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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Land und Leute. Das Werk von Fontane enthält nicht nur die Chronik der Mark, ihrer hervorragendsten Geschlechter und berühmten Männer, die Geschichte ihrer Städte und Schlösser; auch eine Schilderung ihrer landschaftlichen Schönheiten, die gar nicht so spärlich in dieser „Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches“ ausgestreut sind, wie man gewöhnlich glaubt. Wie reizend schildert uns Fontane die Müggelsberge, die so unvermuthet und unvermittelt aus dem Flachland aufsteigen wie der todte Rumpf eines fabelhaften Wasserthieres, der hier in sumpfiger Tiefe zurückblieb, als sich die großen Fluthen der Vorzeit verliefen; wie weiß er alle Reize der Landschaft hervorzuheben, welche das Bad Freienwalde umgiebt, mit den eine prächtige Aussicht gewährenden Randbergen des Oderbruchs, und gern betreten wir an seiner Hand das große Wald- und Jagdrevier des Werbelliner Forstes mit seinem Muränensee. Wenn er uns das Wustrauer Luch und das Dossebruch schildert, so versäumt er nicht, auch eine Geschichte der Bestrebungen zu geben, durch welche Preußens Regenten diese unwirthlichen Landstrecken der Kultur zu gewinnen suchten. Wo er uns aber über berühmte Schlachtfelder führt, wie diejenigen von Zorndorf und Fehrbellin, da malt er anschaulich das Bild des Geländes, auf dem die Kämpfe hin- und herwogten. Die Chronik mancher Schlösser gehört mehr der Ortsgeschichte an; auch einige der hervorragenden Männer, deren Lebenslauf uns dargestellt wird, dürften sich nur wenig aus dem Bereiche der preußisch-brandenburgischen Geschichte erheben; doch auch an weltgeschichtlichen Größen fehlt es nicht und diese werden hier meist durch die kleinen Lichtflämmchen der Anekdote beleuchtet.

Ein so umfassendes Werk über eine einzelne Provinz zu schreiben, ohne daß der Strom der Darstellung allzu viele todte Arme bildet, dazu gehört ein aufgeschlossener Sinn für die kleinen Einzelzüge, die Fähigkeit zu einer meisterlichen Kleinmalerei und das warme Herz des Poeten, der alles, was einen höheren Flug nimmt, gleichfühlend zu verfolgen weiß. Und diese Vorzüge hat Theodor Fontane in seinem Werke bewährt. Spricht sich schon in diesem seine Vorliebe für das Kriegswesen und seine Begeisterung für preußischen Kriegsruhm an jeder geeigneten Stelle aus, so trieb ihn beides auch zu selbständiger Darstellung der letzten großen Kriege an. Die Schrift „Der schleswig-holsteinische Krieg im Jahre 1864“ erschien 1866; diejenige über den „Deutschen Krieg von 1866“ im Jahre 1869; die zweibändige Geschichte des „Deutsch-französischen Kriegs“ in den Jahren 1874–76. Es sind keine militärischen Fachwerke, es sind Volksschriften. Allen gemeinsam sind die Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung, die Rückblicke auf die Geschichte, die Schilderung von Land und Leuten, die farbenreiche Charakteristik der Heerführer und Fürsten, welche auch die Anekdote nicht verschmäht.

Als „Schlachtenbummler“ in Frankreich im Jahre 1870 hatte Fontane Abenteuer zu bestehen, die er uns in seiner Schrift „Kriegsgefangen“ in sehr eingehenden Plaudereien schildert. Niemand Geringeres als die Jungfrau von Orleans war schuld an den Fährnissen, welche ihm dort bereitet wurden. Im Oktober 1870 machte er von Toul einen Ausflug nach Domremy, dem Geburtsort der französischen Heldin; da ihm der Kutscher, der ihn fuhr, verdächtig erschien, nahm er sich einen Revolver mit, wie er auch im Besitze eines Stoßdegens war. Er besuchte die geweihte Stätte, wo die Jungfrau geboren wurde, und die gothische Kapelle, deren bunte Scheiben ihr Wappen aufweisen und vor deren Thore sich ihre Statue erhebt. Er klopfte mit seinem spanischen Rohr an der Statue umher, um sich zu überzeugen, ob es Bronze oder gebrannter Thon sei. Da kamen 8 bis 12 Männer auf ihn zu und fragten ihn nach seiner Legitimation; er überreichte eine rothe Tasche mit preußischen Papieren; man ging ins Wirthshaus zu näherer Untersuchung; da kamen zufällig Stockdegen und Revolver zum Vorschein; die Stimmung war eine heikle; man brachte ihn auf die Souspräfektur von Neufchateau. Nun begann jene lange Reihe von Verhören, Untersuchungen und Gefängnißwanderungen bis auf die Insel Oleron im Atlantischen Ocean, die uns Fontane in seiner kleinen Schrift so anschaulich und mit so gutem Humor schildert; es ist ein Gemälde, das nicht das geringste Kerkergrauen athmet. Ueber den französischen Nationalcharakter spricht sich Fontane im ganzen sehr günstig aus; er hat nur die besten Eindrücke erhalten. Im allgemeinen kämen, sagt er, auf 10 oder 7 oder 5 Individuen immer ein unleidlicher Mensch, in Frankreich habe er etwa 200 verschiedene Personen kennen gelernt und nicht die geringste Unannehmlichkeit, geschweige Unart erfahren; „sie waren alle verbindlich, rücksichtsvoll, zuvorkommend, dankbar für jeden kleinen Dienst, nie beleidigt durch Widerspruch, vor allem ohne Schabernack und ohne Neid.“ Leichter Sinn und heitere Laune, große Gutmüthigkeit war bei allen zu finden, – ein Urtheil, das sehr für Fontanes Unbefangenheit und Unparteilichkeit spricht.

In den letzten Jahrzehnten ist Fontane auch als Romandichter aufgetreten; sein Hauptwerk ist der Roman „Vor dem Sturm“ (4 Bände, 1878). Er spielt in Preußen in der Zeit vor dem Befreiungskriege 1812 bis 1813 und giebt ein treffliches, oft mit peinlicher Genauigkeit und Sauberkeit ausgeführtes Gemälde der damaligen Stimmungen und Vorgänge in allen Lebenskreisen. Volksthümliche Schilderungen, zum Theil mit humoristischer Beleuchtung, gehören zu den Glanzpunkten des Werkes. Die Handlung selbst bewegt sich nur langsam vorwärts. Kleinere Romane Fontanes sind „Ellernklipp“ (1881), ein düster schwermüthiges Stimmungsbild von poetischer Wirkung, in welchem das Leben der Heide meisterlich gezeichnet und die Liebe von Vater und Sohn zu demselben Mädchen den Knotenpunkt der Ereignisse bildet; ferner „L’Adultera“. ein Sittenbild aus dem Berliner Leben; „Schach von Wuthenow“ und „Graf Petöfy“. Die Ortsfärbung und die Charakterzeichnung sind in allen diesen Romanen gleich rühmenswerth. Das jüngste Werk aber, das aus Fontanes Feder geflossen ist, freut sich die „Gartenlaube“ als ein Angebinde zu des Dichters siebzigstem Geburtstage ihren Lesern vorlegen zu können. „Quitt“ zeigt die glänzenden Eigenschaften des Romanschriftstellers Fontane, die Kunst der Herausarbeitung der Charaktere und der liebevollen Kleinmalerei in ihrem vollen Lichte.

Ein Dichter aber von solcher Schlichtheit der Empfindung, so schlagfertiger Knappheit der Schilderung, so warmem patriotischen Gefühl, so unermüdlichem Fleiß in seinen geschichtlichen Studien und Vorstudien und uberdies von so gesundem volksthümlichen Humor wird unserem Volke immer lieb und werth bleiben.

Rudolf von Gottschall.     




Amor der Honigdieb.

„Einst ward Eros, der Dieb, von der zornigen Biene gestochen,
Als er Honig dem Korb entwendete. Vorn an den Händen
Hatte sie all’ ihm die Finger durchbohrt und er blies sich die Hände
Schmerzvoll, sprang auf dem Boden und stampfete. Jetzo der Mutter
Zeigt’ er das schwellende Weh und jammerte, daß so ein kleines
Thierchen die Biene nur sei und wie mächtige Wunden sie mache.
Lächelnd sprach Aphrodite: ‚Du bist wohl ähnlich der Biene!
Schau wie klein du bist und wie mächtige Wunden du machest.‘“


Diesen kleinen ansprechenden Gedanken, welchen wir mit diesen Worten in Voß’ Musenalmanach des Jahres 1800 wiedergegeben finden, birgt unter der Ueberschrift „Der Honigwabendieb“ ein reizendes griechisches Gedicht, das unter dem Namen des berühmten sicilischen Hirtendichters Theokrit geht. Der Dichter stammt aus Syrakus und seine Blüthe fällt um das Jahr 275 vor Christi Geburt; in der Sammlung seiner Idyllen bildet das Gedichtchen die 19. Nummer, und haben die Forschungen der Gelehrten das Liedlein dem alten Griechen auch aus mancherlei Gründen abgesprochen, so glaubte doch das Alterthum an seine Verfasserschaft und freute sich an dem lieben Geisteskinde seiner idyllischen Muse. Solch ausnehmendes Gefallen fand man daran, daß ein Dichter einer viel späteren Zeit sich entschloß, das Liedlein in eine neue Form zu gießen. Die hexametrische Bearbeitung schien nämlich für den leichten Stoff zu schwer, und nun wurde eines jener leichtfüßigen Liedchen daraus, die jeder andere Dichter eher als der gute Anakreon aus Teos (um 540 v. Chr.) verfertigte, die aber doch seinen Namen führen und „Anakreontika“ genannt werden. In diesem neuen leichten Gewande, das ihm vielleicht im zweiten vorchristlichen Jahrhundert umgehängt worden sein mag, fand es nun weiteres Gehör – wie mancher Liebhaber mag es geträllert haben! Nun drang der an sich nur unbedeutende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_014.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)