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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

einen flüchtigen Gast sah, der wohl eben so schnell wieder verschwinden würde, als er aufgetaucht war.

Da kam Hartmut Falkenried aus seiner Garnison auf das väterliche Gut und lernte im Hause der befreundeten Familie die neuen Verwandten kennen. Er sah Zalika, und damit nahte ihm das Verhängniß seines Lebens. Es war eine jener Leidenschaften, die plötzlich, fast blitzschnell entstehen, die einem Rausche, einem Taumel gleichen und nur zu oft mit der Reue eines ganzen Lebens bezahlt werden.

Vergessen waren die Wünsche der Eltern, die eigenen Zukunftspläne, vergessen die ruhige, herzliche Neigung, die ihn zu seiner Jugendgespielin Regine zog. Er hatte keine Augen mehr für die heimische Waldblume, die ihm damals noch jung und frisch erblühte, er sog nur den berauschenden Duft der fremden Wunderblüthe ein, alles andere verschwand und versank neben ihr, und in einer Stunde des Alleinseins stürzte er zu ihren Füßen und bekannte ihr seine Liebe.

Seltsamerweise wurden seine Gefühle erwidert. Vielleicht war es die alte Lehre von den sich berührenden Extremen, die Zalika zu einem Manne zog, der in jeder Hinsicht der vollste Gegensatz ihres eigenen Wesens war, vielleicht schmeichelte es ihr, daß ein Blick, ein Wort von ihr die ernste, ruhige und schon damals etwas düstere Natur des jungen Offiziers in Flammen zu setzen vermocht hatte, genug, sie nahm seine Werbung an und er durfte sie als Braut in die Arme schließen.

Die Nachricht von dieser Verlobung erregte einen Sturm in dem gesammten Familienkreise, von allen Seiten kamen Einreden und Warnungen, auch Zalikas Mutter und ihr Stiefvater waren dagegen, aber der allgemeine Widerstand steigerte nur die Leidenschaft des jungen Paares. Die Verbindung wurde trotz alledem durchgesetzt, und ein halbes Jahr später führte Falkenried seine junge Gattin in sein Haus.

Aber die Stimmen, welche dieser Ehe Unglück prophezeiten, sollten nur zu sehr recht behalten. Dem kurzen Rausche des Glückes folgte die bitterste Enttäuschung. Es war ein verhängnißvoller Irrthum gewesen, zu glauben, eine Frau wie Zalika Rojanow, die in schrankenloser Freiheit aufgewachsen und an das regellose, verschwenderische Leben der Bojarenfamilien ihrer Heimath gewöhnt war, könne sich jemals deutschen Anschauungen und Verhältnissen fügen. Auf wildem Rosse stundenlang umherjagen, mit den Männern, die ihre Zeit zwischen Jagd und Spiel theilten, in dem allerfreiesten Tone verkehren und sich im Hause, das immer eine Schar von Gästen füllte, mit einem äußeren Glanze umgeben, der mit dem ärgsten Verfall der verschuldeten Güter Hand in Hand ging – das war das Leben, das sie bisher allein kennen gelernt hatte und das ihr auch allein zusagte. Der Begriff der Pflicht war ihr ebenso fremd wie das Verständniß für ihre neue Lebensstellung überhaupt.

Und diese Frau sollte sich nun dem Haushalt eines jungen Offiziers, dem nur beschränkte Mittel zu Gebote standen, den Verhältnissen einer kleinen deutschen Garnisonstadt anbequemen! Daß das unmöglich war, zeigte sich schon in den ersten Wochen. Zalika begann damit, sich auch hier über alle Rücksichten hinwegzusetzen und ihr Haus auf dem gewohnten Fuße einzurichten, indem sie ihre nicht unbedeutende Mitgift in der sinnlosesten Weise verschwendete.

Vergebens bat und mahnte der Gatte, er fand kein Gehör hei ihr; sie hatte nur Spott für Schranken und Formen, die ihm heilig waren, nur ein Achselzucken für seine strengen Ehr- und Anstandsbegriffe. Es gab bald genug die heftigsten Zerwürfnisse, und Falkenried erkannte zu spät die schwere Uebereilung, die er begangen hatte.

Er hatte auf die Allmacht der Liebe gebaut, all den Warnungsstimmen zum Trotz, die auf die Verschiedenheit der Abstammung, der Erziehung und der Charaktere hinwiesen, und mußte nun erkennen, daß Zalika ihn überhaupt nie geliebt, daß nur Laune oder höchstens eine flüchtig auflodernde Leidenschaft, die ebenso schnell wieder erstarb, sie in seine Arme geführt hatte. Jetzt sah sie in ihm nur noch den unbequemen Gefährten, der ihr jeden Lebensgenuß verkümmerte, der mit seiner thörichten Pedanterie, seinen lächerlichen Ehrbegriffen ihr überall Schranken und Fesseln auferlegte. Und doch fürchtete sie diesen Mann, dessen Energie es gelang, ihre charakterlose Natur immer wieder unter seinen Willen zu beugen.

Auch die Geburt des kleinen Hartmut vermochte in der schon damals tief unglücklichen Ehe nichts mehr zu versöhnen und auszugleichen, aber sie hielt diese Ehe wenigstens äußerlich noch zusammen. Zalika liebte ihr Kind mit vollster Leidenschaft, und sie wußte, daß der Gatte es ihr nun und nimmermehr lassen würde, wenn es zur Trennung käme. Das allein hielt sie an seiner Seite fest, während Falkenried mit verbissenem Schmerze sein häusliches Elend trug und alles dran setzte, es wenigstens vor der Welt zu verschleiern.

Die Welt freilich kannte trotzdem die Wahrheit, sie wußte Dinge, die der Gemahl nicht einmal ahnte und die man ihm aus Schonung noch verschwieg. Aber endlich kam doch der Tag, wo man dem betrogenen Manne die Augen öffnete und ihm verrieth, was anderen längst kein Geheimniß mehr war. Die unmittelbare Folge davon war ein Duell, in dem Falkenrieds Gegner fiel, während er selbst zu einer längeren Festungshaft verurtheilt, aber sehr bald begnadigt wurde. Man wußte es ja, daß der beleidigte Gatte nur seine Ehre gesühnt hatte.

Inzwischen war auch die Scheidung eingeleitet und ausgesprochen worden; Zalika erhob keinen Widerspruch dagegen, sie wagte es überhaupt nicht, ihrem Gatten wieder zu nahen, denn seit jener Trennungsstunde, wo er sie zur Rede stellte, zitterte sie vor ihm. Aber sie machte verzweifelte Versuche, sich den Besitz ihres Kindes zu sichern, um das sie einen Kampf auf Leben und Tod führte.

Es war vergebens, Hartmut wurde unbedingt dem Vater zugesprochen, der mit eiserner Unerbittlichkeit jede Annäherung der Mutter zu hindern wußte. Zalika durfte ihren Sohn nicht einmal wiedersehen und erst, als sie sich überzeugt hatte, daß in dieser Hinsicht nichts zu erreichen war, kehrte sie in ihre Heimath, in das Haus ihrer Mutter zurück.

Sie schien verschollen zu sein für ihren ehemaligen Gatten, bis sie plötzlich und unerwartet wieder in Deutschland auftauchte, wo Major Falkenried jetzt eine hervorragende Stellung an der großen militärischen Erziehungsanstalt einnahm, die in der Nähe der Hauptstadt lag.




Es war ungefähr acht Tage nach der Ankunft Hartmuts in Burgsdorf. In ihrem Wohnzimmer saß Frau von Eschenhagen und ihr gegenüber der Major, der vor einer Viertelstunde eingetroffen war. Der Gegenstand ihres Gespräches mußte wohl ein sehr ernster und unangenehmer sein, denn Falkenried hörte mit tief verfinstertem Gesichte der Gutsherrin zu, die jetzt in ihrem Berichte fortfuhr.

„Mir fiel Hartmuts verändertes Wesen schon am dritten oder vierten Tage auf. Der Junge, dessen Uebermuth anfangs gar nicht zu bändigen war, sodaß ich einige Male drohte, ihn wieder nach Haus zu schicken, wurde plötzlich ganz kopfhängerisch. Er beging keine einzige Tollheit mehr, trieb sich stundenlang allein im Walde umher und träumte, wenn er zurückkam, mit offenen Augen, sodaß man ihn förmlich wecken mußte. ‚Er fängt an, vernünftig zu werden,‘ meinte Herbert, ich aber sagte: ‚die Sache ist nicht richtig, dahinter steckt etwas!‘ und nahm mir meinen Willy vor, der mir auch ganz merkwürdig vorkam. Er war richtig mit im Komplott. Er hatte die beiden eines Tages überrascht, Hartmut hatte ihm das Wort abgenommen, daß er schweigen werde, und mein Junge schweigt wirklich, verschweigt mir, seiner Mutter, etwas! Er beichtete erst, als ich ihm ernstlich zu Leibe ging. Nun, zum zweiten mal thut er es nicht wieder, dafür habe ich gesorgt.“

„Und Hartmut? Was sagte er?“ unterbrach sie der Major hastig.

„Gar nichts, denn ich habe noch keine Silbe mit ihm darüber geredet. Er hätte mich wahrscheinlich gefragt, warum er seine eigene leibliche Mutter nicht sehen und sprechen solle, und die Antwort auf diese Frage kann ihm doch nur – der Vater geben.“

„Er wird sie wohl bereits von anderer Seite erhalten haben,“ sagte Falkenried bitter. „Die Wahrheit freilich hat er schwerlich erfahren!“

„Das fürchte ich auch und deshalb verlor ich keine Minute, Sie zu benachrichtigen, nachdem ich die Geschichte entdeckt hatte. Was nun?“

„Nun werde ich allerdings eingreifen,“ entgegnete der Major mit erzwungener Ruhe. „Ich danke Ihnen, Regine, aber ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_038.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)