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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Neujahrsgruß für 1890.

Setz’ du zur Erde deinen Fuß
Mit Vorsicht, erstes im Jahrzeh’nte!
Bringst wirklich du den Friedensgruß,
Den wahren, den die Welt ersehnte?

5
O hüt’ ihn wohl! Ein Funke schon

Kann leicht den großen Brand entzünden,
Daß hell des Krieges Fackeln loh’n
Und Feuer sprüht aus erz’nen Schlünden.

Wie athemlos harrt dein die Zeit!

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Die Wünsche, Hoffnungen und Klagen,

Nie dich erwarten, würden weit
Die höchsten Zinnen überragen.
Wo noch ein finstrer Zorn sich bäumt
Und wo noch Unrecht kränkt, versöhne!

15
Wo gute That noch ward versäumt,

Wo danklos blieb Verdienst, da kröne!

Du führst den letzten Reigen an,
Bewahr’ fürs künftige Jahrhundert,
Was unsres recht und gut gethan

20
Und was gerechter Stolz bewundert.

Neig’ auch zu Wiegen deinen Stab
Und zu des Lebens ersten Stufen,
Zu jenen, die, wenn wir im Grab,
Zum Weiterkämpfen sind berufen!

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Was birgt dein Schoß? O gieb es kund!

Wir späh’n nach deiner Stirne Falten,
Nach deinem festgeschloss’nen Mund;
Verhüllt umgeben dich Gestalten
Und alle schweigend – durch die Nacht

5
Ertönen Glocken, zu den Waffen,

Ihr Geister, die ihr mit uns wacht,
Mit uns’rem Denken, Ringen, Schaffen!
  Hermann Lingg.




Die Entdeckung der Nilquellen und Stanleys jüngster Afrikazug.

Ein geschichtlicher Rückblick von C. Falkenhorst.


Denkmünze auf James Bruces
„Reisen zur Entdeckung der Quellen des Nils
in den Jahren 1768-1773“.

Aber wenn auch ein noch so tapferer Muth in meiner Brust glüht, eine noch so große Liebe zur Wahrheit, so giebt es doch nichts, was ich lieber kennen lernen möchte, als die so viele Jahrhunderte lang verborgenen Anfänge des Stroms und seine unbekannte Quelle; man eröffne mir die sichere Aussicht, die Nilquellen zu sehen, und ich will vom Bürgerkriege ablassen.“

Diese Worte legt der römische Dichter Lucan in seinem Epos „Pharsalia“ Julius Cäsar in den Mund, und sie bezeichnen treffend das Interesse, welches von den Völkern des Alterthums der Nilforschung entgegengebracht wurde. Den Forschern der damaligen Zeit erschien der gewaltige Strom, der, aus fernem Süden und wüsten Ländern kommend, zur bestimmten Zeit alljährlich aus seinen Ufern trat, als ein großes Geheimniß der Natur, dessen Enthüllung seit Anbeginn der geographischen Wissenschaft von den hervorragendsten Gelehrten angestrebt wurde. Schon Herodot sammelt im 5. Jahrhundert v. Chr. Nachrichten über die Quellen des Nils, ohne zu einer entschiedenen Meinung zu gelangen. In späteren Werken, namentlich bei Eratosthenes (3. Jahrhundert v. Chr.), taucht die Meinung auf, daß der Nil fern im Süden aus Seen entspringe, und diese Ansicht wird am klarsten von Ptolemäus ausgesprochen. Laut den Nachrichten, die er arabischen Kaufleuten verdankte, entspringt der Nil südlich vom Aequator auf den nördlichen Abhängen des Mondgebirges. Sechs kleinere Flüsse ergießen sich zunächst in zwei im Osten und Westen von einander gelegene Seen; aus jedem derselben entspringt ein Flußarm und beide vereinigen sich ein wenig nördlich vom Aequator. Ein dritter kleinerer See liegt nordöstlich von den beiden zuerst erwähnten unter dem Aequator selbst, und er nährt den Blauen Fluß oder den Nil Abessiniens.

Dies war der Stand der Wissenschaft im 2. Jahrhundert nach Christi Geburt, eine Darstellung der Nilquellen, die in großen Zügen durchaus zutreffend ist und die durch die rastlose Forscherarbeit unseres Jahrhunderts nach 1700 Jahren zu Ehren gebracht wird. Die Entdeckung der südwestlichsten Nilquellen ist das große geographische Ergebniß der letzten Expedition Stanleys; die endgültige Lösung eines Räthsels, das 24 Jahrhunderte die Menschen beschäftigte.

Die Expeditionen zur Entdeckung der Nilquellen beginnen schon frühzeitig. Die Stromschnellen bei Assuan, das eigentliche Thor Aegyptens, wurden überschritten, und Kaiser Nero sandte eine Expedition unter zwei Centurionen aus, um das „Haupt des Nils“ (Caput Nili) zu finden. Sie drangen weit nach Süden vor, bis sich der Fluß in großen Sümpfen verlor, in denen es nur schmale Wasserrinnen gab, kaum für die kleinsten Kähne fahrbar. Die Centurionen nahmen eine Karte jener Gegend auf und kehrten zurück, um Nero den Bericht abzustatten. Wir wissen heute, daß auch diese Schilderung auf Wahrheit beruht. Der Weiße Nil wird oft durch das „Sett“ oder die Grasbarre verstopft. Der klassische Papyrus, das wunderbare, in der Regenzeit mit ungeahnter Schnelligkeit emporwachsende Ambatschholz und ein scharfes, mit weißlichem Flaum bedecktes Gras, welches die Araber die „Mutter der Wolle“ nennen, bilden hier an der Oberfläche des Stromes Wiesen, auf denen mitunter Rinder grasen können, und verstopfen den Fluß, daß er nur schmale Rinnen der Schiffahrt offen läßt, oder verstopfen ihn ganz und gar, daß die Barken ruhig liegen müssen und keine Macht sie vorwärts bringen kann.

Das Mittelalter brachte keinen Fortschritt der Nilforschung. Die Araber waren die Geographen Afrikas in jener Epoche; sie verwirrten das Bild des Ptolemäus, indem sie unter den Aequator nördlich von den beiden Nilseen des Ptolemäus noch einen dritten runden See setzten, aus dem nicht nur der Nil, sondern auch die andern damals bekannten großen Flüsse Afrikas, der Senegal und der Juba, entspringen sollten.

Jahrhunderte vergingen, bis europäische Reisende in die Gebiete der Nilquellen eindrangen. Der erste, der sich rühmte, die Nilquellen gesehen zu haben, war Pero Paez, der während seines

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_016.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2023)