der Deutsche Ritterorden hatte längst die Landgebiete des altpreußischen Weichselthals erobert, seine Residenz in der Marienburg aufgeschlagen, Städte gegründet und mit deutschen Kolonisten besiedelt in den Gauen, die wir heute Westpreußen nennen. Bald aber erschien ihm sein Landbesitz zu klein, er trachtete danach, weiter nach Osten vorzubringen, auch diejenigen Gaue der alten heidnischen Preußen zu unterjochen, die weit nach Sonnenaufgang, jenseit der Höhenzüge lagen, welche bis jetzt seiner Herrschaft Grenze bildeten. So zog er auf Schiffen mit seinen Heereshaufen über das Frische Haff, den Strandsee, der sich viele Meilen lang von Elbing bis zu der Einmündung des Pregelstroms dehnt, und diesen Fluß hinauf bis zu der ersten steilen Höhe, welche, weithin die Umgebung beherrschend, an seinen Ufern sich erhebt. Dort ward um die Mitte des 13. Jahrhunderts die erste Burg im Lande Ostpreußen gegründet und dem König Ottokar von Böhmen zu Ehren, der zu dieser Ansiedelung gerathen hatte, „Königsberg“ genannt. Selten ist ein vom Zufall bestimmter Namen für eine Stadt so verheißungsvoll geworden wie dieser. Königsberg, die Wiege der Monarchie, die von dem Lande, in welchem es lag, den Namen „Preußen“ entnommen, ist mit dem Geschicke dieser Monarchie stets aufs engste verwachsen gewesen; sie ist Krönungs- und dritte Residenzstadt des Königreiches.

Die Universität.

Das mittelalterliche Königsschloß überragt auch heute alle Umgebung von seiner freien Höhe aus. Es ist wohl das erste und älteste Gebäude der Stadt, denn zugleich mit deren Gründung hat man auch den Bau begonnen, der in seinen ältesten Theilen mit cylindrischen Eckthürmen, tiefen Thorbogen, klotzigem Mauerwerk noch ganz den Charakter jener Zeit trägt. Weit später erst sind die modernen Flügel des Bauvierecks entstanden, so daß die ganze Architekturgruppe einen ungemein bunten Eindruck gewährt. Die ganze westliche Seite des Gevierts wird von der Schloßkrche eingenommen, die am Ende des 10. Jahrhunderts erbaut wurde. Alles ist hier Geschichte, jeder Stein mahnt an die großen Tage des preußischen Königthums. Es war ja doch kaum mehr als Zufall, daß der erste preußische König 1657 in diesem Schlosse geboren wurde, der sich dann 1701 in dieser Kirche selbst die Krone aufs Haupt setzte. Alle seine Nachfolger kamen zur Erbhuldigung in diese Stammburg des Königthums, und als im Verfassungsstaat dieser Akt wegfallen mußte, hat König Wilhelm ebenfalls in der Königsberger Schloßkirche seine Krönung mit größtem Pomp vollzogen.

Waren die ernsten Feierlichkeiten vorüber, so stieg die Festversammlung hinauf in einen unmittelbar über der Kirche gelegenen Saal, um dort ihre heiteren Feste zu feiern. Dieser „Moskowitersaal“ im Oberstock einer Kirche mag auch wohl einzig in seiner Art sein. Er soll den Namen einem anderen Raume entlehnt haben, in welchem unter Hochmeister Markgraf Albrecht von Brandenburg eine Gesandtschaft des moskowitischen Großfürsten Wassiliy gewohnt hat.

Noch vor kurzem versammelte jede größere Feier die Königsberger und ihre Gäste oben im Moskowitersaale, und ebenso haben sie seit alters her mit Vorliebe die tiefsten Gewölbe und Verließe des alten Gemäuers aufgesucht. Dort, wo einst grauses Folterwerkzeug die Unglücklichen peinlich befragte, ist der fröhliche Weingott eingezogen, und noch immer nennt man die mittelalterlichen Kellergewölbe das „Blutgericht“; der Wein schmeckt deshalb in dem kühlen Raume nicht minder gut.

Dieses alte Schloß ist von Beginn an Kern und Mittelpunkt von Königsberg gewesen, wie es trotz aller Prachtbauten bis heute noch dessen merkwürdigstes Architekturstück ist. Anfangs hat sich wohl nur zu seinen Füßen unten am Abhang des Berges bürgerliches Leben angesiedelt, die „Altstadt“, die sich stromaufwärts längs des Pregelufers fortsetzte in dem Stadttheil „Löbenicht“. Auch die kleine Insel, die unmittelbar vor dem Schlosse von zwei Armen des Pregels gebildet wird, ist zu jener Zeit besiedelt worden und heißt noch heute der „Kneiphof“. Diese drei Stadttheile zusammen bilden das alte Königsberg. Denn eng sind seine Gassen, himmelhoch oft einzelne Giebelhäuser; es ist unverändert geblieben, als dem Deutschen Ritterorden die Marienburg verloren gegangen war und er seine Residenz hierher verlegte. Auch als der letzte Hochmeister aus dem Hause Brandenburg sich zum weltlichen Fürsten, zum Herzoge von Preußen machte, hat er aus seinem Schlosse wohl nur die Dreistadt: Löbenicht, Altstadt, Kneiphof überschaut. Wir erkennen dieses frühere Königsberg noch heute deutlich; die spätere moderne Stadt hat sich freieren Raum gesucht, ist strahlenförmig aus dem alten Kern herausgewachsen, und um sie herum hat sich der Festungswall und ein Gürtel weit vorgeschobener Forts gelegt.

In dem Banne der Fürstenburg sehen wir jetzt noch altes Gemäuer, Thurmstümpfe, Reste früherer Befestigungen mitten in die moderne Welt hineinragen. Zu den malerischen Partien dieses Burgbannes gehört heute noch ein kotziger, mittelalterlicher Thurmbau, den man nicht abgetragen, sondern an Geschäftsleute überlassen hat. Da verstecken sich Gärten, Höfe, altes Gewinkel in dem Bezirk, der die Stadtseite des Schlosses, den ältesten Theil desselben, umgiebt. Das kleine Verkehrsleben mag sich in den engen krummen Gassen unmittelbar am Fuße des steilen Schloßberges entwickelt haben. So ist es noch heute. Auch jetzt drängt sich hier der Kleinverkehr zwischen der natürlichen Bodenterrasse und dem Flusse zusammen. Anders ist das Gepräge der Kneiphofinsel in alter Zeit gewesen, und ist es auch heute noch. Dort hatte der Bischof von Samland um das Jahr 1330 den Dom zu bauen begonnen, ein kräftiges ernstes Bauwerk, schmucklos und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_045.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)