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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Wir sollten also einiges auf die Tische dieses Markes hingeben von dem was in unserem Haushalt entbehrlich war. Hatten wir denn solche abkömmliche Schätze? Gewiß - jeder hat sie - der kleinste Haushalt fast. Man muß erst einmal versucht haben, sich von einigen dieser unentbehrlichen Entbehrlichkeiten loszumachen, um zu empfinden, wie diese keine große Welt uns über den Kopf gewachsen ist. „Le superflu, chose très nécessaire“, „das Ueberflüssige, ein recht notwendig Ding“ - o nein, Herr Voltaire, es giebt bei diesem Ueberflüssigen auch manches, was wirklich nicht nothwendig ist. Wenn man von der Stadt in die Sommerwohnung übersiedelt, läßt man dreiviertel seines Hausraths zurück und wenn man acht Tage mit dem mitgenommenen Viertel in den entsprechend kleineren Räumen gehaust hat, meint man auch, jener dreiviertel überhaupt nicht zu bedürfen. Macht man von dort aus eine mehrwöchige Gebirgsreise. so läßt man alles zurück, nimmt nur eine Handtasche, einen Plaid, einen Regenschirm und einen Baedeker mit und ist mit diesem Hundertstel ausreichend versehen.

In jedem Haushalte sammeln sich so mancherlei Geschenke und Reiseandenken - es ist wohl ein Pietätsmangel, so etwas fortzugeben, aber der gute Zweck heiligt die schlimmsten Mittel, und wer weiß denn, wem es der gütige Geber verdankt? Es stellen sich so viele doppelt vorhandene Stücke heraus und das Gute ist des Bessern Feind - man würde manches Ding gern durch etwas Gefälligeres ersetzen, wenn man jenes erste los wäre, und so begegnet eine solche Entäußerungsgelegenheit mit wohlhätigem Hintergrund vielfacher Gebelust. Ich suchte also auch einige „Nippes“ heraus, deren Dasein ich erst bemerke, als sie fortgeräumt waren, einige Stickereien, an deren Herstellung sich irgend ein Nichtchen seine lieben Augen verdorben hatte, wenn sie nicht so schlau war, sie fertig zu kaufen; ich fügte einige „unsterbliche Werke“ bei - mit Autograph - glücklicher Gewinner! - und die Sendung machte sich auf den Weg.

„Geben ist seliger denn Nehmen.“ Aus der Fülle seiner Ladenhüter etwas geben ist seliger, als von den Ladenhütern des wohltätigen Nachbars etwas nehmen. Aber man muß eben beides thun und schon beim Anblick der holdseligen jungen Mädchen, die, Cigaretten und Blumensträuße feilbietend, mit den Geschossen ihrer Augen den Eingang beherrschen, wie die Schlösser der Dardanellen den Engpaß ins Marmarameer, nimmt man das harte Wort beschämt zurück.

Wir hatten keine günstige Zeit zum Besuche des Bazars gewählt. Es war am dritten Markttage in der Stunde, in welcher in vielen Häusern zu Mittag gespeist wird. Infolge dessen waren nicht viele Käufer anwesend und die Verkaufsgeneigtheit, der Wetteifer zu bedienen, hatte etwas Unheimliches. Wenn es voll ist, rutscht man besser unbemerkt durch. Heut war das nicht möglich: überall grüßen befreundete, jedenfalls freundliche Gesichter, und es ist herzbeklemmend, zu denken, wie vielen dieser schönen Bazarinen man nichts anderes wird geben können als einen Korb. Zum Glück sind wir zu zweit, meine Frau und ich. Ich allein wäre ja sicher nicht fortgekommen, ohne meine Geldtasche und einen Solawechsel in beträchtlichem Werthe dortgelassen zu haben. Welches männliche Einzelwesen kann einem aufgepflanzten Spalier von Huldinnen in den lieblichsten Bazartoiletten widerstehen, welche nicht müde werden, ihm ihre Schätze anzupreisen? Keines!! In der Begleitung aber gewinnt man Selbstvertrauen, den grausamen Muth, „nein“ zu sagen.

Unsere Strategie war die des siegreichen deutschen Heeres: getrennt marschieren, zusammen schlagen - nämlich abschlagen! Wenn ich vor irgend einer der Buden stehend plauderte, bewunderte, Kleinigkeiten kaufte, und ich fühlte das Nahen des Augenblicks, in dem meine Widerstandskraft erlahmte, rief ich : „Ruft mich dort nicht meine Frau?“ - und tun einem verbindlichen Abschiedsgruß sprang ich aus der gefährlichen Ecke.

Doch ich übertreibe: man muß ja bedenken, daß es der Verkäuferinnen schönes Recht und erhabenste Pflicht ist, zu Gunsten der Bedürftigen die Wohlhabenden zu besteuern. Hinter jeder dieser Salonerscheinungen stehen unsichtbar Hunderte in dürftigen, nicht einmal gegen die Kälte schützenden Kleidern, und je mehr jene euch aus euren Taschen zu locken vermögen, desto größer ist ihr Verdienst. Der heilige Crispinus stahl bekanntlich Leder, um Schuhe davon zu machen, die er den Armen schenke. Ein solches Vorgehen ist ja vor dem Gesetze strafbar - aber die Kirche sprach Crispinus heilig. Die Damen, welche wochenlang um Verkaufsgegenstände betteln gehen und dann in vollem Staat fünf, sechs. sieben Tage lang, sich kaum die Zeit des Mittagessens gönnend, hinter dem Ladentisch stehen, um solche möglichst hoch an den Mann - Käuferinnen bilden die Minderheit - zu bringen, haben mindestens das Anrecht auf - Straflosigkeit. Es sollen ja manche Herren ihren Besuch im Bazar mit einer erheblichen Unterbilanz bezahlen: aber darüber sollten sie sich doch nicht grämen! Wenn ich viel Geld hätte, ich würde mich über jede Kriegslist freuen, welche von schöner Hand in guter Sache gegen meinen Besitz eingefädelt wird; ich würde denen dankbar sein, die mir das Wohlthun so bequem und angenehm machen, und ich würde mich noch fröhlich damit trösten, daß ich, wieviel ich auch in den Händen der geschäftseifrigen Verkäuferinnen gelassen habe, im Vergleiche zu denen, für welche die Gabe bestimmt ist, noch immer als ein wohlhäbiger Mann herauskomme. Uebrigens sind die Damen auch einsichtig und mit dem Kleinsten zufrieden. Gute Freundinnen wollen uns scheuen, begehen einen Verrath an ihrer Sache und winken ab, wenn man kaufen will. Die eine erinnerte mich fast an den Kellner des Restaurant Vignon aus der französischen Posse „Verfolgt“. Für diesen frommen Mann sind die verschwenderischen Diners, für die er den Wein aufträgt, ein Gräuel, und er hält seinen Gästen stets erbauliche Reden, ernste Abmahnungen, giebt ihnen den Rath, solange es Zeit ist, nach Hause zu gehen, ehe er sich darein ergiebt, zu serviren. Wir gingen auch, nachdem wir noch von zarten Händen einen Imbiß kredenzt erhalten, und trugen unsere Packetchen mit innerer Befriedigung nach Hause.

Dort angekommen, wickeln wir unsere Einkäufe aus. Mit Schrecken erkennt meine Frau, daß ich ein Paar der von uns selbst hingelieferten Vasen mitgebracht habe, deren geschmacklose Form uns seit lange ein Dorn im Auge war und die wir glücklich waren, endlich einmal loszuwerden. In unbewußter Anhänglichkeit holte ich sie zum zweitenmal ins Haus. Das war schlimm! - Wenn ich aber später auf eines der genommenen Bazarlose etwa gar eins meiner geschenkten Bücher zurückgewinnen sollte, werde ich mich ernstlich gekränkt fühlen.





Fürsorge für Genesende.

Zu den Anstalten, welche im Dienste edelster Menschlichkeit stehen, gehören unsere Krankenhäuser in denen nicht nur die armen, sondern selbst die reichen Kranken Hilfe und liebevolle Pflege finden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist vieles geschehen, um diese Anstalten reicher auszustatten und zu vervollkommnen nach den Fortschritten der Wissenschaft. Wie viel Segen sie gestiftet haben und tagtäglich stiften, ist allbekannt: Die Krankenhäuser sind unentbehrliche, fest eingebürgerte Einrichtungen, deren weitere Entwickelung man der Sorge der Aerzte und Gemeinden anvertraut. Und doch dringt heute gerade aus den Krankenhäusern ein Ruf in die Oeffentlichkeit, welcher sich an den gemeinnützigen Sinn und die Opferfreudigkeit der Mitbürger wendet - ein Ruf, welcher neue edle Zwecke verfolgt und nicht ungehört verhallen darf.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Krankenhäuser den Patienten nur bis zu einer gewißen Grenze Hilfe leihen können; ihre Aufgabe besteht darin, den Kranken zu heilen, die Lebensgefahr abzuwenden; ist diese Heilung erfolgt, so wird der Kranke entlassen. Die Heilung in dem hier gebräuchlichen Sinne des Wortes ist jedoch nicht gleich bedeutend mit völliger Wiederherstellung. Wir wissen alle , daß nach schwereren und länger dauernden Krankheiten der Kranke sich nur allmählich erholt; er ist noch schwach, er muß noch für Kräftigung sorgen, er darf sich Anstrengungen nicht zumuthen; er ist noch kein Gesunder, sondern erst ein Genesender, ein „Rekonvalescent“, und als solcher bedarf er noch richtiger Schonung und Pflege.

Die Krankenhäuser sind nicht in der Lage, sich der Pflege der Genesenden zu widmen: einmal sind sie überall so sehr überfüllt, es kommen immer so viel neue schwere Kranke hinzu, daß die Genesenden den Hilfsbedürftigeren den Platz räumen müssen; andererseits ist das Krankenhaus kein geeigneter Aufenthalt für den Genesenden. Es fehlt ihm hier die Freiheit der Bewegung, namentlich in frischer Luft; die Anwesenheit Schwerkranker und der ernste Gang der Geschäfte wirken auf seinen seelischen Zustand nicht günstig ein.

Aus dem Hospital entlassen! Wie viele freuen sich, wenn sie durch das Thor der Anstalt schreiten können, um wieder in das volle Leben einzutreten, zu wirken und zu schaffen! Wie viele gehen aber noch schwankenden Schrittes mit bleichem Angesicht nach ihrem ärmlichen Heim! Der Winter ist da, der Schneesturm tobt und der Entlassene betritt seine Wohnung. In zahllosen Fällen ist diese Wohnung völlig ungenügend, dumpf und modrig, niemals vom lichten Sonnenstrahl erhellt. Und heute sieht es hier noch trauriger aus als vor ein paar Wochen. Die Krankheit des Familienernährers hat den Ausfall des Verdienstes zur Folge gehabt, und mit der Krankheit haben Entbehrung und oft Noth ihren Einzug die kleine Wohnung gehalten. Man lebt hier von Wind und Hoffnung; das können eine Zeit lang Gesunde ertragen, bis sie sich emporgearbeitet haben - aber der Genesende erwirbt sich in einem solchen Ringen um das Dasein nur zu oft den Keim zu neuem, tieferem, unheilbarem Siechthum. Diese Schattenseiten des Lebens waren längst bekannt und edle Menschen nahmen sich von jeher der Pflege der Schwachen an; jetzt greift in solchen Fällen unsere sociale Gesetzgebung durch ihre Krankenkassen vielfach helfend ein; aber Nächstenliebe und Geld sind nicht immer ausreichend.

Schon in früheren Jahrhunderten war man auf den Gedanken gekommen, für die Genesenden besondere Anstalten, „Genesungshäuser“" oder „Rekonvalescentenheime“ zu schaffen und so das Werk der Krankenpflege ganz durchzuführen. Es gab im 17. und 18. Jahrhundert in Frankreich eine große Anzahl solcher Anstalten, aber die Stürme der Revolution haben sie weggefegt.

Erst in der Mitte unseres Jahrhunderts regte sich dieser Gedanke von neuem. Frankreich und England hatten den Anfang gemacht, und ihnen schloß sich Deutschland an. Schon im Jahre 1861 wurde in München die Gründung eines solchen Heimes von dem „Verein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Rekonvalescenten“ angeregt und durch eine große Schenkung Ludwigs I. und ein Vermächtniß des Münchener Bürgers Adelmann gesichert, und so entstand ein Heim, welches leider nur 20 Betten hatte, aber doch reichen Nutzen stiftete. Im Jahre 1869 wurde die Frankfurter Rekonvalescentenanstalt begründet, eine Stunde von der Stadt inmitten eines Gartens gelegen; sie ist eine Zweiganstalt des Heiligen-Geist-Hospitals, war aber bis jetzt nur während des Sommers geöffnet.

Nach dem Kriege von 1870/71 sahen wir in dem wiedergewonnenen Elsaß vielleicht das schönste deutsche Heim für Genesende entstehen. Im Jahre 1876 vermachte der durch wahre Menschenliebe ausgezeichnete

Straßburger Bürger Johann August Ehrmann sein nahezu 2 Millionen Mark betragendes Vermögen für gemeinnützige Zwecke, und über 800000 Mark davon waren zur Errichtung und Erhaltung eines Heims für Genesende bestimmt, welches den Namen von des Stifters Mutter Lovisa tragen sollte. Bald darauf erhob sich dieses „Lovisahospital“ in dem Straßburger Vorort Ruprechtsau, mitten in einem großen Parke mit schattigen Alleen, umgeben von Wiesen und Obstgärten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_030.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)