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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ahnte bereits Unheil, als Ihr Brief mich so dringend herrief. Herbert hatte recht, ich durfte unter diesen Umständen meinen Sohn auch nicht eine Stunde von meiner Seite lassen, aber ich glaubte ihn hier in Burgsdorf sicher vor jeder Annäherung. Und er freute sich so auf den Ausflug, er sehnte sich mit einer förmlichen Leidenschaft danach, ich hatte nicht das Herz, es ihm zu versagen; – er ist ja überhaupt nur froh, wenn er fern von mir ist.“

Es lag ein dumpfer Schmerz in den letzten Worten: aber Frau von Eschenhagen zuckte nur die Achseln.

„Das ist nicht die Schuld des Jungen allein,“ sagte sie offenherzig. „Ich halte meinen Willy auch tüchtig in Zucht, aber er weiß trotz alledem, daß er eine Mutter hat, der er ans Herz gewachsen ist. Hartmut weiß das nicht von seinem Vater, er kennt ihn nur von der strengen, unzugänglichen Seite. Wenn er ahnte, daß Sie ihn insgeheim vergöttern –“

„So würde er das sofort mißbrauchen und mich wehrlos machen mit seiner schmeichlerischen Zärtlichkeit. Soll auch ich mich von ihm beherrschen lassen wie alles, was in seine Nähe kommt? Seine Kameraden folgen ihm blindlings, so oft er ihnen auch Strafe zuzieht mit seinen Tollheiten. Ihren Willibald hat er gänzlich unter seiner Botmäßigkeit, sogar seine Lehrer behandeln ihn mit besonderer Nachsicht. Ich bin der einzige, den er fürchtet, und infolge dessen auch der einzige, den er respektirt.“

„Und Sie glauben es mit der Furcht allein zu zwingen bei dem Jungen, der jetzt zweifellos von seiner Mutter mit den unsinnigsten Zärtlichkeiten überschüttet wird? Wenden Sie sich nicht ab, Falkenried, Sie wissen, ich habe nie jenen Namen vor Ihnen genannt, aber jetzt, wo er so unabweisbar wieder in den Vordergrund tritt, wird man ihn wohl einmal aussprechen dürfen. Und da wir gerade bei dem Punkte sind, so sage ich Ihnen offen heraus, die Geschichte war nicht anders zu erwarten, seit Frau Zalika wieder auftauchte. Es hätte nichts geholfen, wenn Sie Hartmut nicht von Ihrer Seite gelassen hätten, denn man kann einen Siebzehnjährigen nicht mehr hüten wie ein kleines Kind. Die Mutter hätte doch den Weg zu ihm gefunden, und das war im Grunde ihr Recht – ich hätte es ebenso gemacht.“

„Ihr Recht?“ fuhr der Major heftig auf. „Und das sagen Sie mir, Regine?“

„Das sage ich, weil ich weiß, was es heißt, ein einziges Kind zu haben! Daß Sie Ihrer Frau den Buben nahmen, war in der Ordnung, eine solche Mutter taugt nicht zur Erziehung; daß Sie es ihr aber jetzt, nach zwölf Jahren verweigern, Ihren Sohn wiederzusehen, das ist eine Härte und Grausamkeit, die nur der Haß eingeben kann. Wie groß auch ihre Schuld sein mag – die Strafe ist zu hart.“

Falkenried blickte finster vor sich nieder, er mochte fühlen, daß eine Wahrheit in den Worten lag; endlich sagte er langsam:

„Ich hätte nie geglaubt, daß Sie die Partei Zalikas nehmen würden. Ich habe Sie einst bitter gekränkt um ihretwillen, ich zerriß ein Band –“

„Das noch gar nicht einmal geknüpft war,“ unterbrach ihn Frau von Eschenhagen abwehrend. „Es war ein Plan unserer Eltern, weiter nichts.“

„Aber der Gedanke daran war uns doch lieb und vertraut seit unseren Kinderjahren. Versuchen Sie nicht, mich zu entschuldigen, Regine, ich weiß nur zu gut, was ich damals Ihnen und – mir gethan habe.“

Regine richtete die klaren grauen Augen fest auf ihn, aber es lag etwas wie ein feuchter Schimmer darin, als sie erwiderte:

„Nun ja, Hartmut, jetzt, wo wir beide längst über die Jugend hinaus sind, werde ich es ja wohl eingestehen dürfen. Ich habe Sie damals gern gehabt und Sie hätten auch wohl etwas anderes aus mir machen können, als ich jetzt geworden bin. Ich war immer ein eigenwilliges Ding und nicht leicht zu regieren, aber Ihnen hätte ich mich gefügt, vielleicht Ihnen allein auf der ganzen Welt. Als ich drei Monate nach Ihrer Hochzeit mit Eschenhagen vor den Altar trat, da war es umgekehrt, da nahm ich die Zügel in die Hand und fing an zu kommandiren, und seitdem habe ich es gründlich gelernt. Doch jetzt fort mit den alten, längst abgethanen Geschichten! Ich habe sie Ihnen nicht nachgetragen, das wissen Sie, wir sind trotzdem Freunde geblieben, und wenn Sie mich jetzt brauchen, mit Rath oder That – ich bin da.“

Sie streckte ihm die Hand hin und er legte die seinige hinein.

„Ich weiß es, Regine, aber hier kann ich mir nur allein rathen und helfen. Bitte, rufen Sie Hartmut zu mir, ich werde mit ihm sprechen!“

Frau von Eschenhagen kam seinem Wunsche nach, sie stand auf und verließ das Zimmer, aber im Gehen murmelte sie halblaut:

„Wenn es nicht schon zu spät ist! Sie hat den Vater damals blind und toll gemacht, sie wird sich den Sohn wohl auch schon gesichert haben!“

Nach etwa zehn Minuten trat Hartmut ein; er schloß die Thür hinter sich, blieb aber an der Schwelle stehen. Falkenried wandte sich um.

„Komm näher, Hartmut, ich habe mit Dir zu reden!“

Der Jüngling gehorchte und kam langsam näher. Er wußte bereits, daß Willibald hatte beichten müssen und daß die Zusammenkünfte mit der Mutter verrathen seien, aber in die Scheu, mit der er sonst stets dem Vater nahte, mischte sich heute ein unverkennbarer Trotz, der dem Major nicht entging. Er streifte mit einem langen düsteren Blick die jugendlich schöne Erscheinung seines Sohnes.

„Meine plötzliche Ankunft scheint Dich nicht zu überraschen,“ begann er wieder. „Du weißt also vermuthlich, was mich herführt?“

„Ja, Vater, ich errathe es.“

„Gut, so brauchen wir uns nicht erst mit einer Einleitung aufzuhalten. Du hast erfahren, daß Deine Mutter noch am Leben ist, sie hat sich Dir genähert und Du verkehrst mit ihr – ich weiß es bereits. Wann sahst Du sie zum erstenmal?“

„Vor fünf Tagen.“

„Und seitdem hast Du sie täglich gesprochen?“

„Ja, am Burgsdorfer Weiher.“

Fragen und Antworten klangen gleich kurz und gemessen. Hartmut war an diese streng militärische Art gewöhnt, selbst im Verkehr mit dem Vater, der kein überflüssiges Wort, kein Zögern und Ausweichen bei den Antworten duldete. Er hielt auch heute diesen Ton fest, der seine qualvolle Erregung vor den ungeübten Augen des Sohnes verschleiern sollte. Dieser sah in der That nur das ernste, unbewegte Antlitz, hörte nur den Ton kalter Strenge, als der Major fortfuhr:

„Ich will Dir keinen Vorwurf daraus machen, denn ich habe Dir in dieser Hinsicht nichts verboten. Der Punkt ist ja überhaupt nie zwischen uns berührt worden. Da wir aber einmal so weit sind, muß ich wohl das Schweigen brechen. Du hieltest Deine Mutter für todt und ich habe das stillschweigend geduldet, denn ich wollte Dich vor den Erinnerungen bewahren, die mein Leben vergiftet haben; Deine Jugend wenigstens sollte frei davon sein. Das ist nicht durchzuführen, wie ich sehe, so magst Du denn jetzt die Wahrheit erfahren!“

Er hielt einen Augenblick inne, dem Manne mit seinem reizbaren Ehrgefühl war es eine Folter, diesen Punkt vor seinem Sohne zu erörtern, und doch gab es jetzt keine Wahl mehr, er mußte weiter sprechen.

„Ich habe als junger Offizier Deine Mutter leidenschaftlich geliebt und vermählte mich mit ihr, gegen den Willen meiner Eltern, die in dieser Ehe mit einer Frau aus fremdem Stamme und Blute kein Heil sahen. Sie hatten recht, die Ehe war eine tief unglückliche und wurde schließlich getrennt, auf mein Verlangen. Ich hatte ein unbedingtes Recht dazu und mir wurde auch der Besitz meines Sohnes unbedingt zugesprochen. Mehr kann ich Dir nicht sagen, denn ich will die Mutter nicht vor ihrem Sohne anklagen; also laß Dir daran genug sein!“

So kurz und herb diese Erklärung auch lautete, sie machte einen eigenthümlichen Eindruck auf Hartmut. Sein Vater wollte die Mutter nicht vor ihm anklagen, vor ihm, der doch täglich die bittersten Anklagen und Schmähungen gegen den Vater von ihr hörte. Zalika hatte selbstverständlich die ganze Schuld der Trennung auf ihren Gatten und seine unerhörte Tyrannei gewälzt und sie fand ein nur zu williges Ohr bei dem Jüngling, dessen unbändige Natur so schwer unter der Strenge des Vaters litt. Und doch wirkten jetzt dessen kurze, ernste Worte mehr als all jene leidenschaftlichen Ausbrüche; Hartmut fühlte instinktmäßig, auf welcher Seite die Wahrheit lag.

„Und nun zu der Hauptsache!“ hob Falkenried wieder an. „Was war der Inhalt Eurer täglichen Unterredungen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_039.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)