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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

zweiten, vermehrten Auflage der „Gedichte“ (1875) und in der soeben erschienenen dritten, die als eine Art von Jubelausgabe betrachtet werden kann (1889), finden sich manche neue Lieder, Balladen, geschichtliche Bilder, meist aus der preußischen Ruhmeshalle; aber das Gepräge von Fontanes Lyrik ist dasselbe geblieben wie damals, als ihr noch der Stern der Jugend schien, und so können wir hier Fontane, den Lyriker, zusammenfassend schildern.

Er ist in erster Linie ein volksthümlicher Balladendichter, der preußische und englische Stoffe behandelt, mit vielsagender Kürze, in knapper, aber stimmungsvoller Fassung. Seine „Männer und Helden“, meistens Preußengenerale der altfritzischen Zeit, sind Bildnisse in Holzschnittmanier; sie streifen an den Bänkelsängerton; Vorbild sind ihm vorzugsweise Rückerts „kriegerische Spott- und Ehrenlieder“. Fontane hat freilich nur Ehrenlieder gedichtet. Der alte „Zielen aus dem Busch“ und der verwegene Reitergeneral Seydlitz vertrugen nur eine so derb zugreifende Verherrlichung; er trifft sehr glücklich den markigen Ton und schlaghafte Wendungen, welche entweder die einzelnen Strophen mit treffenden Wiederholungen befruchten oder dem Gedicht einen kräftigen Abschluß geben. „Der alte Dessauer“ ist solch ein Musterstück derb volksthümlicher Art, dem am Schluß eine beherzigenswerthe Nutzanwendung nicht fehlt:

„Wir haben viel von Nöthen
Trotz allem guten Rath,
Und sollten schier erröthen
Vor solchem Mann der That:
Verschnitt’nes Haar im Schopfe
Macht nicht allein den Mann,
Ich halt’ es mit dem Zopfe,
Wenn solche Männer dran.“

Die Muse Fontanes begleitet dann die weitere preußische Geschichte auf ihrer Ruhmesbahn; da finden wir Gedichte auf „Prinz Louis Ferdinand“, „Den Tag von Düppel“, „Die Gardemusik bei Chlum“ und in der neuesten Auflage auch auf „Kaiser Blanchebart“, „Jung-Bismarck“, „Kaiser Friedrich III.“ u. a. Von rednerischem Pomp und feierlichem Ton halten sich diese Gedichte fern; das Streben nach frischer Volksthümlichkeit und lebhafter Anschaulichkeit prägt sich auch in ihnen aus und es findet sich manch kräftiger Kehrreim: im ganzen aber ist der Ton nicht so herausfordernd keck wie in den Jugendliedern, welche den Helden der preußischen Walhalla galten; es sind häufiger weihevolle Klänge angeschlagen. Neben den zahlreichen Gedichten, die mehr geschichtliche Porträts als Schlachtenbilder sind, finden sich auch einzelne, die man echte Balladen nennen kann, wie die schwedische Sage „Der 6. November 1632“, eine gespenstige Beleuchtung des Schlachtentags von Lützen.

Theodor Fontane.
Nach einer Photographie von Loescher und Petsch in Berlin.

Die Hauptstoffquelle seiner Balladen war für den Dichter übrigens die englische Geschichte und Volkssage. Nach England führte ihn noch zweimal, in den Jahren 1852 und 1855, seine Reiselust und sein Interesse für englisches und schottisches Leben, für die Geschichte dieser Länder, ihre Kunst und Literatur; er hat mehrere Reiseschriften herausgegeben, in denen er sich über dies alles in fesselnder Weise ausspricht; namentlich aber hat der englisch-schottische Balladenschatz eine große Wirkung auf ihn selbst und seine eigene Dichtweise ausgeübt: eine beträchtliche Zahl dieser Balladen, wie sie im Volksliede oder von englischen Dichtern gestaltet worden sind, hat er frei übersetzt, dabei den Volkston und die knappe Fassung beibehalten und in der durchaus ungezwungenen Wiedergabe große Gewandtheit gezeigt. Er selbst hatte schon früh das Schicksal der schönen Rosamunde in einem lyrisch-epischen Liederkranz besungen; auch „Maria Stuart“ machte er zur Heldin von vier Balladen; doch auch sonst wandert seine nicht blutscheue Muse sowohl über die Schlachtfelder, von den Kämpfen der „weißen und rothen Rose“ an bis zu Cromwells Bürgerkriegen, als auch über die Richtstätten; nicht bloß Maria Stuart, auch Sir Edward York, Johanna Gray, Sir Walter Raleigh, James Monmouth begleiten wir auf ihrem letzten Gang zum Schafott. Es finden sich in diesen Gedichten viele stimmungsvolle Bilder; eine Perle ist das Lied von James Monmouth:

„Das Leben geliebt und die Krone geküßt
Und den Frauen das Herz gegeben,
Und den letzten Kuß auf das schwarze Gerüst –
Das ist ein Stuart-Leben.“

Noch enthalten die Gedichtsammlungen „Lieder und Sprüche“; die Zahl derselben ist nicht allzu groß, und man muß das aufrichtig bedauern; denn in den Liedern ist manches duftig Hingehauchte voll zarter Empfindung und die Sprüche lehren sinn- und maßvoll echte Lebensweisheit und sind von einer wohlgelungenen Form, so daß sie sich dem Gedächtniß einprägen:

„Du wirst es nie zu Tücht’gem bringen
Bei deines Grames Träumerei’n;
Die Thränen lassen nichts gelingen,
Wer schaffen will, muß fröhlich sein.

Wohl Keime wecken mag der Regen,
Der in die Scholle niederbricht:
Doch golden Korn und Erntesegen
Reift nur heran bei Sonnenlicht.

Das Glück, kein Reiter wird’s erjagen,
Es ist nicht dort, es ist nicht hier:
Lern’ überwinden, lern’ entsagen,
und ungeahnt erblüht es dir.“

Nach seiner letzten Rückkehr von England nahm Fontane in Berlin seinen dauernden Aufenthalt. Seine Beziehungen zum erbgesessenen Adel der Mark wiesen ihn auf die Geschichte ihrer Stammsitze und seiner heimathlichen Provinz hin; die Anregung dazu aber gab ihm ein Phantasiebild, das seiner Seele vorschwebte, als er über den Levensee in Schottland fuhr und auf einer Insel mitten im See, hinter Eschen und Schwarztannen halbversteckt, die Trümmer von Schloß Lochleven erblickte, aus welchem einst Maria Stuart geflüchtet war. Da gedachte er plötzlich einer andern Kahnfahrt über den Rheinberger See, ringsum die Schöpfungen und Erinnerungen einer großen Zeit: sollten solche Eindrücke verloren gehen? War die märkische Heimath mit ihrer reichen Geschichte nicht ebenfalls der Schilderung und Aufzeichuung werth? Er fühlte sich dazu berufen und so entstand sein umfangreiches Hauptwerk: „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ (4 Bde. 1862-82).

Wenn die Mark Brandenburg in Wilibald Alexis ihren Walter Scott gefunden hat, so besitzt sie in Fontane einen nicht minder poesievollen Erforscher und Darsteller ihrer Eigenart in Bezug auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_013.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)